Edit Policy: Artikel 17 im EU-Urheberrecht
Erst wurde vollmundig versprochen, dass Artikel 17 keine Uploadfilter zur Folge hätte. Dann gab man zu, dass es nicht ohne welche gehen würde. Sie kommen.
Im letzten Jahr führte die Verabschiedung der EU-Urheberrechtsrichtlinie zu Massenprotesten in Deutschland. Befürchtungen, dass sich der zentrale Artikel 17, der Onlineplattformen unmittelbar für die Urheberrechtsverletzungen Dritter verantwortlich macht, ohne den Einsatz verpflichtender Uploadfilter kaum wird umsetzen lassen, haben sich bislang bewahrheitet.
Vor kurzem hat das Bundesjustizministerium seinen Vorschlag zur Umsetzung von Artikel 17 vorgelegt. Dieser Diskussionsentwurf sieht wie erwartet den Einsatz von Uploadfiltern vor, zeugt aber gleichzeitig auch von dem Bemühen, die Zahl der fälschlichen Sperrungen legaler Inhalte zumindest zu reduzieren. Ob sich die Vorgaben der Richtlinie aber überhaupt mit den Grundrechten vereinbaren lassen, bleibt äußerst zweifelhaft.
Gegen eigene Beschlüsse
Eins muss man Justizministerin Christine Lambrecht lassen: Sie hat es geschafft, einen Umsetzungsvorschlag für die wohl unpopulärste EU-Regelung der letzten Jahre vorzulegen, der nicht sofort mit Entrüstungsstürmen quittiert wurde. Das vermag nicht darüber hinwegzutrösten, dass eine Umsetzung des Uploadfilter-Paragrafen, Artikel 17 der Richtlinie zum Urheberrecht im Digitalen Binnenmarkt, gar nicht notwendig wäre, wenn die Bundesregierung im vergangenen Jahr im Rat gegen die Reform gestimmt hätte. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht nämlich, den Einsatz von Uploadfiltern zur Verhinderung von Urheberrechtsverletzungen lehne die Bundesregierung als unverhältnismäßig ab.
Seit dem Ja der Bundesregierung zur EU-Urheberrechtsreform ist klar: Deutschland muss die Regelungen umsetzen. Artikel 17 selbst kann nur noch vor Gericht gestoppt werden, wenn sich dieser als unvereinbar mit der EU-Grundrechtecharta erweist. Das ist durchaus denkbar, denn der Europäische Gerichtshof hatte ähnliche pauschale Filterpflichten in der Vergangenheit bereits kassiert. Bis dahin bleibt Justizministerin Lambrecht (SPD), die zum Zeitpunkt der Verabschiedung von Artikel 17 noch nicht im Amt war, nichts anderes übrig, als bei der nationalen Umsetzung Schadensbegrenzung zu betreiben, damit die Proteste nicht wieder von Neuem entflammen.
Versuche der Schadensbegrenzung
Tatsächlich zeigt der nun veröffentlichte Entwurf für ein Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz, dass die Stimme der Nutzer*innen von Online-Plattformen nicht mehr ignoriert werden kann. Mit einer Reihe von konkreten Vorschlägen will das Justizministerium versuchen, den Schaden durch Uploadfilter für die Meinungs- und Informationsfreiheit zu reduzieren. Dies beginnt mit der Definition der Online-Plattformen, die von dem neuen Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz betroffen sein sollen.
Das Gesetz soll sich auf solche Plattformen beschränken, die durch die profitorientierte Aufbereitung von “User Generated Content”, also von Dritten hochgeladenen Inhalten, mit traditionellen Online-Inhaltediensten in Konkurrenz um dasselbe Publikum treten. Also ist Konkurrenz zu Streamingdiensten, die Inhalte selbst auf Basis von gekauften Lizenzen bereitstellen, eine Voraussetzung, um Artikel 17 befolgen zu müssen.
Bei YouTube lässt sich argumentieren, dass dort ähnliche Inhalte wie auf Spotify oder Netflix geteilt werden und ein solches Konkurrenzverhältnis besteht – dieser Dienst wäre also von der Umsetzung von Artikel 17 betroffen. Anders sieht es aber etwa bei Diskussionsforen wie reddit oder Datingplattformen wie Tinder aus. Diese können nun darauf hoffen, von der Pflicht zum Einsatz von Uploadfiltern verschont zu bleiben, weil sie in keinem Konkurrenzverhältnis zu Online-Inhaltediensten stehen, die Lizenzen direkt von den Rechteinhabern erwerben.
Außerdem sieht der Gesetzesentwurf vor, kleine Plattformen mit einem Jahresumsatz von weniger als einer Million Euro aus Gründen der Verhältnismäßigkeit von der Verpflichtung zum Einsatz von Uploadfiltern zu befreien.
Overblocking wird nur teilweise verhindert
Auch wenn es zu begrüßen ist, dass Artikel 17 für weniger Plattformen gelten soll als zunächst befürchtet, ändert das nichts daran, dass Uploadfilter ein ungeeignetes und gefährliches Mittel zur Durchsetzung von Urheberrechtsansprüchen darstellen. Monatelang hatten IT-Fachleute versucht, weitgehend beratungsresistenten CDU-Abgeordneten wie etwa Axel Voss zu erklären, dass auch die modernsten Uploadfilter nicht in der Lage sind, legale Zitate oder Parodien von Urheberrechtsverletzungen zu unterscheiden, weil dazu der Kontext analysiert werden muss, in dem ein Inhalt verwendet wird.
Außerdem müssen sich Plattformen beim Einsatz von Filtersystemen darauf verlassen können, dass die Informationen, die ihnen von vermeintlichen Rechteinhabern geliefert werden, auch der Wahrheit entsprechen. Erst kürzlich hatte YouTube etwa eine Rede von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf dessen offiziellem YouTube-Kanal gesperrt – schuld war ein falscher Urheberrechtsanspruch durch den französischen Fernsehsender Canal Plus.
Auch hier zeigt sich das Justizministerium aufgeschlossener für die Argumente der Netzgemeinde, als diese das von den Debatten des letzten Jahres vielleicht gewohnt ist. Zwar setzt auch das nun vorgeschlagene Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz klar auf Uploadfilter und ist so weiterhin grundrechtlich fragwürdig. Zumindest wird aber erstmals ein konkreter Vorschlag gemacht, wie legale Nutzungen vor einer ungerechtfertigten Sperrung geschützt werden sollen.
Nutzer*innen sollen beim Upload in Zukunft angeben können, wenn sie fremde Inhalte hochladen und das für legal halten. Auf diese Weise sollen sowohl legale Nutzungen unter den sogenannten Urheberrechtsschranken, wie etwa das Zitatrecht, vor der unrechtmäßigen Sperrung geschützt werden, sondern auch fremde Inhalte, die gar nicht urheberrechtlich geschützt sind oder die unter einer Creative Commons-Lizenz veröffentlich wurden. Grundsätzlich dürfen solche beim Upload geflaggten Inhalte nicht automatisch gesperrt werden.
Wenn der Uploadfilter auf diese Inhalte anschlägt, sendet er lediglich eine Nachricht an den vermeintlichen Rechteinhaber, der sich dann an einen Beschwerdemechanismus wenden kann, wenn er die Nutzung dennoch für illegal hält und sperren lassen will. Markiert jemand Inhalte mehrfach fälschlicherweise als legal, kann diese Person von der Nutzung des Pre-Flagging-Mechanismus ausgeschlossen werden, um Missbrauch zu vermeiden.
Die Tücken des Pre-Flagging
In vielen Fällen könnte dieser Mechanismus die Sperrung legaler Inhalte verhindern. Doch auch dieses System hat Schwächen: Damit Nutzer*innen beim Upload in Zukunft von dem Pre-Flagging Gebrauch machen können, müssen Plattformen dieses zunächst nachrüsten. Die Haftung für Urheberrechtsverletzungen droht den Plattformen aber auch für bereits auf der Plattform veröffentlichte Inhalte. Legale Nutzungen, die bereits vor Inkrafttreten des Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetzes veröffentlicht wurden, drohen dann dem Uploadfilter zum Opfer zu fallen, weil sie beim Upload noch nicht als legal geflaggt werden konnten.
Auch bei Livestreams ist das Pre-Flagging alles andere als trivial. Wer etwa live von einer Demonstration streamt, müsste schon vor Beginn des Streams darüber nachdenken, ob geschützte Inhalte auftauchen könnten, etwa ob ein Demowagen im Hintergrund Musik abspielen wird. Schließlich erfordert das Pre-Flagging ein sehr hohes Wissen über das Urheberrecht, um im Einzelnen einschätzen zu können, welche Nutzungen noch von den Urheberrechtsausnahmen gedeckt sind.
Die größte Gefahr für legale Inhalte besteht aber darin, dass das Pre-Flagging am Ende doch nicht vorbehaltlos gegen die automatische Sperrung schützt. “Offensichtlich unzutreffende Kennzeichnungen” von Inhalten soll die Plattform nämlich ignorieren. Das mag zunächst nachvollziehbar sein, weil die Verfechter*innen von Artikel 17 verhindern wollen, dass ganze Spielfilme hochgeladen und als legal geflaggt werden. Aber wer soll entscheiden, ob eine Kennzeichnung als “offensichtlich unzutreffend” einzuschätzen ist? Am Ende tut das doch wieder ein Uploadfilter.
Beispielsweise sollen Kennzeichnungen pauschal als offensichtlich unzutreffend gelten, wenn sich jemand auf eine gesetzlich erlaubte Nutzung beruft, der hochgeladene Inhalt aber mit 90 Prozent eines in der Sperrdatenbank hinterlegten Inhalt übereinstimmt. Diese Regelung ist offensichtlich dazu gedacht, automatisiert zu werden, geht aber an der Realität vorbei. Auch bei 100 Prozent Übereinstimmung kann es sich um eine legale Nutzung handeln, etwa bei einem gemeinfreien Inhalt, der fälschlicherweise gemeldet wurde und gar nicht urheberrechtlich geschützt ist.
Werden Memes und Gifs legalisiert?
Immerhin sollen auch die Nutzungsrechte ein Stück weit automatisch durchgesetzt werden. In einem Vorschlag, der für Urheberrechtsverhältnisse durchaus als innovativ zu bezeichnen ist, sollen geringfügige Nutzungen fremder Werke (etwa 20 Sekunden eines Videos oder Musikstücks) pauschal erlaubt werden. Durch die Wahl quantitativer Grenzen soll es Plattformen ermöglicht werden, diese geringfügigen Nutzungen beim Einsatz von Uploadfiltern automatisch zu berücksichtigen. Plattformen, die unter das Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz fallen, sollen für diese Nutzungen eine pauschale Abgabe an die Verwertungsgesellschaften zahlen.
Mit dieser neuen Urheberrechtsausnahme, die im europäischen Urheberrecht bislang einmalig ist, versucht die deutsche Politik ihr Versprechen wahr zu machen, dass Memes und Reaction Gifs, die oftmals streng genommen das Urheberrecht verletzen, wenn sie etwa winzige Schnipsel aus einem Spielfilm enthalten, vom Uploadfilter verschont bleiben sollen. So sehr dieser Vorschlag zu begrüßen ist und einen Teil der Alltagskultur im Netz von urheberrechtlichen Problemen befreien könnte, wirft die praktische Umsetzung aber auch Fragen auf. Die Ausnahme soll aus europarechtlichen Erwägungen nur für nichtkommerzielle Nutzungen dieser Inhalteschnipsel gelten. Da stellt sich aber die Frage, wie ein Uploadfilter zuverlässig automatisch erkennen soll, ob ein Inhalt zu nichtkommerziellen Zwecken hochgeladen wurde. Selbst für die kürzesten Ausschnitte besteht also wieder Gefahr, dass bei der automatisierten Rechtsdurchsetzung Fehler passieren werden.
Vorschlag zur Diskussion freigegeben
Bis 31. Juli bittet das Bundesjustizministerium die Öffentlichkeit um Stellungnahmen zu seinem Gesetzesentwurf für ein Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz. Die gute Nachricht ist, dass der Vorschlag erkennen lässt, dass das Ministerium um einen Interessenausgleich zwischen den Betroffenen ernsthaft bemüht ist. Insofern lohnt es sich durchaus, sich den 22 Paragraphen umfassenden Entwurf genauer anzusehen und eine Stellungnahme einzusenden.
Die schlechte Nachricht ist, dass sich die Umsetzung an den Vorgaben des völlig realitätsfernen und widersprüchlich formulierten Artikel 17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie orientieren muss. Bis dessen Vereinbarkeit mit den Grundrechten endgültig geklärt sind, könnten noch Jahre vergehen, in denen sich das Internet durch seine Umsetzung grundlegend verändern könnte.
Die Texte der Kolumne “Edit Policy” stehen unter der Lizenz CC BY 4.0., hier übernommen von heise-online.
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