Jetzt schon über Weihnachten reden? Wie im Brennglas zeigt diese Diskussion die Hilflosigkeit der politischen Führungsspitze angesichts Corona – und wie wenig Vertrauen sie in die Bevölkerung hat
Fröhliche Weihnachten! Verfrüht? Nein. Die Geschäfte sollen wir stürmen, jetzt schon, ganz schnell und viele, viele Geschenke kaufen, denn der Einzelhandel leidet. Die Aufforderung ist ein mutiger Schritt in die richtige Richtung, greift aber zu kurz. Wenn schon, denn schon. Es ließen sich doch gewiss bereits einige Osterüberraschungen finden. Es kommt nur auf den Willen an.

Wie im Brennglas zeigt sich beim Thema Weihnachten die Hilflosigkeit der politischen Führungsspitze im Umgang mit Corona – und wie wenig Vertrauen sie in die Bevölkerung setzt. Nachdem sie die alte Streitfrage klar entschieden hat, ob das christliche Fest nicht allzu sehr kommerzialisiert wurde – ganz im Gegenteil! Kauft, Leute, kauft! –, drückt sie zugleich auf die Tränendrüse. Wenn wir jetzt alle brav sind, dann dürfen wir das Fest der Liebe mit der ganzen Familie feiern, auch mit der Risikogruppe der Alten. Wem da nicht die Augen feucht werden, hat kein Herz.

Ich habe keines, sondern halte diese inhaltsleere Fixierung auf Weihnachten für sentimentales Gewäsch. Die meisten alten Menschen, die ich kenne, sind sehr viel realistischer, als die Regierung es ihnen offenbar zutraut. Ja, es wäre schade, wenn sie die Feiertage allein verbringen müssten, aber ein Weltuntergang sieht anders aus.

In der Tat besteht ein großer Unterschied zwischen der Situation eines Menschen, der einsam zu Hause sitzt, weil niemand ihn um sich haben möchte, und jemandem, der oder die nicht so dringend Besuch haben oder eine Reise antreten möchte, weil gerade eine Seuche grassiert. Übrigens bin ich dankbar, dass meine 89-jährige Mutter sich der Aufforderung zum Konsum widersetzt und jetzt nicht ihre vornehmste Lebensaufgabe darin sieht, das Leid des Einzelhandels zu lindern. Dabei bekomme ich gerne Geschenke.
Symbolpolitik anstelle zielgerichteten Handelns
Nun drehen immer mal wieder Leute durch, wenn es um Weihnachten geht, das Recht darauf sollte auch einer Regierung nicht verwehrt werden. Wenn es denn dabei bliebe. Und sich nicht täglich der Eindruck verstärkte, dass Symbolpolitik an die Stelle zielgerichteten Handelns tritt.

Warum genau darf jetzt niemand in einem Hotel übernachten? Was ja ohnehin unter den gegenwärtigen Umständen kaum jemand aus Spaß an der Freud tut, weil nämlich die Hygienepläne sowohl Spaß als auch Freude verderben. Als „Hotspots“ sind Hotels bisher nicht bekannt geworden. Das Wort „Signal“ fällt dann gerne. Das reicht nicht, schon gar nicht, wenn Existenzen auf dem Spiel stehen. Ein „Signal“ wird Kleinkindern gegeben. Die Bevölkerung besteht aber nicht aus Kleinkindern. Sondern – mehrheitlich – aus Erwachsenen. Die auch – mehrheitlich – nicht blöd sind.

Deshalb akzeptieren diese seit Monaten die Einschränkung von Grundrechten, deshalb lassen sie der Regierung auch Fehler durchgehen. Aber sobald Vertrauen als Freibrief für Unfug missbraucht wird, schwindet die Bereitschaft zur Kooperation. Wenn es dahin kommt, dann ist das im Hinblick auf Corona gefährlicher als jede illegale Party.

Wenn beispielsweise ein Grundrecht wie das der Unverletzlichkeit der Wohnung verhandelbar wird, dann möchte ich dafür eine eindeutige Rechtsgrundlage bekommen und die Parlamente daran beteiligt sehen. Aber nicht hören, mit verdachtsunabhängigen Kontrollen seien Ordnungsämter sowieso überfordert – tolles Argument! –, und außerdem solle die Nachbarschaft die Augen offen halten, wer unartig sei. Nein. Bitte nicht. BlockwARTE hatten wir schon, das hat sich nicht bewährt. Corona kann viel bewirken. Auch die Zerstörung des demokratischen Systems? Hoffentlich nicht. Frohes Fest allerseits.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.

Über Bettina Gaus:

Bettina Gauss ( † ) war politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Ihre Beiträge sind Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.