Seit mehreren Jahrzehnten ist eine Sinn- und Inhaltsentleerung der demokratischen Parteien zu verzeichnen. Unter dem Druck kapitalistisch und algorithmisch programmierter Medien lassen sie sich zwingen, Streit zu vermeiden, oder wenigstens zu verbergen. So leisten sie einen “wichtigen” Beitrag zur Verarmung öffentlicher Diskurse. Analysen von Rahmenbedingungen und Strukturen fallen und sterben aus. Stattdessen kehrt zurück, was ich als Kleinkind bereits in den schwarz-weissen TV-Western lernte: wer sind die Guten, wer sind die Bösen? Das wird an denen festgemacht, die die Hauptrollen ergattert haben.
Wohin das führt, hat die kluge Isolde Charim/taz jüngst am Beispiel Österreich beschrieben. Bundeskanzler Kurz ist für die rechten Kreise in CDU und CSU ein Rollenvorbild. Es bleibt abzuwarten, ob er darüber stürzt. Auch in Österreich ist die Medienszenerie und Parteienlandschaft hinreichend degeneriert, dass das nicht mehr zwingend ist.
Die Grünen haben sich da vieles abgeguckt. Ihre Parteispitze ist optimal medienkompatibel. Ihre Pressesprecher*innen sind in Berlin “verhasst”. Auch das ist optimal, wenn andere den “Hass” auf sich ziehen, und die Stars leuchten können. Ähnlich wie bei Kurz bestehen ihre Netzwerke nicht aus gesellschaftlich verankernden Strukturen, sondern aus voluntaristisch konfigurierten Seilschaften. Die bauen nun schon vor der Bundestagswahl aussenpolitische Unfälle und Scherbenhaufen – selbstverständlich nicht wahlentscheidend, und darum den Stars vergleichsweise egal.
Vorrangiges strategisches Ziel der Grünen Parteispitze ist, die legitime Nachfolge der deutschen Regierungspartei CDU/CSU anzutreten. Mit allen “können”, und immer so vermitteln und managen, dass es am Ende ein Vorteil für sich selbst ist. Vieles spricht dafür, dass das erfolgreich sein kann. Denn die Post-Merkel-CDU erweist sich als immer unfähiger, diese Aufgabe zu wuppen. Und gesellschaftliche Gegenkräfte gibt es nicht. Obwohl: doch!
Die Klimakrise hat (fast weltweit) den ersten Platz auf der politischen Agenda erobert (dieser Link führt zu einem sehr lesenswerten FR-Interview mit Colin Crouch). Am meisten dafür gesorgt hat, neben den wissenschaftlich belegten objektiven Klimaentwicklungen und -folgen, die ausserparlamentarische Bewegung Fridays For Future, die mit ihrer globalen Vernetzung neue organisationspolitische Massstäbe setzt. Wiederkehrende Forderung: nicht nur schwätzen, sondern handeln. Und das schnell. “Wir haben zehn Jahre, um unsere Ziele zu erreichen und müssen jetzt beginnen. Auf geht’s!”
Richtig. Und damit haben Frau Baerbock und Herr Habeck ein Problem, das ihre Beratungsseilschaften noch nicht hinreichend überdacht haben. Wenn globales Klimaretten der wichtigste Politikjob unserer Zeit ist, wie gedenken sie dann in dieser Angelegenheit z.B. mit Russland (grösstes Flächenland), China (bevölkerungsreichstes Land, aber “kommunistische” Überwachungsdiktatur, und die Sache mit den Uiguren) oder Indien (demokratisch gewählte hindufaschistische Regierung) zu kooperieren? Oder wollen sie doch lieber erst warten, bis dort den Menschenrechten zu ihrem Recht verholfen ist? Ich meine das nicht ironisch, und ohne Anführungsstriche. Wer das Klima global retten will, ist zu Pragmatismus und Diplomatie gezwungen. Konfrontation mit irgendjemand, die*der mächtig (und mglw. “böse”) ist, löst das Problem nicht. Die politische Frage, wer dabei welche Last zu tragen hat, ist kompliziert genug, eine Klassenfrage übrigens. Ob das in der noch zur Verfügung stehenden Zeit (FFF meint “zehn Jahre”, es kann auch mehr, aber auch weniger sein!) auszuhandeln ist, darf bezweifelt werden, hilft aber auch nicht weiter.
Es geht nicht (nur) um deutsche SUVs, Fleischfresser und Kurzstreckenflieger. Es geht um die Welt. Es wäre gut, wenn Frau Baerbock mal genauer erklärt, wie sie das mit den Bidens, Putins (hier die “Alternativen” zu ihm, die nicht rechts von ihm sind), Xi Jinpings, Modis und Macrons (oder gar Frau Le Pen! Die Wahl ist nächstes Jahr.) anpacken will.
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