Dieser Text gefährdet Ihr Wohlbefinden
Heute haben sich die (Zwischen-)Bilanzen der “Arabellion” gehäuft. Die sollten Sie nicht übergehen. Allzu selten interessiert sich hiesige Öffentlichkeit für die gesellschaftliche Tiefenströme unter der Oberfläche der Ereignisse. Noch beschäftigen hiesige Medien qualifizierte Korrespondent*inn*en und Autor*inn*en, die uns Wichtiges erklären können.
Die FAZ hat die ausführliche Bilanz von Christoph Ehrhardt und Rainer Hermann mittlerweile leider eingemauert (Paywall). Deren Wissen ist zum Glück nicht exklusiv. Karim El-Gawhary/taz, dessen Vater Magdi mir in den 70er und 80er Jahren ein wichtiger politischer Freund war, sieht den nächsten Sturm heraufziehen, Er übertreibt nicht.
Martin Gehlen/FR benennt als politökonomische Ursache den Rentierstaat, eine klassische Armutsursache zahlreicher rohstoffreicher aber dennoch verarmter Staaten. Ihre Regierungsform ist faktisch immer feudalistisch. Die Regierenden lassen sich von den reichen Ländern bezahlen und militärisch auf- und ausrüsten, um das Volk, wenn es sein muss (es sich z.B. zu arbeiten weigert und streikt/demonstriert), einzusperren oder auch zu erschiessen. Die wachsende Mehrheit der jungen Menschen wird sich das immer weniger gefallen lassen. Sie wehren sich entweder politisch und kollektiv (zuletzt Sudan, Algerien, Libanon), oder individuell: wenn das Geld reicht, durch Auswanderung.
Der Horizont endet nicht in Nahost
Die Begrenzung des deutschen Blicks auf den arabischen Raum ist jedoch kaum angemessen. Der schon erwähnte Sudan, z.Z. in einer Phase von Hoffnung, ist ein wichtiges Transitland für fast alles: Terrorismus und seine Opfer. Er wird vom Nil durchflossen, der mit seinem Wasser auf seiner kompletten Länge (knapp 7.000 km) eine Quelle von Reichtum und Konflikten ist, die bis zum militärisch hochgerüsteten und von allen Grossmächten besetzten Djibouti und zum Failed State Somalia reicht. Gegenüber von Somalia der verwüstete Jemen.
Das seinerseits verwüstete Somalia bildet die Konfliktklammer zum südlichen Ostafrika, das nach dem globalen Lockdown des Tourismus vollständig aus europäischer Wahrnehmung verschwindet. An den Krisenteilnehmer Kenia schliessen sich jedoch nicht minder kriselnde Staaten wie Tansania und Mosambik an: Opfer von Bürgerkriegskonflikten, marodierenden Despoten und der mannigfachen Klimakatastrophen. Was würden Sie tun, wenn Sie dort leben müssten? Würden Sie bleiben, wenn sie wegkönnten?
Wenn sich unsere Mächte für diese Probleme nicht interessieren, kommen die Probleme zu uns. Manches ist so einfach. Und vernünftig. Die Unvernunft meint, Drohnen würden dagegen helfen (Audio 8 min), weil sie “unsere Soldaten” keineswegs schützen, sondern in neue Kriege schicken will – vernünftig ist das nur aus der Perspektive von Aktienbesitzern der Rüstungsindustrie – und jener, die sie für diese Ansicht bezahlen. Sie sollten nach Jemen schauen: dort hatte es schon Barack Obama mit dieser Methode versucht.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net