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Decolonize Bonn

Offener Brief zum verantwortungsvollen Umgang mit den Verbrechen des Kolonialismus in Bonn
Am 9.3.2020 erhielten wir eine Antwort von Dr. Birgit Schneider-Bönninger auf unseren Brief zum verantwortungsvollen Umgang mit Verbrechen des Kolonialismus in Bonn, der uns wütend zurück ließ. Dr. Birgit Schneider-Bönninger formuliert darin, dass sie bezweifelt, dass Friedhöfe ein geeigneter Ort sind um die koloniale Vergangenheit Bonns aufzuarbeiten und dass sie die Beziehung von Lothar von Trotha und Bonn grundsätzlich in Frage stellt. Wir haben das Gefühl, dass hier Missverständnisse vorliegen, die wir mit diesem offenen Brief klarstellen möchten.

Zum Hintergrund: Bonn postkolonial beschäftigt sich seit 2017 mit postkolonialem Erinnern in Bonn. Wir sind als Initiative aus einem Lehrauftrag an der Universität Bonn entstanden und führen regelmäßig Stadtführungen zu kolonialen Spuren in Bonn durch, zum Beispiel in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung. Anlass des Entstehens unserer Initiative war und ist u.a. der Umgang der Stadt Bonn mit dem Grab Lothar von Trothas. Lothar von Trothas Grab wurde bis 2008 wohl fälschlicherweise als Ehrengrab auf einer Tafel am Poppelsdorfer Friedhof geführt. Obwohl dies bereits 2008 thematisiert, 2017 wieder aufgegriffen wurde und durch unsere Initiative nun erneut angeprangert wird, wurde der Name von der Tafel lediglich notdürftig abgekratzt und an manchen Tafeln händisch wieder hingeschrieben. Wir fragen uns nun, warum die Tafel bis heute nicht ersetzt wurde. Wir glauben, dass dies kein Zufall ist, sondern vielmehr mit eben jener Verdrängung kolonialer Geschichte in Deutschland zu tun hat. Deutschland tut sich immer noch schwer mit der Anerkennung seiner kolonialen Vergangenheit, da stellt die Stadt Bonn leider keine Ausnahme dar. Nach wie vor werden Kolonialverbrecherinnen in Deutschland geehrt, wie beispielsweise durch Straßennamen, durch Denkmäler oder eben durch Tafeln auf Friedhöfen. In Hamburg beispielsweise leben Studierende der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr im sogenannten Trotha-Haus auf dem Gelände der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne, zuständig dafür ist das in Bonn ansässige Verteidigungsministerium.

Zusätzlich irritiert uns, dass unser eigentliches Anliegen mit dem Brief wohl nicht recht verstanden wurde. Der Brief zeigt klar und deutlich, dass die Stadt Bonn weder das Bewusstsein für die Dimension des Genozids hat, noch sensibel für die deutsche Kolonialvergangenheit ist, ganz zu schweigen von den kolonialen Kontinuitäten bis ins Hier und Jetzt. Deswegen möchten wir an dieser Stelle folgendes nochmal verdeutlichen: Für uns geht es um eine Aufarbeitung des Genozids an den Herero und Nama, um eine Anerkennung der Gräueltaten, die dort u.a. durch den Schießbefehl Lothar von Trothas verübt worden sind, um die verheerenden Konsequenzen, die die betroffenen Gemeinschaften bis heute ertragen müssen. Dabei spielt es keine Rolle, wie lange Lothar von Trotha in Bonn gelebt hat, was er hier getan oder eben auch nicht getan hat. Es geht vor allem darum, sich kritisch mit der eigenen Stadt auseinanderzusetzen, denn: Lothar von Trotha liegt hier begraben! Die Stadt Bonn muss einen Beitrag zu Entschuldigung, Wiedergutmachung und Reparation leisten. Bonn als internationale Stadt sollte hier eine Vorreiterrolle einnehmen und sich nicht damit aus der Verantwortung ziehen, dass Lothar von Trotha „lediglich in Bonn begraben ist“ oder auf ein Projekt verweisen, welches einmalig 2013 stattgefunden hat. Wir fordern von der Stadt Bonn, sich systematisch mit den eigenen kolonialen Spuren auseinander zu setzen, Verantwortung zu übernehmen und einen Umgang zu entwickeln. Im Falle des Grabes von Lothar von Trotha bedeutet dies für uns, seinen Namen nicht nur von der Tafel zu streichen, sondern sich proaktiv und kritisch mit seiner Person zu beschäftigen und das Grab zumindest kritisch zu kommentieren (und in einen historischen Kontext zu setzen). Dies sollte vor allem in Kooperation mit den Nachfahren der Überlebenden des Genozids an den Herero und Nama passieren. Gerade die Stimmen der Opfer sollten hier sichtbar gemacht werden.

In verschiedenen deutschen Städten, wie Berlin und Hamburg, aber auch in kleineren Städten wie Erfurt wird zur Zeit daran gearbeitet, ein postkoloniales Erinnerungskonzept für die jeweilige Stadt zu erarbeiten. Gerade Bonn als internationale Stadt mit UN-Sitz sollte sich auch dazu bekennen, sich kritisch mit den eigenen Bezügen auseinanderzusetzen und den Schritt wagen. Heutzutage ist es gerade für eine Stadt wie Bonn, die sich so sehr auch als international und weltoffen präsentiert, wichtig ein Gegengewicht zu rechten Tendenzen in unserer Gesellschaft zu bilden. Erst kürzlich hat die AfD im Bundestag ihre Ideen zum Umgang mit dem kolonialen Erbe veröffentlicht und sich dabei verherrlichend auf den Kolonialismus bezogen. Dieses Thema darf die Stadt Bonn nicht den rechten Kräften überlassen, sondern sich proaktiv und bekennend der eigenen Verantwortung stellen und so die eigene Weltoffenheit und antidiskriminatorische Agenda bekräftigen.

Aus diesem Grund fordern wir alle OB-Kandidatinnen auf, namentlich Ashok Sridharan (CDU), Lissi von Bülow (SPD), Katja Dörner (Grünen) und Michael Faber (Linke), sich auf angemessene und respektvolle Art und Weise der Thematik anzunehmen. Es kann nicht sein und ist eine Kontinuität der Kolonialzeit, dass eine ganze Stadt schweigt oder in Unwissenheit gehüllt ist, darüber dass ein Kolonialverbrecher in einem (Ehren-)Grab auf dem Poppelsdorfer Friedhof liegt und Verantwortung für einen Völkermord trägt, für den sich bisher nicht offiziell entschuldigt wurde und Entschädigungen und Reparationen vergebens gefordert werden.

Wir fordern für Bonn eine Auseinandersetzung mit folgenden Punkten für OB-Wahlen:

Erstellung eines postkolonialen Erinnerungskonzepts für die Stadt Bonn unter Einbeziehung von Menschen, die von Rassismus betroffen sind und Menschen afrikanischer Herkunft
Entwicklung eines angemessenen Umgangs mit dem Grab von Lothar von Trotha unter Einbeziehung der Perspektiven von Nama und Herero
Entwicklung eines angemessenen Umgangs mit Exponaten in Bonner Museen, die aus der Kolonialzeit stammen und als Raubobjekte nach Bonn gekommen sind
Auseinandersetzung mit kolonialen Strukturen und Praxen in der Gegenwart, wie z.B. Umgang mit Geflüchteten Menschen in Bonn und Racial Profiling

Wir können hier nur noch einmal wiederholen: Für Bonn ist es höchste Zeit, sich ihrer historischen Verantwortung im Sinne der UN-Weltkonferenz von 2001, der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung 2015-2024, des Koalitionsvertrages der Bundesregierung von 2018 und der Beschluss des Europäischen Parlaments vom 26. März 2019 zu den Grundrechten von Menschen afrikanischer Abstammung in Europa zu stellen. Die Initiative Bonn postkolonial ist gern bereit, Sie dabei zu unterstützen und zu beraten.

Mit freundlichen Grüßen
Bonn postkolonial
Bonn, 15.06.2020

Zu diesem Thema gab es kürzlich diese Berichterstattung des GA sowie eine kritische Kommentierung (Paywall). Extradienst- und GA-Leser Klemens Roloff schrieb dazu den folgenden Leserbrief, den wir mit seiner freundlichen Genehmigung dokumentieren:

Soll die Stadt Bonn dem General des deutschen Kaiserreichs Lothar von Trotha ein ehrendes Andenken bewahren? Auch wenn er für den Völkermord an den Herero im damaligen Deutsch-Südwest verantwortlich war? Oder soll sie es alseinen Zufall abtun, dass er auf dem Poppelsdorfer Friedhof begraben ist?
Ich selbst, als Bonner Bürger, kann damit leben, dass ein Rassist und Mörder auf Bonner Boden seine sogenannte letzte Ruhestätte gefunden hat. Irgendwo müssen die Gebeine eines Verstorbenen nun mal aufbewahrt werden, bevor er sich dereinst wieder aufrappeln muss, um vor den Schranken des Jüngsten Gerichts zu erscheinen.

Aber ich kann mich nicht damit einverstanden erklären, dass eine dickfellige Stadtverwaltung durch Ignoranz und Nichtstun dem Disput um das Ehrengrab von Trothas immer wieder neue Nahrung gibt. Der Bonner Oberbürgermeister (bzw. seine Nachfolgerin) sollte die leidige Debatte kurzfristig zur Chefsache erklären und die Frage nach dem Umgang mit der Grabstätte rasch zu einem konstruktiven Ende bringen. Stadtarchivar Norbert Schloßmacher hat den Weg bereits vorgezeichnet: Ein “Projekt der Erinnerungskultur” soll ausloten, wie die Stadt Bonn mit ihrem historischen Erbe von Ernst Moritz Arndt bis zum “Haus zum Mohren” umgehen soll. Begründung: Man kann die eigene Geschichte nicht verschweigen.

Außerdem: Man kann nicht Beethoven-Stadt sein wollen, aber zugleich auch Denkmalspflege für einen Kriegsverbrecher betreiben. Kulturdezernentin Birgit Schneider-Bönninger sollte dafür von Amts wegen ein ausgeprägtes Gespür haben: Der Schöpfer von “Seid umschlungen Millionen” und der General, der Frauen, Kinder und Greise in die Wüste treiben und dort durch Verdursten zugrunde gehen ließ, haben nichts miteinander gemein, auch wenn der eine in Bonn geboren wurde und der andere in Bonn begraben ist. Andenken, Ehre und Verehrung gebühren gewiss nur Beethoven.
Mit den besten Grüßen,
Klemens Roloff

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Ein Kommentar

  1. Annette

    Tolle Sache, dieses Bonn Postcolonial

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