1963 titelte eine sogenannte Zeitung mit den grössten in Deutschland gedruckten Buchstaben, der müsse weg. Dann ist er aber doch erst 2014 im Alter von 88 Jahren weggestorben: Gert von Paczensky. Er gilt als Gründer des NDR-Politmagazins Panorama und wurde gemäss dem Befehl der sogenannten Zeitung von seinem Sender sofort fallengelassen. Er lebte dennoch ein gutes, vielleicht besseres Leben als Jobhopper, Buchautor und fachkundiger Gourmet. Traumhaft, vorbildlich. Kürzlich trafen sich zwei kluge Damen, Diemut Roether (epd medien) und Anja Reschke, Programmbereichsleiterin “Kultur und Dokumentation” des NDR, zu einem aufschlussreichen Interview anlässlich des Panorama-Jubiläums.
Dem Gespräch ist der gegenseitige Respekt anzumerken. Die Damen wissen beide, wovon sie reden. Frau Reschke ist zugewandter und mitteilsamer, als ich sie schon auf ihrem eigenen Sender erlebt habe.
Zur Schlusspointe des Gesprächs hätte ich hier was beizutragen. Roether fragt: “Wenn Sie Gert von Paczensky, den Mitgründer von ‘Panorama’, noch etwas fragen könnten, was würden Sie ihn gern fragen?” Reschke: “Ich würde gern von ihm wissen, was er, der wirklich unter dem Druck der Regierungsparteien gelitten hat, der ‘Panorama’ mit dem schönen Satz ‘Jetzt wollen wir uns noch ein wenig mit der Bundesregierung anlegen’ anmoderiert hat, dazu sagt, dass wir heute von manchen Gruppen der Gesellschaft als ‘Systempresse’ oder ‘regierungstreu’ beschimpft werden. Ich glaube, er würde sich sehr amüsieren. In seiner typischen spitzbübischen Art.”
Der Hinweis auf die Form eines Paczensky-Kommentars dürfte zutreffen. Inhaltlich hätte ich jedoch einen anderen Tipp. Es muss jene Zeit gewesen sein, beginnend spätestens mit der “Spiegel-Affäre” 1962, die natürlich für alle Hamburger Medien ein Schlüsselerlebnis war, dass Geheimdienste, egal welche und von welcher Regierung, als seriöse Quelle von Fakten und Informationen ausgeschissen hatten. Das blieb so bis in die 80er Jahre. Es hatte sich sogar vom Medienfachwissen zu einer Volksweisheit ausgeweitet.
Mit der Übernahme der DDR begann sich das zu ändern. Von nun an bestimmten die Ungeheuerlichkeiten der Stasi die veröffentlichte Meinungsbildung. Die Rechtsauslager der BRD-Geheimdienste wirkten dagegen wie harmlose Dummköpfe, ein unzutreffendes und ungerechtes Vorurteil, das sich lange festsetzte. Mit dem verstärkten öffentlichen Auftreten der Faschos, die durchgehend als “Schläfer” weiterexistiert hatten, und nun “Mut” zu neuen Taten fanden, glaubten Teile der politischen Klasse und der Öffentlichkeit, der Inlandsgeheimdienst sei ein gutes Mittel dagegen. Die Dienste förderten diese Sicht durch eine Professionalisierung ihrer PR-Arbeit, und förderten so diesen fatalen Irrtum. Ein später Sieg der “geistig-moralischen Wende” des Helmut Kohl. Er, dieser Sieg, lebt bis heute weiter, auch im NDR und seinem “Investigativ”-Ressort, das sich gerne, wie andere auch, aus diesen Quellen füttern lässt. Die Beweislast liegt nun wieder bei Ungläubigen und Zweifler*inne*n.
Würde Paczensky diesen Irrtum mitmachen? Beim Älteren bin ich mir nicht sicher, er wurde doch recht lieb und nett. Beim Jüngeren der 60er Jahre hätte ich meine Zweifel. Seine Witwe Anna Dünnebier war in meiner Zeit als stellv. Mitglied des WDR-Rundfunkrates (1997-03) immer eine aufrechte Mitstreiterin. Ich spekuliere, dass der Gatte ihr mit seinem reichen Erfahrungswissen den Rücken gestärkt hat. Mit “Amüsieren” und “spitzbübisch” – das auf jeden Fall.
Dank an Frau Roether – gut gemacht.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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