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Westfälischer Feudalismus am Ende

Oder “nur” der Rassismus? – Ein Fenster der Gelegenheit für Fortschritt
Clemens Tönnies ist nicht zu beneiden. Nicht nur, weil bekennende Rassisten nicht zu beneiden, sondern nur zu bekämpfen sind. Normalmenschlich ist der Existenzkampf, in den er sich selbst manövriert hat, nicht durchzuhalten, und schon gar nicht zu gewinnen. Gut so. Die Postcorona-Verteilungskämpfe werden so hart, dass sie nicht nur den Klassenkampf von oben, sondern auch die klasseninternen Ressourcenkämpfe so verschärfen, dass sie eine Figur wie Tönnies als Sündenbock ausstellen “müssen”, so eine Art Amthor im XXL-Format.
Werden sie hinter dieser Kulisse das Ausbeutungsprinzip in der exportorientierten industrialisierten deutschen Land- und Lebensmittelwirtschaft retten? Nur wenn es gelingt, sie daran zu hindern, wäre es ein echter Fortschritt. Möglich. Aber sicher ist das nicht.
Für Tönnies kommt jetzt alles auf einmal. Seine eigenen politischen Gesinnungsgenossen, von Laumann bis Adenauer (Landrat im Kreis Gütersloh, sie sind überall!), müssen gegen ihn vorgehen, weil all die Schandtaten, die ihn zum Milliardär gemacht haben, jetzt ans Licht gezerrt werden. Seine gesellschaftliche Basis, die westfälische Landbevölkerung, entwickelt Empörung, weil sie zurecht um ihre eigene Freiheit und Gesundheit fürchten muss. Ganz zu schweigen von den ehrlichen Christen, die dort seit Jahren mühselige, langjährig vergebliche, oppositionelle, aufklärererische Arbeit gegen sein Geschäftsmodell und seine Korruptionsnetzwerke in der Politik leisten.
Nicht nur für Tönnies, auch für Gelsenkirchen könnte das ein böses Ende nehmen.
In seinem Konzern selbst wittert sein übertölpelter Neffe Robert nun wieder Morgenluft (bei der FAZ rubrizieren Milliardäre unter “Mittelstand”). Gerichtsprozesse gegeneinander sind integrierter Teil der Tönnies-Familiengeschichte. Droht nun der Patriarchensturz? Ein mögliches Fest für den Medienboulevard und unterhaltsamer als eine Bundesligasaison.
Mit diesem Kampf an existenziellen Fronten und der Bindung seiner Kräfte wird Tönnies sein Fußballspielzeug in Gelsenkirchen kaum retten können. Da er keine Ahnung von Fußball, und auch keine von demokratischer Vereinsführung hat, hat er diesen Laden, dortselbst grösster Arbeitgeber der Stadt, und von Stadt und Stadtwerken schon mehrfach vor der Pleite gerettet, sportlich so weit abgewirtschaftet, dass die Fleischtöpfe der europäischen Wettbewerbe unerreichbar wurden. Selbst ein konzernunabhängiger Verein wie Mönchengladbach, aus einer Stadt in ähnlich desaströser Lage, zeigt Tönnies’ blau-weissem Laden eine lange Nase.
Burkhard Fritsche, taz-Karikaturist aus Münster und Köln, mit nachgewiesener Ahnung von Fußball, lässt es den S04-Trainer heute so sagen: “Hört gut zu Jungs! Der Boss sagt, bei der nächsten Niederlage schickt er euch 2 Wochen zur Quarantäne in seine Sammelunterkünfte!”

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. klemens roloff

    Erfreulicherweise ist der Beueler Extradienst diesem Thema schon seit einiger Zeit auf den Fersen. Besonders erhellend – und bestürzend – war für mich das Interview von İlker Eğilmez mit Peter Kossen in Jacobin:
    https://jacobin.de/artikel/fleischindustrie-peter-kossen-corona-wegwerfmenschen-arbeitsmigranten/, auf das der Beueler Extradienst am 3. Juni 2020 aufmerksam machte.

    Bereits am 20. Mai 2020 war Roland Appel im Beueler Extradienst kategorisch für ein Verbot von Leiharbeit eingetreten:
    https://extradienst.net/2020/05/20/leiharbeit-jetzt-verbieten/

    In einem Leserbrief zu diesem Aufruf hatte ich Zweifel geäußert, ob die jahrzehntelange Praxis flagranter Ausbeutung von Arbeitskräften per Kabinettsbeschluss beendet werden könne. Nein, geht natürlich nicht. Denn das Recht zu biegen und zu beugen, hat System – und das nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf EU-Ebene. Es ist – um bei einem klassisch-antiken Bild zu bleiben – ein Augiasstall! Und kein Herkules, der den ausmistet, wird sich finden.

    Diese wenig tröstende Aussicht fand ich jetzt bei Werner Rügemer bestätigt, der sich dazu bereits am 5. Juni 2020 auf den NachDenkSeiten geäußert hat:
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=61638

    Die NachDenkSeiten versammeln heute https://www.nachdenkseiten.de/?p=62164 noch einmal, was sie in letzter Zeit zu Tönnies & Co publiziert haben: „Covid-19, das System Tönnies und die Wegwerfmenschen – die NachDenkSeiten bieten Nachhilfe für alle, die sich jetzt empören“. Sehr lesenswert.

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