– und wenn ja, welcher?
Vor über zwei Jahren, im Frühjahr 2019, habe ich hier einen Artikel verfasst, der sich kritisch mit der Impfpflicht gegen Masern auseinandergesetzt hat. Nicht, weil ich grundsätzlich gegen eine Impfpflicht wäre, ich war der Meinung, dass bei einer Impfquote von damals sage und schreibe 92,6%, Jens Spahn eine Impfpflicht verordnete, die bis heute den Eltern ungeimpfter Kinder ein Bußgeld von 2.500 € androht und hatte vermutet, dass dies unverhältnismäßig sein könnte. Denn es gab 2018 unter 700 Masernfälle bundesweit und eine einstellige Zahl von Todesfällen. Ich fand, dass dagegen jährlich 2.500 Todesfälle durch multiresistente Keime in deutschen Krankenhäusern wesentlich drastischere Maßnahmen z.B. hohe Strafen gegen verbrecherische Pharmaunternehmen, Landwirte und Tierärzte rechtfertigten, die sogenannte “Reserveantibiotika” bis heute in der Tiermast anwenden. Zurück zur Impfpflicht: Was veranlasst Jens Spahn, zwei Jahre später angesichts von über 100.000 Corona-Toten bei einer lausigen Impfquote von keinen 75% immer noch gegen eine Impfpflicht zu plädieren?
Immer derselbe Kern der Gegner
Wovor hat der Minister auf Abruf Jens Spahn eigentlich Angst? Sind es die Esoteriker, Anthroposophen, Schamanen, Naturheilkundler, Heilpraktiker, Lichttherapeuten, Wünschelrutengänger, Bhagwan-Jünger, und andere Antiaufklärer*innen – übrigens bis auf den rechtsextremistischen Kern und die organisierten “Querdenker” weitgehend das gleiche Spektrum, das auch gegen die Masernimpfung war – die er als gesellschaftliche Meinungsbildner fürchtet? Oder hat er einfach nicht genug “Arsch in der Hose”, um ein bisschen politischen Gegenwind auszuhalten, der vermutlich ebenso jämmerlich zusammenbricht, wie die Proteste der Beschäftigten im französischen Gesundheitssystem? Oder geht es am Ende der CDU doch darum, diese Gruppen nicht als Wähler zu verlieren? Spahns wundersamer Meinungswechsel innerhalb der letzten zwei Jahre ist so irrational und unlogisch, dass es, wäre er nicht bereits abgewählt und dies vertane Energie, schon spannend wäre, durch einen Untersuchungsausschuss Licht ins Dunkel der diesem Gesinnungswandel zugrunde liegenden Entscheidungsprozesse bringen zu lassen.
Kretschmann und Söder für Impfpflicht
Nichts spricht gegen eine generelle Impfpflicht, wenn sie verhältnismäßig ist, und der damit verbundene Grundrechtseingriff des Einzelnen hinter der Gefahr für die Verletzung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit Vieler zurücktritt, außer die Frage nach der Effizienz. In der Corona-Pandemie ist eine Gefährdung der Allgemeinheit durch Ungeimpfte inzwischen sehr konkret gegeben. Die Ministerpräsidenten Söder und Kretschmann liegen deshalb verfassungsrechtlich richtig, wenn sie derzeit eine Impfpflicht fordern. Denn gerade in ihren Bundesländern liegt die Quote der Impfverweigerer besonders hoch, was auch damit zusammenhängt, dass die oben genannten Gruppen in diesen Bundesländern besonders stark vertreten sind. Ob eine Impfpflicht allerdings politisch klug und effizient ist, darüber kann trefflich gestritten werden – sie wird zum Teil in ihrer Wirksamkeit überschätzt und überhöht. Denn immer wieder zeigen die Entwicklungen der letzten Tage und Wochen, dass die bisher noch nicht geimpften Gruppen sich durchaus nicht nur aus militanten Impfgegnern zusammensetzen, sondern aus Leuten, die bildungsfern, sozial isoliert, durch kulturelle Barrieren behindert sind, oder schlichtweg solche, die einfach “keinen Bock” auf Impfung haben. Eine große Zahl von diesen wird sich mit Wahrscheinlichkeit nicht radikalisieren, sondern sich, wie bei der hoch umstrittenen Gurtpflicht im Auto in den 70er Jahren, am Ende fügen.
Eine erfolgreiche Strategie?
Natürlich ist Einsicht immer das bessere, nachhaltigere Mittel zur Eindämmung oder Verhinderung unerwünschten Verhaltens. Für die Corona-Impfung bedeutet dies, dass motivierende oder niedrigschwellig animierende Angebote besser wirken, als Androhungen von Freiheitsentzug, Bußgelder oder Impfzwang. Aber was hat die Phantasie der Bundesregierung bisher in diesem Sinne mobilisiert? Mobile Impfteams auf Bahnhöfen, in sozialen Brennpunkten und an Schule und Hochschulen? Impfungen im Supermarkt, im Baumarkt, Möbelhaus oder auf dem Wochenmarkt? An Bushaltestellen oder im Bahnhof? Anrufe aller gesetzlich und privat Versicherten, die nicht geimpft sind durch ihre freundliche Sachbearbeiter/in bei der KV. Aufklärungsgespräche mit allen nichtgeimpften Versicherten? Hätten dies, sollte es am Personalmangel scheitern, nicht auch die Soldatinnen und Soldaten leisten können, die schon in den Gesundheitsämtern eingesetzt waren? Wäre nicht eine Beratungspflicht beim Hausarzt vielleicht wirkungsvoller als das Plakat in der Apotheke? Oder warum eigentlich nicht die legendäre Bockwurst mit Kartoffelsalat oder der Kinogutschein zur Impfung? Die Drive-In-Impfungen, die die Stadt Köln am vergangenen Wochenende angeboten hat, waren der Knaller. Querdenker und Neonazis dagegen wird auch eine liberale Haltung gegenüber der Impfpflicht nicht überzeugen. Das sollte sich auch der designierte Justizminister Marco Buschmann gut überlegen.
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