Von Günter Bannas
Die Närrinnen und Narren seien „für unsere Demokratie und unser Gemeinwesen unentbehrlich“, hat Angela Merkel Anfang des Jahres gesagt, als die Abordnungen deutscher Karnevalsvereine bei ihr zu Gast im Kanzleramt waren. Bei nämlicher Gelegenheit im Jahr zuvor verwandte sie die Formel, die Karnevalisten stünden zwar nicht in der Verfassung, seien aber „in guter Verfassung“. Nun aber, in Coronazeiten, geht es darum, den Karneval 2020/21 abzusagen – heißt, zu verbieten. Dass die Debatte vom aus Westfalen stammenden Jens Spahn losgetreten wurde, hat aus Sicht des Rheinlands ein landsmannschaftliches Geschmäckle, auch wenn der Gesundheitsminister als Kind einmal ein Karnevalsprinz war. In Westfalen!
Was im politischen Milieu in Berlin und vielerorts in den Medien übersehen wird: Der Karneval in seinen Hochburgen Düsseldorf/Köln/Mainz bezieht seine Kraft aus widerständischen Elementen. Die Bildung des Festkomitees Kölner Karneval, auf dessen Mitwirkung die Berliner Politik nun angewiesen ist, war zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Versuch der preußischen Besatzer im Rheinland, den Karneval zu disziplinieren. Ausufernden Umtrieben sollte mit den Mitteln der Bürokratie Preußens Einhalt geboten werden. Doch der organisierte Karneval mit seinen Sitzungen und Umzügen stand und steht in Konkurrenz und auch Gegnerschaft zum sogenannten Straßenkarneval. Die Närrinnen und Narren kostümieren sich, ziehen nichtorganisiert umher und singen in den Kneipen. Und als 1991 wegen des ersten Golfkrieges auf politischen Druck hin die Rosenmontagszüge abgesagt wurden (bezeichnenderweise zuerst in den Landeshauptstädten Mainz und Düsseldorf, erst danach in Köln), wurde eine im Ersten Weltkrieg verbotene, fast vergessene Tradition in Köln wiederbelebt: der Geisterzug, eine Veranstaltung vorbei am Festkomitee. Tausende Anti-Kriegsdemonstranten und Karnevalisten zogen nachts durch die Stadt.
Schützenfeste in Westfalen etwa können abgesagt werden; sie finden dann eben nicht statt. Sitzungen mit Karnevals-(Bütten-)Reden können nach Abstandsregeln oder als Fernsehveranstaltungen organisiert werden, so wie auch Spiele der Bundesliga. Ein in Berlin erdachtes Verbot des Karnevals am Rhein durchzusetzen aber, würde für die Polizisten kein Zuckerschlecken sein, im Dunkeln, in den Lokalen. Siehe die Ereignisse jüngst in Stuttgart und Frankfurt. Am Rhein wäre dann Schluss mit lustig.
Günter Bannas ist Kolumnist des HAUPTSTADTBRIEFS. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “DER HAUPTSTADTBRIEF AM SONNTAG in der Berliner Morgenpost”, mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion. © DER HAUPTSTADTBRIEF
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