von Gert Samuel
Es hätte alles so schön werden können: Endlich, nach fast sieben Jahren des wartens kam Anfang Januar 2020 die Nachricht zum Erscheinen des neuen Albums der Gruppe aus Seattle. Für den 27. März 2020 wurde der Verkauf von „Gigaton“, das elfte Studioalbum von Pearl Jam, angekündigt. Zudem gab die Band die Tourdaten für die Konzerte in Nordamerika bekannt – vom 18. März in Toronto bis zum 19. April in Oakland. Die Termine für die Europatournee standen schon seit Dezember 2019 fest: vom 23. Juni in Frankfurt bis 23. Juli in Amsterdam. Die Tickets für viele Auftritte waren wie gewohnt schnell ausverkauft. Für das Konzert in der Frankfurter Festhalle hatte ich Karten gesichert.
Unmittelbar nach diesen erfrischenden Nachrichten verabreichte die Gruppe Häppchen der neuen Scheibe per Internet. Die erste Auskopplung »Dance of the Clairvoyants« Ende Januar spaltete die Fans, sorgte andererseits natürlich für wachsendes Gespanntsein auf die weiteren Songs. Mitte Februar wurde »Superblood Wolfmoon« als zweite Single aus dem Album veröffentlicht.

Dann kam Corona. Im Bundesstaat Washington starben Anfang März auffallend geballt die ersten US-Bürger*innen an Corona. Zu einem Zeitpunkt, als in den USA noch kaum ein*e Politiker*in dieses Wort benutzte und vor dem Erscheinen von »Gigaton« cancelte Pearl Jam umgehend die US-Tour. Anfang April folgte die Absage der Europa-Tour, konkreter, sie wurde auf unbestimmte Termine verschoben.

Im Oktober 1990 startete diese Band aus Seattle. Auf das Album Nummer 11 mussten die Fans lange warten, vielleicht auch deshalb, damit es im Jubiläumsjahr – „30 Jahre Pearl Jam“ – erscheinen sollte? Geplant waren eine Tour durch Nordamerika sowie eine durch Europa. Gut möglich, dass es anschließend in den USA weiter gegangen wäre, um im US-Wahlkampf aktiv zu sein und im Oktober 2020 eine große Jubiläums-Show zu veranstalten? Das Eingreifen in den Wahlkampf hat Pearl Jam schon häufig praktiziert. Zum Beispiel mit der „Vote for Change Tour 2004“. 2002 veröffentlichten sie „Riot Act“, das Album nach dem „Beinahe-Ende“ der Gruppe nach den neun Toten beim Konzert in Roskilde am 30. Juni 2000 und nach 9/11. Eddie Vedder, der Leadsänger und Gitarrist, trat mit einer Maske als G. W. Bush auf („Bu$hLeaguer“) – wie zu hören und zu sehen, gefiel das nicht allen Fans in den USA.

Auch die neue Scheibe mischt sich musikalisch in die aktuellen Abläufe ein. Auch wenn die „professionelle“ Kritik („rollingstone“, „musikexpress, „classicrock“) »Gigaton« meist verreisst – erfrischend konträr dazu allerdings hier –, halte ich dieses Album für sehr gut gelungen: Eine klasse Mischung aus schnellen rockigen sowie ruhigen anregend nachdenklichen Songs, sowie dem überraschenden „Dance of the Clairvoyants“. Zudem überzeugen die Texte. Für mich reiht es sich damit direkt neben „Riot Act“ ein. Gut in diese Corona-lastige Zeit passt „River Cross“ und die gespannte Erwartung auf die Umsetzung der zwölf neuen Songs auf den Bühnen wächst mit dem zuletzt veröffentlichten Video zu „Retrograd“.

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