von Britt Weyde und Gert Eisenbürger
Zur Lage der Bonner Informationsstelle Lateinamerika (ILA)
Für 2020 hätten wir uns vieles vorstellen können. Aber was dann kam, eine weltweite Pandemie mit vielen Todesopfern, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, vergangene und kommende Lockdowns in Lateinamerika wie in Europa – nein, das konnten wir uns wirklich nicht vorstellen.
Wie alle versuchen wir auch in der ila, damit umzugehen. Im März haben wir unsere Redaktionsarbeit und unser Layout weitgehend auf virtuelle Begegnungen und Homeoffice umgestellt. So haben wir es immerhin geschafft, die ila-Ausgaben dieses Jahres regulär rauszubringen.
Corona bzw. Covid 19 hat in diesem Jahr aber nicht nur unsere Redaktionsarbeit verändert und geprägt, die Pandemie nahm auch in der Berichterstattung der ila einen breiten Raum ein, waren doch manche Regionen Lateinamerikas davon massiv betroffen. Dort hat es noch mehr Opfer gegeben als in Europa. Auch einige von uns erhielten Nachrichten, dass Menschen, die sie kannten, an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben sind.
Auch wenn wir bisher weiter erscheinen konnten, wissen wir nicht, wie es längerfristig weitergehen wird. Ein Projekt wie die ila ist immer auch ein sozialer Zusammenhang, in dem sich Leute treffen und austauschen, miteinander diskutieren und vor allem bei den Layouts auch zusammen essen und trinken. Für soziale Projekte ist das enorm wichtig. Aber das kann im Moment – und niemand weiß, wie lange noch – nicht stattfinden. Sicher, redaktionelle Details kann man auch bei Videokonferenzen besprechen. Aber es war schon toll, als wir uns im Juni zum ersten Mal nach Monaten wieder zur Schwerpunktplanung 2020/21 persönlich trafen, auf einer Terrasse. Damals waren wir guter Dinge, dass wir langsam wieder zu einer gewissen Normalität im ila-Betrieb würden zurückkehren können. Es gab dann auch einige Arbeitsgruppentreffen mit drei/vier Leuten zur Diskussion der nächsten anstehenden Schwerpunkte. Für Herbst war angedacht, Redaktionssitzungen und Layouts zumindest teilweise wieder mit persönlicher Präsenz stattfinden zu lassen. Aber das entpuppte sich im Laufe des Septembers und vor allem des Oktobers als Illusion. Also weiter via Telefon, E-Mail und die vermeintlich „sozialen“ Netzwerke. Die „Normalität“ lässt auf sich warten, aber wir geben nicht auf.
Toll waren die vielen positiven Rückmeldungen, die wir von unseren Leser*innen bekommen haben. Viele Menschen haben uns mitgeteilt, dass es ihnen gut tat, wenn wieder eine ila im Briefkasten lag. Nicht nur wegen der Inhalte, sondern weil es auch ein Stückchen Normalität in komplizierten Zeiten bedeutete.
Neben den vielen neuen Herausforderungen, die 2020 brachte, bestehen auch die alten weiter, nämlich die jeden Monat anfallenden Kosten für Miete, Telekommunikation, Druck, Layout und die bescheidenen Löhne unserer Teilzeitmitarbeiter*innen. Diese Gelder haben wir für 2020/21 noch nicht zusammen.
In diesem Sinne freuen wir uns auch in diesem Jahr über Spenden (Spendenkonten bei der Postbank:
IBAN DE89 3701 0050 0058 3995 01 oder Sparkasse Köln Bonn: IBAN DE65 3705 0198 1934 9922 77). Und über neue Abos.
Vor allem wünschen wir unseren Leser*innen und uns, dass wir gesund bleiben bzw. dass diejenigen, die das Virus doch erwischt, das Ganze gut überstehen.
Von Tieren und Menschen
Editorial zum aktuellen Heft
Mit Aufkommen von Covid-19 wurde ein medizinischer Fachbegriff zum Allgemeinwissen: Zoonosen. Das sind die von Tier zu Mensch und umgekehrt übertragbaren Infektionskrankheiten. Vorherige zoonotische Viren wurden analysiert, ebenso die Frage, welche Faktoren zur Entstehung von Epidemien beitragen. Häufig stand und steht dabei die industrielle Tierhaltung in der Kritik (etwa bei der Schweinegrippe 2009 in Mexiko), ebenso das immer weitere Vordringen des Menschen in ursprüngliche Habitate von Wildtieren. Diese Debatten haben uns zu der grundsätzlichen Frage gebracht, wie das Zusammenleben von Mensch und Tier aktuell aussieht. Und wo es überall im Argen liegt.
Da sind zum einen die Wildtiere, mit denen zunehmend gehandelt wird. Dieser Handel ist nach dem mit Waffen und Drogen das drittgrößte illegale Geschäft weltweit, das zum Beispiel in der Amazonasregion eine wichtige Rolle spielt. Zum anderen gibt es die Tiere, die mit Menschen zusammenleben. In den Andenländern sind die Kameltiere (Alpakas oder Lamas) wichtige Nutztiere für die Indigenen. Oder die kommunikativen Meerschweinchen, die als wichtige Proteinlieferanten millionenfach verspeist werden. In unserem Schwerpunkt wird das Cuy allerdings nicht als kulinarische Köstlichkeit präsentiert, sondern es kommentiert, zur Comic-Figur geadelt, die Abgründe der peruanischen Gesellschaft. Nutztiere können zu echten Gefährten werden, wie auch der Alpakahirte aus Peru erzählt, der mit seinen Tieren spricht und weint, wenn es ihnen schlecht geht. Das erinnert an die Geschichte eines Freundes über seine Beziehung zu einem Huhn, als er Kind war. Wenn er von der Schule nach Hause zurückkehrte, kam stets das Huhn angelaufen und begrüßte ihn.
Im krassen Gegensatz dazu ist die Ausbeutung des Federviehs für den blutrünstigen Hahnenkampf. Womit wir beim Einsatz von Tieren für die menschliche Zerstreuung wären. Zum Beispiel in Zoos. Die wollen zwar auch Wissen vermitteln, aber beim Privatzoo von Drogenboss Pablo Escobar am kolumbianischen Magdalena-Fluss stand wohl eher die Prahlerei als die Pädagogik im Vordergrund. Tierrechtler*innen konnten sich am 30. November über diese Nachricht freuen: Die UNESCO hat den Antrag der „Internationalen Vereinigung für Stierkampfkunst“ (AIT) abgelehnt, darüber zu entscheiden, ob der Stierkampf als Weltkulturerbe anerkannt wird. Die daraufhin ausgebrochene erbitterte Diskussion wurde in Spanien zum Trending Topic auf Twitter.
Das Pferd hat in der Region des Río de la Plata eine fast schon mystische Bedeutung, als treuer Begleiter des Gaucho, weswegen es nicht verwundert, dass gerade dort erbitterte Diskussionen über Tierrechte geführt werden: Die Kritik richtet sich gegen die Müllsammler*innen, die vor ihre Karren Pferde spannen, um den gesammelten Müll zum Recyclingplatz zu transportieren. Ein Beispiel für die Diskussion über das Verhältnis von Menschenrechten zu Tierrechten. Viele Veganer*innen, die auch in Lateinamerika auf dem Vormarsch sind, schreiben sich die Rechte der Tiere auf die Agenda. Vertreter*innen der Agrarökologie weisen jedoch zu Recht darauf hin, dass der völlige Verzicht auf Tierhaltung nicht zielführend ist. Eine begrenzte und an die Fläche gekoppelte Haltung ist letztlich unverzichtbar, um nachhaltige Nährstoffkreisläufe (Stichwort: Düngemittel aus tierischen Substanzen) aufrechterhalten zu können. Ein Widerspruch zur veganen Welt. Als Teil der Naturrechte spielen Tierrechte wiederum eine wichtige Rolle in indigenen Kosmovisionen, und der amerindische Perspektivismus entwirft eine radikale Alternative zur Betrachtung von Mensch und Tier.
„Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandeln“, das wusste schon Mahatma Gandhi. Demnach sind alle Länder, die Tiere in Großmastanlagen quälen, moralisch ziemlich rückschrittlich. Argentinien schickt sich gerade an, mittels eines gigantischen Deals mit China zu einem Großexporteur von Schweinefleisch zu werden – auf Kosten von Tier und Mensch.
Mehrere Beiträge in diesem Schwerpunkt widmen sich der Darstellung von Tieren in der Literatur, sei es im Essay, im Roman, im Comic, im kunstvoll bebilderten Sachbuch für Kinder oder sogar in der Lyrik. Insofern hat uns die Beschäftigung mit dem facettenreichen und komplexen Verhältnis von Mensch und Tier viel Freude bereitet, trotz der häufig deprimierenden Gesamtlage der Tierrechte im Allgemeinen und des „Schweinesystems“ im Besonderen.
Mit dieser Ausgabe verabschiedet sich die ila-Redaktion in die Winterpause, die nächste ila erscheint Mitte Februar 2021. Wir wünschen allen Leser*innen schöne, erholsame und kurzweilige freie Tage.
Und der Beueler Extradienst dankt seinerseits für die freundliche Genehmigung zur Übernahme zahlreicher wichtiger Texte.
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