Weglassungen erregen meine Aufmerksamkeit
Gestern lief auf ARTE eine Wirecard-Dokumentation (halbes Jahr Mediathek). Zweifellos sehenswert. Interessante Zeug*inn*en aus aller Welt. Doch irgendwas erregte mein Missfallen. Die Musik, wie immer, vor allem am Schluss. Der Versuch eine Dokumentation dramaturgisch in eine Held*inn*engeschichte zu verwandeln? Produzentin Gabriela Sperl, geboren in Bad Godesberg, hatte in ihrer Zeit vor ihrer Selbstständigkeit, als sie beim Bayrischen Rundfunk Fernsehspiel-Verantwortliche war, mit einer “Süßholz-Offensive” für TV-Filme öffentliche Prominenz gewonnen. Eine ihrer Partnerinnen dabei war Doris Heinze, gebürtig aus Bochum, die viele Jahre später über eine Drehbuchaffäre stolperte. Interessant: die damalige Kontroverse (90er) ist über Suchmaschinenmonopole nicht auffindbar. In beider Wikipedia-Eintrag fehlt sie ebenfalls. Die ist eben Profi.
Für den Wirecard-Film zeichnen Benji und Jono Bergmann verantwortlich. Ob sie mit dem betreuenden RBB-Redakteur Rolf Bergmann verwandt sind, weiss ich nicht. Viele heissen so, mein Vater war einer. Die Produktion muss teuer gewesen sein, und für Frau Sperl vielleicht ergiebig: Comcast-Konzerntochter Sky war mit im Boot.
Die Held*inn*en ihrer Doku hatten ihr Wissen dadurch, dass sie lange mitgemacht haben. Der Film untersuchte nicht, warum sie das getan haben. Sind sie stolz darauf? Oder bereuen sie, was ich zu ihren Gunsten annehme. Wie reflektieren sie darüber?
Eine Botschaft der 90 Minuten ist, die Finanzaufsicht und die Justiz (Staatsanwaltschaft München) hätten versagt. Warum versagten sie? Was waren ihre Motive? Oder Interessen am Versagen? Gauweiler bleibt ungenannt, Söder (oberster Boss besagter Staatsanwaltschaft, aber die kennen sich bestimmt überhaupt nicht) sowieso.
Es endet damit, dass der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zwar am Ende kurz erwähnt, aber inhaltlich überhaupt nicht gewürdigt wird. Das ist schon deswegen merkwürdig, weil er der seit langem qualitativ am besten arbeitende Untersuchungsausschuss dieses Parlaments war. Die Oppositionsparteien FDP, Grüne und Linke hatten ihn personell fachlich stark besetzt. Sie haben sehr viel an die Öffentlichkeit geholt – gegen den Widerstand der Bundesregierung, insbesondere ihres amtierenden Finanzministers und zukünftigen Bundeskanzlers.
Dass sich eine 90-Minuten-Dokumentation zu Wirecard in einem deutsch-französischen Kanal genau daran mit keiner Silbe herantraut, das beunruhigt mehr, als hätten sie es wie auch immer bearbeitet. Es schafft Raum: für jede Menge Hypothesen – oder nennen Sie es, wenn Sie wollen, Verschwörungstheorien.
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