Edit Policy: Freifunker sind Alltagshelden!

Die Reform der Störerhaftung hätte längst für freies WLAN in Deutschland sorgen sollen. Doch jüngste Gerichtsurteile führen das ad absurdum.

Die COVID-19-Pandemie hat die Lücken in der deutschen Breitbandversorgung offensichtlich gemacht. Sozial benachteiligte Schüler*innen müssen mitunter ihr teures Handy-Datenvolumen nutzen, um von Zuhause am Unterricht teilnehmen zu können, weil ihnen kein stabiles WLAN zur Verfügung steht.

Spätestens jetzt müssten wir Freifunk-Initiativen in einem Atemzug mit den Alltagsheld*innen nennen, die während der Pandemie für andere Menschen einkaufen oder Gesichtsmasken nähen. Indem sie ihre privaten WLAN-Anschlüsse ohne Passwortschutz mit der Öffentlichkeit teilen, versorgen Freifunker*innen nicht nur Wohnblöcke und öffentliche Plätze, sondern auch Unterkünfte von Obdachlosen oder Geflüchteten mit einem Zugang zum Internet, der heute mehr denn je für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben notwendig ist.

Freifunk unter Generalverdacht

Doch die Realität sieht anders aus: Anstatt gesellschaftlicher Anerkennung erfahren Betreiber*innen öffentlicher WLANs immer wieder, dass deutsche Gerichte sie unter Generalverdacht stellen, wenn Großunternehmen der Unterhaltungsindustrie sie angeblicher Urheberrechtsverletzungen bezichtigen.

Ein Kölner Gericht verurteilte kürzlich die Mutter eines Freifunkers zu einer Schadensersatzzahlung von 2000 Euro, unter der Annahme, sie selbst habe eine Urheberrechtsverletzung über das auf ihren Namen angemeldete freie WLAN begangen. Dabei verfügt die fast 70-jährige Frau weder über einen Computer, noch über die Kenntnisse, wie man Filesharing betreibt. In einem zweiten Fall droht einem Freifunker, der sein Hausprojekt mit freiem WLAN versorgt, sogar eine Verurteilung zu einer strafbewehrten Unterlassungserklärung von 250.000 Euro oder sechs Monaten Haft, weil über seinen Freifunk-Knoten für zwanzig Sekunden ein Spielfilm zum Download angeboten worden sein soll.

In beiden Fällen sind die Gerichte bislang der gefährlichen Argumentation des Filmunternehmens Warner Bros. über die Feststellung der Täterschaft gefolgt. Dieser Argumentation zufolge könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die jeweiligen Anschlussinhaber*innen selbst die mutmaßlichen Urheberrechtsverletzungen begangen haben, die über ihren Anschluss passiert sind. Um diese Vermutung zu widerlegen, müssen die Anschlussinhaber*innen nachweisen können, wer die Tat stattdessen begangen hat. Selbst ein plausibler Nachweis der eigenen Unschuld, etwa aufgrund mangelnder Fähigkeiten, die Tat selbst begangen zu haben, reicht demnach nicht aus.

Der Förderverein freie Netzwerke, der sich für die flächendeckende Versorgung mit freien, offenen Kommunikationsnetzwerken einsetzt, unterstützt beide Beklagten und weitere Betroffene bei der Begleichung ihrer Prozesskosten und sammelt deshalb unter dem Motto „Freifunk statt Angst“ Spenden, um Privatpersonen mehr Rechtssicherheit beim Betrieb freier WLANs zu geben.

Kaum Hilfe seitens der Politik

Während die Zivilgesellschaft seit Jahren die grundrechtliche Bedeutung des Zugangs zum Internet betont, hat die Politik das Thema lange Zeit verschlafen. Die grundsätzliche Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Freifunk-Initiativen, die die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag versprochen hatte, ist sie bis heute schuldig geblieben.

Kurz vor der letzten Bundestagswahl hatte der Bundestag allerdings dafür sorgen wollen, dass es zu solchen Klagen gegen Betreiber*innen freier WLANs gar nicht mehr kommen sollte. Mit einer Reform der Störerhaftung im Jahre 2017 verfolgte die damalige Große Koalition das Ziel, Freifunk und andere offene WLANs gesetzlich vor Urheberrechtsansprüchen zu schützen, um die unkalkulierbaren Abmahn- und Gerichtskosten nicht mehr allein den Privatpersonen oder zivilgesellschaftlichen Initiativen wie dem Förderverein freie Netzwerke aufzubürden.

Anbieter nicht für illegale Handlungen verantwortlich

Seit der Reform ist im Telemediengesetz eindeutig geregelt, dass Anbieter*innen freier WLANs nicht zur Einrichtung eines Passworts oder zur Erhebung persönlicher Daten der Nutzer*innen ihres Internetanschlusses gezwungen werden können. Im selben Zuge führte der Gesetzgeber aber die Möglichkeit von Netzsperren als Mittel gegen wiederholte Urheberrechtsverletzungen ein, die zusätzliche rechtliche und organisatorische Hürden für den Betrieb offener WLANs geschaffen haben. Grundsätzlich sind Freifunk-Angebote und andere freie WLANs jedoch vom Haftungsausschluss erfasst, wonach Internetzugangsanbieter nicht für illegale Handlungen ihrer Nutzer*innen verantwortlich sind.

Private Vorratsdatenspeicherung im Dienste der Unterhaltungsindustrie

Die jüngsten Urteile deutscher Gerichte zur urheberrechtlichen Verantwortlichkeit von Freifunk-Anbieter*innen führen die Reform der Störerhaftung ad absurdum. Anstatt den Willen des Gesetzgebers zu akzeptieren, den Betrieb offener WLANs ohne Passwortzwang oder Überwachung der Nutzer*innen zu ermöglichen, folgen die Richter in den beiden aktuellen Fällen der Argumentation von Warner Bros., die Anschlussinhaber*innen selbst hätten die Urheberrechtsverletzungen begangen. Der Haftungsausschluss für Internetzugangsanbieter gilt aber nur für das Verhalten von Dritten.

Um ihre Unschuld zu beweisen, wird von den Beschuldigten ein Nachweis verlangt, wer die Tat stattdessen begangen hat, wozu sie genau die Sammlung personenbezogener Daten vornehmen müssten, die von ihnen laut Telemediengesetz ja gerade nicht verlangt werden darf. Im Fall des Hausprojekt-Freifunkers erwartet der Richter Auskunft darüber, „welche Personen mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen“. Selbst mit Vergabe eines Passworts könnte der Anschlussinhaber einer solchen Anforderung also nicht entsprechen, er müsste darüber hinaus auch noch das Surfverhalten jeder einzelnen Person protokollieren, die den Internetanschluss des Hausprojekts mitbenutzt.

Das Recht in sein Gegenteil verkehrt

Das Ergebnis dieser verqueren Logik: Die Betreiber*innen freier WLANs sind für Urheberrechtsverletzungen Dritter nicht verantwortlich und dürfen nicht zur Vergabe eines Passworts oder zur Sammlung persönlicher Daten der Nutzer*innen des Internetzugangs verpflichtet werden. Um zu beweisen, dass eine Urheberrechtsverletzung nicht von ihnen selbst, sondern von Dritten begangen wurde, müssen sie aber ein Passwort vergeben und umfangreiche Daten über die Nutzer*innen des Internetzugangs sammeln. Bei Freifunk-Projekten kommt erschwerend hinzu, dass verschiedene Freifunk-Knoten in einem Mesh-Netzwerk miteinander verknüpft sind und deshalb noch nicht einmal bei allen Freifunk-Netzwerken mit Sicherheit festgestellt werden kann, ob eine mutmaßliche Urheberrechtsverletzung überhaupt an einem bestimmten Standort begangen wurde.

Es liegt auf der Hand, dass eine solche private Vorratsdatenspeicherung zum Beweis der eigenen Unschuld nicht nur unzumutbar ist und den Sinn des Telemediengesetzes in sein Gegenteil verkehrt, sondern auch einen unzulässigen Eingriff in die Grundrechte der Nutzer*innen darstellen würde. Die Unterhaltungsindustrie mag sich wünschen, dass Betreiber*innen freier WLANs künftig in digitaler Blockwart-Manier die Kommunikation aller Menschen überwachen, die ihren Internetanschluss nutzen. Dass sich Gerichte eine solche Rechtsverdrehung zu eigen machen, gilt es jedoch auf jeden Fall zu verhindern. Der Freifunker des Berliner Hausprojekts hat in dieser Sache zwischenzeitlich Verfassungsbeschwerde eingelegt, das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen.

Die Texte der Kolumne “Edit Policy” stehen unter der Lizenz CC BY 4.0, hier übernommen von heise-online.

Über Julia Reda (Gastautorin):

Julia Reda war von 2014 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments innerhalb der Fraktion Die Grünen/EFA. Später hat sie im Rahmen eines Fellowships am Berkman Klein Center for Internet & Society der Harvard University geforscht und arbeitet seit 2020 bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte in Berlin. Ihre Kolumne "Edit Policy" erscheint unter der Lizenz CC BY 4.0. | Foto: CC-BY Diana Levine