von Michael Kleff
Die schöne neue Welt, die vor uns liegt,
So schön, dass man davon kalte Füße kriegt,
Wird morgen Wirklichkeit, wenn wir nichts dagegen tun.
Die Pillen gibt es längst, die man nur schlucken muss,
Fürs Glücksgefühl und gegen Überdruss.
Wir werden schon verplant und schauen auch noch ruhig zu.

Die neue Welt wird Wirklichkeit.
Die Pläne liegen längst griffbereit.
Bis morgen ist es nicht mehr weit.
Die schöne neue Welt beginnt schon heut.

Das „heute“ in diesem Liedtext war vor vierzig Jahren. Gesungen wurde es 1980 von … – ja, von wem? Beim Lesen des Refrains fällt die Antwort fachkundigen Liedfans bestimmt einfach:

Liebe wird verboten,
Denn Liebe bringt Gefahr für den neuen Staat,
Und Gefühle stören da nur.
In der Welt von morgen
Klappt alles wunderbar,
Ja, du wirst schon sehn:
Morgen funktionierst dann auch du.

Peter Maffay hat „Liebe wird verboten“ für sein Album Revanche aufgenommen. Ganz schön weitsichtig des von so vielen als Schlagerfuzzi abgetanen Musikers. Machen wir doch den Realitätscheck. Verplant werden wir schon lange und wir schauen dabei nicht nur ruhig zu, sondern viele Mitmenschen beteiligen sich durch die Aufgabe ihrer Privatsphäre sogar völlig freiwillig an diesem Prozess. Und die Pillen für das Glücksgefühl und den Überdruss? Die gibt es in Form von einlullender Dauerberieselung auf allen TV- und Rundfunkkanälen. Natürlich gibt es viele Künstlerinnen und Künstler, die sich mit ihren Aktivitäten gegen den Strom stellen. Doch es sei die Frage erlaubt: Was soll’s? Die Liste der Songs – und ich gehe dabei nur bis Anfang der Sechzigerjahre zurück –, die gesellschaftliche Missstände anprangern, ihre Ursachen nennen und oft sogar Alternativen aufzeigen, ist endlos. Wahrscheinlich könnten wir ein Folker-Sonderheft zu diesem Thema zusammenstellen … Hm, gar keine so schlechte Idee, oder? Doch die Demonstration in Berlin Anfang August gegen die Corona-Auflagen lassen daran zweifeln, dass solche Lieder eine Mehrheit der Menschen überhaupt erreichen. Der Sozialstaat wird rechts und links abgebaut, die Überwachung unserer Gesellschaft wird perfektioniert, Mieten sind nicht mehr bezahlbar, das parlamentarische System wird vom Kapital ausgehöhlt … Dagegen gibt es kaum Proteste auf den Straßen. Doch Tausende sehen ihre Freiheit gefährdet, weil sie Masken zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz ihrer Mitmenschen tragen sollen. Ich glaube, es ist an der Zeit, einmal deutlich zu machen, was Freiheit wirklich bedeutet.
Die Diskussion um die Coronapandemie hat – offensichtlich sehr zur Freude so mancher Politiker und Unternehmen – viele dringende Probleme aus der öffentlichen Debatte verdrängt. Klimawandel? Armut? Demokratieabbau? Dafür ist jetzt keine Zeit. Und auch die Datensammler und Monopolisten von Amazon, Apple, Facebook, Google und Co. gehen nicht nur unbedrängt ihren Geschäften nach, sondern sie erweisen sich auch noch als die großen Gewinner der derzeitigen Gesundheitskrise. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit mussten ihre Führer Ende Juli dem US-Kongress Rede und Antwort über ihre Geschäftspraktiken stehen. Besonders interessant waren dabei weniger die persönlichen Aussagen der geladenen Vertreter der Technologieunternehmen als vielmehr Schriftverkehr aus den vergangenen fünfzehn Jahren, der unter Strafandrohung dem Parlamentsausschuss vorgelegt werden musste. Daraus geht hervor, dass vor allem Facebook und Amazon bei ihrem Aufstieg zu Monopolisten nicht immer mit fairen Mitteln vorgegangen sind. Die Texte weisen nach, dass es heute ohne ihre illegalen Manöver kein „Big Tech“, sondern eher eine ganze Reihe kleinerer und spezialisierter Technologiefirmen geben würde. So belegen E-Mails von Facebook-Chef Mark Zuckerberg, dass er schon seit 2008 eine Strategie verfolgte, um aufkommende Firmen zu kontrollieren, die er als Bedrohung ansah. Seine Methode: gleich aufkaufen oder ein Leistungsmerkmal des Konkurrenten kopieren, um ihn so zum Verkauf zu zwingen. Amazon ging ähnlich vor, indem das Unternehmen mit Dumpingpreisen Verluste in Kauf nahm, um so Mitbewerber in die Knie zu zwingen. Und Google? Ignorierte man dort anfangs Youtube als Produkt, sah man dessen Aufstieg dann als Bedrohung des eigenen Monopols als Suchmaschine. Die Lösung: Das Problem durch Kauf lösen!
Alle Big-Tech-Unternehmen entziehen sich dem Gerede von der Marktwirtschaft zum Trotz konsequent dem Wettbewerb. Schon John D. Rockefeller meinte beim Aufbau von Standard Oil in den Siebzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts: „Schließ dich uns an, oder rechne mit deiner Vernichtung.“ Bei Zuckerberg klingt das heute so: „Facebook kann wohl jedes konkurrierende Start-up kaufen.“ Mit jeder Suche auf Google, mit jeder Nachricht auf Facebook und jedem Einkauf bei Amazon wird deren Monopol gestärkt, dem Überwachungsstaat der Boden bereitet und zum Abbau der Demokratie beigetragen.
Was Peter Maffay vor vierzig Jahren in seinem Lied besang, ist längst von der Realität überholt worden. Eine Entwicklung, die wohl ebenso wenig wieder rückgängig gemacht werden kann wie die auf uns unaufhaltsam zurollende Klimakatastrophe.
Dieser Beitrag erscheint unter in der Reihe “Michael Sez” in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift Folker, hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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