von Verónica Gagos
„Acht Thesen zur feministischen Revolution“ sind eine Zusammenfassung ihres Buches „La potencia feminista“ und zugleich eine Diskussionsgrundlage, die in Kollektiven diskutiert werden sollte. Es geht um das Potenzial und die neuartige Macht, die die feministische Bewegung entwickelt: das Potenzial, Grenzen zu identifizieren, zu hinterfragen und zu durchbrechen, die unser Denken und Handeln einengen. Die Rosa Luxemburg Stiftung hat im Februar 2020 die Thesen auf Deutsch veröffentlicht. (Eine aktualisierende Kommentierung der Autorin folgt morgen.)

1. Das Werkzeug des feministischen Streiks ermöglicht uns, neue Formen der Ausbeutung von Körpern und Territorien aus einer Position heraus zu kartieren, der es gleichzeitig um Sichtbarmachung und Ungehorsam geht. Der Streik zeigt, wie heterogen sich Arbeit aus feministischer Sicht darstellt, indem er auch traditionell abgewertete Tätigkeiten umfasst und auf eine generelle Prekarisierung verweist. Der Streik macht sich ein traditionelles Mittel des Arbeitskampfes zu eigen, sprengt seine Grenzen und erfindet es neu.
2. Mit dem Streik haben wir einen neuen Gewaltbegriff entwickelt. Wir sprengten das Ghetto der häuslichen Gewalt und fingen an, auch von ökonomischer, beruflicher, institutioneller, polizeilicher, rassistischer und kolonialer Gewalt zu sprechen. Auf diese Weise kamen die natürlichen Verbindungen zwischen Machismus, Femiziden und dem aktuellen kapitalistischen Akkumulationsprozess zutage. Der antikapitalistische, antikoloniale und antipatriarchale Charakter der feministischen Massenbewegung rührt von dieser praktischen Analyse her.
3. Die aktuelle feministische Bewegung weist zwei besondere Eigenschaften auf: Sie ist eine Massenbewegung und sie ist radikal. Diesen Spagat schafft sie, indem sie sehr unterschiedliche Kämpfe zusammenbringt. So erfindet und kultiviert sie eine Art von transversaler Politik.
4. Die feministische Bewegung übt eine neue Art von Kritik an politischer Ökonomie. Sie prangert die Bedingungen an, unter denen gegenwärtig Wert erzeugt wird, und aktualisiert damit unser Verständnis von Ausbeutung. Gleichzeitig erweitert sie das Konzept dessen, was allgemein unter Wirtschaft verstanden wird.
5. Die feministische Bewegung besetzt die Straßen, trifft sich zu Versammlungen, schmiedet territoriale Allianzen und erstellt Diagnosen der politischen Konjunktur. Sie erzeugt eine Gegenmacht, die sich Rechte erkämpft und gleichzeitig einen radikalen Horizont beibehält. Damit demontiert sie den Gegensatz zwischen Reform und Revolution.
6. Die aktuelle feministische Bewegung bringt einen neuen Internationalismus hervor. Dabei geht es nicht darum, den verschiedenen Kämpfen eine abstrakte Struktur aufzuerlegen, sie zu homogenisieren und dadurch auf eine „höhere“ Ebene zu heben. Ganz im Gegenteil: Sie wird an jedem einzelnen Ort als spürbare Kraft wahrgenommen, die ausgehend von Körpern und individuellen Lebensverläufen transnationale Dynamiken auslösen kann. Somit ist die feministische Bewegung eine global organisierte, destabilisierende, im Globalen Süden verankerte und von dort aus wirkende Kraft.
7. Die globale Antwort auf die transnationale feministische Bewegung ist eine dreifache Gegenoffensive: militärisch, wirtschaftlich und religiös. Dies erklärt, weshalb der Neoliberalismus heutzutage auf konservative Politik angewiesen ist, um seine Regierungsform aufrecht zu erhalten.
8. Heutzutage ist die feministische Bewegung mit der abstraktesten Form des Kapitals konfrontiert: dem Finanzkapital, sprich jener Herrschaftsform, die Widerstand zwecklos erscheinen lässt. Die feministische Bewegung richtet sich jedoch gegen die Finanzialisierung des Lebens – die besteht, wenn das Leben an sich schon Schulden „produziert“ – und beginnt, auch die neuen Formen der Ausbeutung und die Extraktion von Wert zu bekämpfen.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 439 Okt. 2020, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung von der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn.

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