Von Günter Bannas
Kommt noch etwas nach? Fast ein Vierteljahrhundert, fast die Hälfte ihres Lebens bewegte Andrea Nahles die SPD – drangsalierend und dienend. Die Katholikin aus der Eifel übte alle wichtigen Ämter aus, die die Bundes-SPD vergeben kann: Vorsitzende der Jungsozialisten, stellvertretende Vorsitzende, Generalsekretärin, Parteivorsitzende und Vorsitzende der Bundestagsfraktion. Sie war 1995 dabei, als der SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping gestürzt wurde. Sie gehörte zu den Gegnern von Gerhard Schröder. Sie verursachte den Rücktritt des Parteichefs Franz Müntefering. Nahles, die am Wochenende fünfzig Jahre alt wird, machte Wandlungen durch. Aus der linken Daueropponentin wurde eine angesehene Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Sie sorgte dafür, dass die SPD ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht wurde und abermals eine große Koalition einging. Nahles hat es teuer bezahlt. Abruptes Ende einer Karriere vor ziemlich genau einem Jahr: schlimmes Ergebnis der SPD bei der Europawahl, politische Fehltritte, Machtkämpfe und persönliche Intrigen. Ihre Demission war zwangsläufig.
Das ist mehr als Parteigeschichte. Gegenwart und Zukunft sind voll davon. Sogar bei der Aufstellung von Bundestagskandidaten – in München etwa. Zu vermerken ist, dass jene Sozialdemokraten, die – von Kevin Kühnert bis hin zum Ministerpräsidenten Stephan Weil – ihr die Gefolgschaft verweigerten, nicht nur die erste Frau an der Spitze von Partei und Fraktion und das Ende der Groko im Visier hatten. Absicht der Anti-Nahles-Front in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen war es nicht zuletzt, eine Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz, ihrem kongenialen Bündnispartner, zu vereiteln. Personelle Alternativen aber boten deren Gegner nicht an. Ungezügelt nahmen die Dinge ihren Lauf. Nichts wurde besser, die Umfragen schon gar nicht. Jetzt rudern alle zurück – Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken und die Parteifreunde, die den Rücktritt von Nahles erzwangen und Scholz im Kampf um den Parteivorsitz besiegten. Sie loben die Arbeit der Groko und umschmeicheln Scholz. Nahles gab trotz allem keine abschätzigen Interviews zur Lage der Partei. In Kürze tritt sie das Amt als Präsidentin der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation an. Ihr ehemaliger Büroleiter würdigte jetzt ihre Verdienste für die SPD – unter dem Beifall der Scholz-Freunde. Ihre politische Arbeit ist unvollendet.
Günter Bannas ist Kolumnist des HAUPTSTADTBRIEFS. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “DER HAUPTSTADTBRIEF AM SONNTAG in der Berliner Morgenpost”, mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion. © DER HAUPTSTADTBRIEF
Letzte Kommentare