Wenn Sie glauben, mit einem spektakulären Bundestagswahlergebnis gelangten die öffentlichen Medien in Deutschland ans sichere Ufer, dann irren Sie. Ich werde es Ihnen erklären. Dem klugen, mit gutem Gedächtnis ausgestatteten Dietrich Leder/Medienkorrespondenz liegen die “Reformpläne” der ARD-Programmdirektorin Christine Strobl vor, ganz offensichtlich “die starke Frau” im real existierenden ARD-Machtapparat. Sie hat ein Zerstörungswerk am Start, das ihren Vater und ihren Gatten erfreuen wird, selbst wenn die CDU am 26.9. unter 20% landen sollte.
Lesen Sie zunächst Leders oben verlinkte Analyse. Sie ist vollständig zutreffend.
Warum hat Strobl gute Chancen sich durchzusetzen? Die ARD ist so föderal wie die BRD. Die formalen Machtzentren sind die Intendanzen ihrer 9 (nicht 16!) Rundfunkanstalten. In diesen 9 Anstalten gibt es formal für die Kontrolle zuständige Rundfunkräte. und weit kleiner dimensionierte aber weit mächtigere Verwaltungsräte. Sie alle sind in der Alltagspraxis umgeformt zu eskortierenden Begleitgremien der strategischen Planung in den Führungen der Häuser. In Einzelfällen ist der*die Intendant*in nur der*die Grüssaugust*ine, und im Hintergrund schaffen Programm- oder Verwaltungsdirektionen die Machtfakten. Tatsache ist: eine Kontrolle durch die dafür gesetzlich vorgesehenen Gremien findet faktisch nicht statt; renitente Minderheiten werden bei Bedarf überstimmt.
Auf ARD-Ebene gibt es eine Konferenz der Gremienvorsitzenden. Die werden mit dem Gefühl von Wichtigkeit verpflegt, plus Reise- und Unterbringungsspesen. Kontrolle? Vergessen Sies, aber bitte ganz schnell. Als sie mal kompetent über die Talkshows gemeckert haben, hatte das null Folgen. Oder haben Sie was bemerkt?
Sollten sich nun bei der Bundestagswahl politische Verhältnisse umwälzen – das sieht nicht wahrscheinlich aus, aber nehmen wir es nur mal an – dann hätte das NULL Auswirkungen auf die föderale ARD. Die Gremien werden auf Länderebene besetzt (durch die Landtage, die auch die entsprechenden Gesetze beschliessen). Ihre Amtszeiten sind dabei nicht mit Landes-Legislaturperioden identisch, sondern zeitlich versetzt. In NRW z.B. 5 Jahre Landtag, aber 6 Jahre WDR-Rundfunkrat.
Die Wahrscheinlichkeit, dass das Zerstörungswerk von Frau Strobl Realität wird, ist also extrem hoch. Leder folgend würde ihre Angleichung der ARD ans ZDF, das Abschleifen aller noch überlebenden publizistischen Spitzen in ARD-Programmen, der FDP/AfD-“Idee” den Boden bereiten: wer braucht Zwei davon? Zusammenlegung tuts auch.
Für eine wirksame zivilgesellschaftliche Verteidigung, vergleichbar dem Zurückschlagen der rechten “No Billag”-Initiative in der Schweiz – die einzige Möglichkeit, diesen Trend zu verhindern – ist es nach meiner unmassgeblichen persönlichen Einschätzung schon zu spät. Es gibt keine gesellschaftlich wirksamen Kräfte, die den kümmerlichen publizistischen Rest, der unter Frau Strobl übrig bleiben wird, engagiert gegen Rechts verteidigen will und wird. Eine Mobilisierung von Links gibt es schon deswegen nicht, weil eine kompetente linke Medienpolitik in der BRD noch nie in irgendeiner relevanten Partei existiert hat.
Wenn Sie mich nun nach den Grünen fragen, lautet meine Antwort stark vergröbert ungefähr so: als die Grünen noch “irrelevante” Opposition waren, pflegten sie hohe Fachlichkeit. Sogar ein Hardcore-Realo wie Rezzo Schlauch liess sich als Fraktionsvorsitzender (1998-2002) lieber fachlich beraten, als eitel und dumm zu bleiben. Je relevanter die Grünen wurden, umso mehr schwächte sich das ab. Parlamentarier*innen und Regierungsmitglieder halten sich selbst für die grössten Medienexpert*inn*en. Die wenigsten sind es. In Wirklichkeit sind sie selbst Teil des Spiels, glücklich, wenn sie selbst genug Interviewtermine kriegen und ihre eigene Nase in der Glotze sehen. It’s the economy, stupid! Aufmerksamkeitsökonomie.
Es wird mühselig, aber zum Selbstorganisieren kämpferischer demokratischer Medien bleibt mittelfristig keine Alternative. Wenn das nicht gelingt, kann es für die Demokratie, wie wir sie heute noch kennen, tödlich enden.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net