Seit Beginn der Kulturgeschichte der Menschheit entstanden immer wieder Mythen, Sagen, Fantasien und Legenden, um mit dem Unbekannten und Unerklärlichen umzugehen. Fast jedes Volk hat sich eine fiktive Welt von Gottheiten geschaffen bzw. ausgedacht, hat Vorstellungen über die Entstehung der Welt und der Menschheit entwickelt, hat Vorhersagen über den Zustand nach dem Tode getroffen und hat aus all diesem Verhaltensregeln abgeleitet.
Alle Religionen beruhen auf angeblichen, aber unbewiesenen Offenbarungen und auf dem, was ihre Begründer erdacht und formuliert haben. Die Weltreligionen Christentum und Islam haben sich durchgesetzt, wahrscheinlich aufgrund ihrer außergewöhnlichen Gründungserzählungen und wegen des Monotheismus,1) gewiss aber auch durch Imperialismus und Kolonisierung.
Bis ins Mittelalter war unser Leben geprägt von Legenden, Mythen, Visionen und Verschwörungsthesen, diese insbesondere bei Schuldzuweisungen für Katastrophen (Hexen, Juden, Illuminaten, Freimaurer). Die Erwartung, dass Aufklärung und wissenschaftlicher Fortschritt dem ein Ende bereiten würden, war ein Irrtum. Glauben und Dogmen haben sich als ausgesprochen widerstandsfähig erwiesen.
Schwerpunkt dieser überraschenden Beharrlichkeit sind die USA. Während nahezu weltweit die Evolutionstheorie anerkannt wird, wonach die Entwicklung des Menschen und der Erde als wissenschaftlich erforscht und belegt gilt, spielt in den USA der Kreationismus eine große Rolle, Danach sei die Entwicklung so verlaufen, wie es in der Bibel geschrieben steht, also basierend auf erfundenen und unbewiesenen Aussagen. Mehr als 40 % der Amerikaner/innen folgen diesem Glauben. Aufgrund des Drucks der christlichen Kirchen, insbesondere der evangelikalen Sekten, wird nur in 30 % aller Schulen die Evolutionstheorie gelehrt.2)
Die große Bereitschaft der US-Amerikaner/innen, alternativen Fakten zu glauben, wie sie zuletzt von Trump verbreitet wurden, hat ihre Ursache also bereits im Schulunterricht. Schon dort wird mit dem Kreationismus die Grundlage für die Akzeptanz von Mythen und Verschwörungstheorien gelegt. Wer gelernt hat, dass die Erde erst 6.000 bis 10.000 Jahre alt ist, wird vielleicht auch glauben, dass Corona-Zwangsimpfungen die Menschheit versklaven sollen. Damit schließt sich der Kreis zwischen Religion, Mythos und Verschwörung.
Erschreckend ist, dass sogar Parlamentsabgeordnete der USA solchen Denkweisen anhängen. Es kann nicht überraschen, dass die USA den Nährboden für Verschwörungstheorien verschiedenster Art bilden (Qanon, UFOs und Aliens, fiktive Mondlandung). Wir werden wohl damit leben müssen.
Anmerkungen
1) Das Judentum ist die dritte monotheistische Religion, zahlenmäßig jedoch unbedeutend. Die weiteren Weltreligionen sind anders strukturiert. Der Hinduismus ist eine Überlagerung verschiedener Teilreligionen mit gemeinsamer Tradition und einer Götterwelt mit drei Hauptgöttern. Der Buddhismus ist keine theistische Religion und kennt keinen allmächtigen Gott. Buddha war Philosoph und Begründer dieser Gedankenwelt. Der Taoismus ist eine Mischung aus Religion, Philosophie und Weltanschauung und kennt eine Vielzahl von Göttern und Geistern.
2) Auch im Islam und im orthodoxen Judentum gibt es vereinzelt Anhänger/innen des Kreationismus.
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