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Der Weg zum gläsernen Menschen

Im Januar und März 2021 haben Bundestag und Bundesrat das sogenannte Registermodernisierungsgesetz mit dem Kernstück „Identifikationsnummerngesetz“ verabschiedet. Damit wird die 2007 eingeführte Steuer-Identifikationsnummer (Steuer-ID) zu einer allgemeinen Bürgernummer. Sie wird nunmehr mit den Datensätzen der 56 wichtigsten öffentlichen Register verknüpft, um Datenabgleiche zu Personen zu ermöglichen. Damit können wesentliche Informationen über eine Person zu einem Profil zusammengefasst werden, wie z.B. Gesundheitsdaten, Schulden, Hartz-IV-Ansprüche, Vorstrafen und Informationen zu Verwandtschaftsverhältnissen.

Damit wird der Mensch gläsern, der Staat hat Zugang zu fast allen digitalisierten öffentlichen Informations- und Leistungsangeboten und kann sie miteinander verbinden. Genau dies wollte das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil vom 15.12.1983 mit dem dort eingeführten Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verhindern. Danach ist eine umfassende Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit, die die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen oder auch nur Teilabbildern der Persönlichkeit erlaubt, unvereinbar mit der Menschenwürde. Das Gericht hat deshalb ausdrücklich die Einführung eines einheitlichen Personenkennzeichens (PKZ) verboten.

Blicken wir zurück: Schon 2008 stieß die Einführung der Steuer-ID, die den Menschen von der Geburt an begleitet und erst 20 Jahre nach dem Tode erlischt, auf erhebliche Datenschutzbedenken, vor allem von Bürgerrechtsorganisationen. Die Humanistische Union klagte gegen die Einführung. Sie sah in der Steuer-ID ein unzulässiges Personenkennzeichen und warnte, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis die neue Steuernummer nicht nur von Finanzämtern, sondern auch anderen Behörden gespeichert und verwendet werde. Deshalb reichte sie eine Musterklage gegen die Vergabe der Steuer-ID ein.

Auch ich habe damals Widerspruch gegen die Zuteilung einer Steueridentifikationsnummer eingelegt. Eine Antwort habe ich niemals erhalten. Statt dessen hat die Finanzverwaltung meine Nummer munter verwendet, u.a. im Datenaustausch mit meinem Arbeitgeber (Pension) und meiner Krankenversicherung, höchstwahrscheinlich auch mit der Rentenversicherung und mit meinem Notar.

2010 lehnte das Finanzgericht Köln in sieben Musterverfahren gut 70 Klagen gegen die Vergabe der Steuer-ID ab, obwohl es erhebliche Zweifel an deren Verfassungsmäßigkeit hatte. Es bezweifelt vor allem die Erforderlichkeit der flächendeckenden Zuteilung und Speicherung. Von einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sahen die Richter jedoch ab. Sie hätten nicht die Überzeugung gewinnen können, dass das Recht des einzelnen Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung das Interesse der Allgemeinheit an einer gleichmäßigen Besteuerung überwiege.

Die verfassungsrechtlichen Warnung des Senats, dass durch die Steuer-ID letztlich alle Bürger/innen zentral erfasst würden und durch entsprechende Erweiterungen und Vernetzungen ein zentraler Datenbestand geschaffen werden könne, und die vielfältige Kritik – u.a. bei der parlamentarischen Anhörung – haben Bundestag und Bundesrat nicht davon abgehalten, nunmehr dem Registermodernisierungsgesetz zuzustimmen, mit dem die Steuer-ID als Bürgernummer in die öffentliche Verwaltung eingeführt wird.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags, Bürgerrechtler/innen, Wissenschaftler/innen, Sachverständige und die Datenschutzbeauftragen von Bund und Ländern brachten massive verfassungsrechtliche Einwände vor. Die Opposition stimmte gegen das Gesetz, auch sie machte verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Das Zugeständnis, dass die Identifikationsnummer nur “zu Verarbeitungen zur Erbringung von Verwaltungsleistungen” nach dem Onlinezugangsgesetz “auf Grund von Rechtsvorschriften oder mit Einwilligung der betroffenen Person sowie zum Zwecke eines registerbasierten Zensus” zulässig sei, konnte die Oppositionsfraktionen nicht überzeugen. Zurecht wurde darauf hingewiesen, dass der Umgang mit der Steuer-ID gezeigt habe, wie wenig verlässlich solche Einschränkungen seien.

Auf welchem Niveau und mit welchem Verantwortungsbewusstsein die Diskussion im Bundestag geführt wurde, zeigen zwei Argumente, die von CDU-Rednern vorgetragen wurden: „Der Datenschutz macht uns kaputt” und „Die Standards aus dem Volkszählungsurteil von 1983 sind aus der Zeit gefallen.“

So hat die Humanistische Union offenbar Recht gehabt mit ihrer Warnung von 2008, dass ein staatlich verordnetes Personenkennzeichen wie die Steuer-ID der Einstieg in die zunehmende Vernetzung staatlicher Datensammlungen sei. Sie hat deswegen schon jetzt angekündigt, vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Registergesetz zu klagen, und hofft, dass sich das Gericht dann an seine Entscheidung zur Volkszählung von 1983 erinnert. In der Tat ist mit großer Spannung zu erwarten, zu welcher Entscheidung und Begründung das Bundesverfassungsgericht zum Registermodernisierungsgesetz kommt.

Wenn man berücksichtigt,
• dass das Bundesverfassungsgericht 1983 das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingeführt und eine umfassende Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit, die die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen oder auch nur Teilabbildern der Persönlichkeit erlaubt, als unvereinbar mit der Menschenwürde bezeichnet und die Einführung eines einheitlichen Personenkennzeichens verboten hat,
• dass die Bundesregierung 2008 bei der Einführung der Steuer-ID erklärt hat, diese diene lediglich einer der ehrlichen und gerechten Besteuerung und solle das Besteuerungsverfahren vereinfachen und Bürokratie abbauen,
• dass das Finanzgericht Köln 2010 erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Steuer-ID hatte und vor allem die Erforderlichkeit der flächendeckenden Zuteilung und Speicherung bezweifelte und dass es die Gefahr einer zentralen Erfassung befürchtete,
dann stehen die juristischen Chancen für die Verfassungsmäßigkeit des Online-Registers schlecht.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.

2 Kommentare

  1. DerWolf

    Was Sie schreiben, ist das Eine. Ein weiterer Gesichtspunkt: Die Möglichkeit, unterschiedliche Datenbestände über die Bürger-ID zusammenzuführen, eröffnet für private Dritte neue Optionen für **lohnenswerten Beifang** : Lebensversicherer, Schufa, Arbeitgeber, Vermieter, Kriminelle, ausländische Staaten. Illegal? Wo ein Trog ist, da sammeln sich die Schweine. Und wo genug Geld ist, wächst immer ein Weg.

  2. Heiner Jüttner

    Der Wolf hat recht. Diesen Aspekt hätte ich auch schon berücksichtigen sollen. Danke für den Hinweis.

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