Die Pandemie kommt teuer. Sie kostet viele Menschenleben und viele Milliarden. Sie vernichtet auch politisches Kapital. Sie hat die Schwächen der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse freigelegt. Viele Politiker haben sich in der Pandemie um ihren Ruf gebracht. Mancher dürfte seine Zeit hinter sich haben.
Zum Desaster geworden
Finanzminister Scholz (SPD) kämpft gegen sein Buchhalter-Image gerne den Krisenmanager heraus mit der Floskel: „Ich habe dafür gesorgt, dass …“. Als er behauptete, er habe Impfstoff beschafft, erzielte er einen Lacherfolg. Als er sich weigerte, Hilfen für notleidende Unternehmen, Selbständige und Vereine unbürokratisch schnell über die Finanzämter auszuzahlen, säte er Zorn und Verdruss. Er nahm in Kauf, dass unnötig Arbeitsplätze in Gefahr gerieten.

Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) fand sich in seinem Amt nicht zurecht. Er scheute den Konflikt mit Scholz und blieb deshalb auf den Hilfsgeldern sitzen, weil ihm die nötige Infrastruktur fehlte, um sie rasch auszuzahlen. Der Unmut der Empfangsberechtigten über den Zeitverzug traf ihn mit voller Wucht. Er hat sich in der Krise als Schwächling erwiesen.

Kanzleramtsminister Braun (CDU) schaffte es im Kampf gegen Corona oft nicht, die Ministerpräsidenten vor den Treffen mit der Kanzlerin auf eine Linie festzulegen. Dieses Defizit irritierte die Bürger immer wieder und unterminierte Brauns Ansehen als Koordinator der Regierungsgeschäfte.
Absprachen gebrochen
Sein Job fiel ihm auch deshalb schwer, weil sich viele Ministerpräsidenten der Krise nicht gewachsen zeigten. Im Sommer 2020 unterschätzten sie die Pandemie. Als sie zur zweiten Welle ansetzte, sahen die Länderchefs keinen Handlungsbedarf. Sie hatten keine Konzepte und zeigten sich empört, als das Kanzleramt nach ihnen fragte. Die Torheit der Länderchefs wurde klar, als sich die Pandemie vor Weihnachten zur zweiten Welle steigerte.

Bundeskanzlerin Merkel versuchte immer wieder, die Länderchefs für einen strikten Kurs gegen das Virus zu gewinnen. Immer wieder brachen sie gerade getroffene Absprachen, weil es ihnen opportun erschien. Als sich über ihre Trägheit die dritte Pandemiewelle anbahnte, verlor Merkel die Geduld. Sie entmachtete die Länderchefs mit der Notbremse. Sie hätte viel früher durchgreifen müssen.

Die Abgeordneten im Bundestag und in den Länderparlamenten wurden der Krise ebenfalls nicht gerecht. In der ersten Welle ließen sie sich von den Regierungen an die Wand spielen. Statt sie zur Rechenschaft über die Impfstoffverhandlungen zu zwingen und den Kauf von Material für den Kampf gegen das Virus zu kontrollieren, jammerten sie monatelang darüber, dass sie von der Regierung übergangen wurden.

Zum Desaster geworden

Abgeordnete der beiden Unionsparteien brachten sich in Verdacht, ihr Mandat missbraucht und sich an der Krise bereichert zu haben. Im Zuge des Skandals wurde auch bekannt, dass sich ein früherer Vize-Chef der CSU von einem AfD-nahen Millionär mit Millionen für europafeindliche Politik bezahlen ließ.

Schaden nahmen auch EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen (CDU) und viele andere EU-Politiker. Im Kampf gegen die Pandemie hätten sie die EU im Bewusstsein ihrer Bürger als hilfreich und nützlich verankern können. Doch die Präsidentin scheiterte an dieser Aufgabe. Die EU bestätigte viele der abträglichen Urteile über sie. Ihr Spitzenpersonal zeigte sich der Krise nicht gewachsen.

Unter denen, die sich in der Pandemie besonders stark beschädigten, ragt Bundesgesundheitsminister Spahn unrühmlich heraus. Er sitzt in der Krise auf dem wichtigsten Posten des Bundeskabinetts. Die Pandemie hätte sein Sprungbrett zu höheren Ämtern werden können. Stattdessen wurde sie für ihn zum Desaster, und mit ihm für das Land und die Leute.

Mit sich selbst beschäftigt

In den ersten Wochen verharmloste er die Pandemie. Dann versank er im Schatten des omnipräsenten SPD-Politikers Lauterbach. Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 schaffte es Spahn als Vorsitzender der EU-Gesundheitsminister nicht, für Deutschland und Europa genügend Impfstoff zu besorgen. Er war dem Tempo, mit dem die Biontech-Gründer Sahin und Türeci Impfstoff entwickelt und verbreitet haben, nicht gewachsen.

Sein Versäumnis hatte katastrophale Folgen. Es kostete viele Menschen das Leben, die Gesundheit, die berufliche Existenz und die Entwicklungsperspektiven. Der Impfstoffmangel wirkt sich bis heute verhängnisvoll aus. Er verzögert die Rückkehr zur Normalität und fügt Staat und Wirtschaft unnötig großen Schaden zu.

Auf dem Höhepunkt der Pandemie war Spahn vor allem mit sich selbst beschäftigt. Er machte mit Immobiliengeschäften Schlagzeilen, mit dem Bemühen, Sponsoren für seinen Wahlkampf zu finden, mit einem Kleinkrieg gegen kritische Journalisten und ihre unangenehmen Fragen, mit untauglichen, teuren Apps, mit Skandalen um Masken und zuletzt auch noch mit der mangelnden Vorsorge gegen Betrug bei den Corona-Tests.

Ins Schleudern geraten

Immer wieder fällt Spahn durch Ankündigungen auf, die wie Seifenblasen platzen, weil sie auf falschen Voraussetzungen beruhen. Er schürt Hoffnungen, die zerbrechen, weil ihnen die Substanz fehlt. Das jüngste Beispiel: Er kündigt das Ende der Priorisierung an, obwohl gar kein Impfstoff zur Verfügung steht, um die Nachfrage zu befriedigen. Die Menschen kämpfen nicht nur mit den Folgen der Pandemie, sondern auch mit der heißen Luft, die Spahn in kindischem Aktionismus verbreitet.

Je mehr Ausschuss er produziert, desto stärker drängt es ihn in die Medien. Kein Anlass scheint ihm zu klein für eine Verlautbarung. Er hofft offenbar, sein Pleitenkonto ließe sich durch Pressearbeit aufbessern. Es kommt ihm nicht in den Sinn, dass er mit seinem Drang, auf Biegen und Brechen präsent zu sein, sein Konto immer weiter überzieht und den Überdruss der Leute gegen sich steigert.

Viele Bürger haben längst ein Bild von ihm, das sich wohl so schnell nicht ändern dürfte. Ist von Fehlern in der Pandemie die Rede, fällt stets sein Name als einer der ersten. Spahn ist ins Schleudern geraten. Seine Sympathiewerte schrumpfen. Lange konnte er sich als Liebling der Medien fühlen. Solange er früher in der CDU gegen Merkel intrigierte, umwarben ihn Presse, Funk und Fernsehen als Hoffnungsträger der CDU. Dass ihn der frühere Finanzminister Schäuble zum Staatssekretär machte, werteten sie als Ritterschlag und Kür zum Kronprinzen.

Eigenes Versagen anderen angelastet

Dass ihn die Medien beachten, prägte seine Selbstsicht so nachhaltig, dass er von seiner Bedeutung übermannt zum den Jahreswechsel sogar prüfen ließ, ob er Chancen hätte, an der Stelle von Laschet Kanzlerkandidat zu werden. Dabei war Schäuble offenbar schon früh klar, dass bei Spahn Wollen und Können auseinanderfallen. Als es 2018 darum ging, nach Merkels Rücktritt vom CDU-Vorsitz einen Nachfolger zu finden, ließ Schäuble Spahn kurzerhand fallen und verhalf dem Politpensionär Merz zur Rückkehr auf die Bühne.

Spahn wehrte sich. Er versteht sich auf den Nahkampf in der eigenen Partei und in ihren Gremien. Zweimal seit Ende 2018 verhinderte er, dass Merz CDU-Chef und Kanzlerkandidat wurde. Wie Schäuble und Merz stammt Spahn aus dem Lager der CDU-Konservativen. Dort sitzen seine härtesten Gegner, seit er gegen diese einflussreiche Gruppe lief und bei der jüngsten Suche nach einem neuen CDU-Vorsitzenden dem Merz-Konkurrenten Laschet zum Erfolg verhalf.

Spahns Flügelwechsel offenbARTE die Risse in der Union. SPD-Kanzlerkandidat Scholz nutzte sie. Mit einem umfangreichen Fragenkatalog zu Spahns Pandemiepolitik machte er dessen Impfstoffversagen und Managementfehler publik. Seither thematisieren die Medien Spahns Schwächen. Gerade erst wiesen ihm Journalisten ein kostspieliges Kontrollversagen bei der Testkampagne nach. Sie stellten auch seine Neigung bloß, das eigene Versagen anderen anzulasten.

Die Medien lenken

Seit Spahn Pannen wie vom Fließband unterlaufen, versucht er, sie zu verniedlichen. Dass die Tests und ihre Abrechnung nicht kontrolliert werden und deshalb Betrüger anlocken, schiebt er anderen Institutionen zu und dem großen Zeitdruck, unter dem er die Tests installiert habe. Rasches Verwaltungshandeln versucht der Minister zum Freibrief für konzeptionelle Schlamperei zu machen.

Dabei versteht sich doch von selbst, dass sich Tempo und Schlamperei so wenig bedingen wie Trödelei und Sorgfalt. Politiker, die über die Steuermittel der Bürger verfügen dürfen, haben die Aufgabe, Tempo und Sorgfalt miteinander zu verbinden. Diese Verpflichtung hat sich bei Spahn offensichtlich verflüchtigt.

Spahn gab das Geld mit vollen Händen aus. Oft lief er der Entwicklung der Pandemie hinterher. Sein Ministerium gilt als schwach und schlecht geführt, seine Pressearbeit als miserabel. Es werden Klagen laut, er versuche, die Medien zu steuern, indem er Journalisten, die ihm gewogen sind, bevorzuge und kritische benachteilige. Viele seiner Verlautbarungen befassen sich mit Kinkerlitzchen und erwecken den Eindruck, er sei neben Gesundheitsfragen auch für Bagatellen und Banalitäten zuständig. Es entsteht der Eindruck, im Hause Spahn regiert weniger der Sachverstand als der Boulevard.

Noch manches Unheil bescheren

Sein Tun und Lassen kostete die Schwesterparteien CDU und CSU Anfang des Jahres in den Umfragen etliche Prozentpunkte. Die unzufriedenen Bürger ließen die Union den Frust über den schleppenden Kampf gegen Corona sehr deutlich spüren. Er resultiert aus dem skandalösen Mangel an Impfstoff, den Spahn hätte verhindern müssen.

Über den Zorn der Bürger verlor die Union ihre dominante Stellung unter den Parteien. Die Grünen schwollen zu einem vergleichbar starken Rivalen an, sodass eine Regierung ohne die Union in greifbare Nähe rückt. Nun warten CDU und CSU auf einen Stimmungswandel. Sie hoffen, Zuspruch zurückzugewinnen, wenn die Corona-Auflagen gelockert werden und sich die Verhältnisse in der Republik und in Europa normalisieren.

Je verbissener Spahn an seinem demolierten Image herumwerkelt, desto deutlicher wird sein großer Anteil an den Beschwernissen durch die Pandemie. Auf ihrem Höhepunkt versagte er als Krisenmanager. Seit sie schrumpft, versucht sich der Gesundheitsminister als Animateur. Auch in dieser Rolle kann man Unheil stiften. Der Hoffnungsträger korrodiert. Er wird immer weniger tragfähig. Der Union stellt sich längst die Frage, ob er nach der Bundestagswahl noch tragbar sein wird.

Über Ulrich Horn (Gastautor):

Begonnen hat Ulrich Horn in den 70er Jahren als freier Mitarbeiter in verschiedenen Lokalredaktionen des Ruhrgebiets. Von 1989 bis 2003 war er als Landeskorrespondent der WAZ in Düsseldorf. Bis 2008 war er dann als politischer Reporter in der Essener WAZ-Zentralredaktion tätig. Dort hat er schon in den 80er Jahren als Redakteur für Innenpolitik gearbeitet. 2009 ist er aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden. Seine Beiträge im Extradienst sind Crossposts aus seinem Blog "Post von Horn". Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe an dieser Stelle.