Die Ampelkoalition will künftig wieder die Schuldenbremse beachten und schließt Steuererhöhungen aus. Da drängt die Frage auf, wie sie ihr umfangreiches Investitionsprogramm finanzieren will. Die Aussagen dazu sind vage und unzulänglich. Wie man liest, sollen klimaschädliche Subventionen abgebaut und Steuerschlupflöcher geschlossen werden. Einige Milliarden werden wohl die CO2-Abgabe und die geplante globale Mindeststeuer für Unternehmen bringen.
Das wird keinesfalls reichen. Im Koalitionsvertrag ist deshalb eine ganze Reihe von Maßnahmen aufgeführt, mit denen sich ganz legal an der Schuldenbremse vorbei zusätzliches Geld mobilisieren lässt. So soll eine milliardenschwere Rücklage aufgebaut werden, solange die Schuldenbremse pandemiebedingt noch ausgesetzt ist. Der Staat pumpt sich noch einmal mit Krediten voll, um damit ab 2023, wenn die Schuldenbremse wieder gilt wird, wirtschaften zu können. So könnte ein dreistelliger Milliardenbetrag an zusätzlichen Finanzmitteln mobilisiert werden. Ohnehin verfügt der Wirtschaftsstabilisierungsfonds, geschaffen zur Unterstützung Corona-geschädigter Unternehmen, über insgesamt 600 Mrd. € an Kreditermächtigungen und Garantien, von denen bislang nur ein geringer Teil abgerufen wurde. Strittig ist, ob dieses Verfahren verfassungskonform ist, da die zusätzlich aufgenommenen Kredite eigentlich nur zur Bekämpfung der Pandemiefolgen dienen dürfen.
Eine andere Finanzierungsidee ist es, Kredite außerhalb des Bundeshaushalts aufzunehmen, um so die Schuldenbremse offiziell einzuhalten. Dazu dienen sogenannte Sondervermögen des Bundes mit eigener Kreditermächtigung wie die Bahn, die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Autobahn GmbH, der Konjunkturfonds (gegen die Folgen der Finanzkrise) oder der Finanzmarktstabilisierungsfonds. Seit 2010 besteht bereits ein Energie- und Klimafonds, der nun weiterentwickelt und ausgebaut werden soll. Der Wohnungsbau kann über die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben finanziert werden. Geplant ist wohl auch ein Sondervermögen ‘Digitalisierung’. Diese Schulden werden nicht auf die Schuldenbremse angerechnet.
Es gibt noch mehr Beispiele für Kreativität bei der Finanzierung: Die Tilgungsfristen für die Rückzahlung der bereits aufgenommenen Corona-Schulden sollen gestreckt werden, und die Mechanik der Schuldenbremse soll überarbeitet werden. Auch wenn noch keine Details bekannt sind, so dokumentiert diese Ankündigung die verbreitete Unzufriedenheit mit der starren Bindung durch die Schuldenbremse. Letztlich enthält der Koalitionsvertrag eine grundsätzliche Befürwortung Öffentlich-Privater Partnerschaften (ÖPP), also einer Finanzierungsform, die den öffentlichen Kostenbeitrag mindert.
Die Zusage der Ampelparteien, künftig wieder die Schuldenbremse einzuhalten, ist also nur Blendwerk. Und sie ist der Tatsache geschuldet, dass die Schuldenbremse seit 2009 im Grundgesetz steht (Art. 109 Abs. 3), also nur schwer wieder außer Kraft gesetzt werden kann. Für den Bund gilt sie seit 2016. Sie besagt, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind. Die Nettokreditaufnahme des Bundes wird auf höchstens 0,35 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) beschränkt. Ausnahmen gelten nur bei abweichender konjunktureller Entwicklung, bei Naturkatastrophen sowie bei außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen. Diese Lage war 2020 und 2021 wegen der Corona-Pandemie gegeben und soll auch noch 2022 gelten.
Aus der Vergangenheit sind etliche Vorschläge aus dem politischen Raum bekannt, weitere Ausnahmeregelungen zu schaffen – bislang erfolglos. So wurde zum Beispiel gefordert, die Ausgaben für den Verteidigungshaushalt, für Entwicklungshilfe, für Zahlungen an die Europäische Union und für die Klimawende von den Vorgaben des Maastricht-Vertrags und damit von der Schuldenbremse auszunehmen.
Die hier geschilderten Umgehungsbestrebungen (Rücklage, Sondervermögen, Ausnahmewünsche) belegen, dass eine pauschale Schuldenbremse mit Verfassungsrang, wie sie in Deutschland geschaffen wurde, keine sinnvolle Regelung ist und die Handlungsfähigkeit und die Zukunftsvorsorge der Regierung erheblich erschwert. Die Tatsache, dass Deutschland von 2016 bis 2019 den Vorgaben der Schuldenbremse Rechnung tragen konnte, ist ohnehin weniger diesem Gesetz als dem Tatbestand zu verdanken, dass die Zinsen extrem niedrig waren und ein mehrjähriges Wirtschaftswachstum zu verzeichnen war. Die Zinszahlungen des Bundes gingen von 2010 bis 2020 von 40 Mrd. € auf 10 Mrd. € zurück. Diese Ersparnis macht knapp 10 % des Bundeshaushalts aus.
Die Schuldenbremse wurde als Reaktion auf die damals stetig steigende Staatsverschuldung und die Befürchtung geschaffen, der demografische Wandel könnte dies verstärken. Auch hoffte man wohl, dadurch das Vertrauen der Kapitalmärkte in die Solidität der deutschen Staatsfinanzen zu steigern. Möglicherweise sollte die Schuldenbremse auch der Erfüllung der Vorgabe im Maastricht-Vertrag der EU von 1992 dienen, wonach der öffentliche Schuldenstand 60 % des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten darf. Kontrollorgan für die Einhaltung der Schuldenbremse ist ein Stabilitätsrat. Allerdings sitzen dort die Finanzminister, die sich insofern selbst überwachen.
Die Schwarze Null geht noch einen Schritt weiter als die Schuldenbremse, da sie noch nicht einmal die dort erlaubte Verschuldung von 0,35 % des BIP zulässt. Sie ist jedoch keine gesetzliche Vorgabe, sondern nur ein politisches Bekenntnis. Von 2014 bis 2019 wurde dieses Ziel erreicht. Die deutschen Staatshaushalte haben sich seit Einführung der Schuldenbremse merklich verbessert. Allerdings basiert dies – wie gesagt – nicht auf dieser Begrenzung, sondern auf dem lang anhaltenden Aufschwung (bis 2019) und den ausgesprochen niedrigen Kreditzinsen. Daher steht die Schuldenbremse wieder in der Kritik, auch seitens der Wissenschaft:
So heißt es, dass Staatsschulden zu Unrecht als gefährliche Quelle wirtschaftlicher Instabilität eingestuft würden. – Die Parallelität von hoher Staatsverschuldung mit Außenhandelsdefiziten und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit sei nicht beweisbar. – Der Spielraum für eine antizyklische Finanzpolitik und eine rasche Reaktion auf Krisen würde verringert. – Die Schuldenbremse sei ein eindimensionaler quantitativer Indikator, der der Komplexität des Problems nicht gerecht wird. – Das Angebot an sicheren öffentlichen Schuldtiteln, an denen viele Sparer und Kapitalanleger interessiert sind, würde verknappt. – Politiker könnten durch die Begrenzung veranlasst werden, notwendige langfristige Projekte zu vernachlässigen oder an falschen Stellen zu streichen. – Oder sie würden öffentliche Körperschaften zur Finanzierung heranziehen (z.B. Sondervermögen oder die Sozialversicherung).
Immer wieder wird kritisch betont, dass eine Schuldenfinanzierung von Investitionen (wie sie in der Wirtschaft selbstverständlich ist) anders zu beurteilen sei als die von konsumtiven Ausgaben. Dieses Problem könne man vermeiden, wenn eine Neuverschuldung in Höhe der Investitionen zugelassen würde (die sogenannte goldene Regel). Bis zur Einführung der Schuldenbremse begrenzte diese Bestimmung die Neuverschuldung (Art. 115 GG alte Fassung). Ziel war, dass parallel zur Verschuldung ein mindestens ebenso großer Anstieg des öffentlichen Vermögens erfolgt. Auf jeden Fall sollten die Handlungsspielräume erweitert werden. Die im Gesetz genannten Ausnahmen (Konjunktureinbruch, Naturkatastrophen, außergewöhnliche Notsituationen) seien zu eng gefasst.
Abgesehen von der Fragwürdigkeit, eine finanzielle Überzeugung gleich im Grundgesetz zu verankern, ist die Ächtung von Schulden für Investitionen viel zu pauschal. Viele Investitionen sind ein Einsatz für die Zukunft, der sich zumeist rechnet. Sie erwirtschaften eine volkswirtschaftliche Rendite, erhöhen die Lebensqualität, verbessern die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und sichern damit die Wertschöpfung und Arbeitsplätze von morgen. Die Gesellschaft profitiert von Investitionen im Sozial- und Gesundheitswesen, in Bildung und Digitalisierung, Wohnungsbau und Verkehrswege, Umweltschutz und alternative Energien. Warum soll man / darf man solche Investitionen durch eine Schuldenbremse erschweren?
Ein nicht zu vernachlässigendes Argument für eine höhere Verschuldung sind die extrem niedrigen Sollzinsen. Bundesanleihen sind das wichtigste Finanzierungsinstrument des Bundes und gelten als besonders sichere Anlage. Während im Jahre 2000 noch Zinsen in Höhe von 5,2 % zu zahlen waren (in früheren Jahren waren es noch viel mehr), waren es im März 2019 –0,31 %. Minus! Die Kapitalanleger müssen also etwas dafür zahlen, dass sie Bundesanleihen kaufen dürfen. Und der Bund macht bei der Aufnahme von Schulden sogar einen kleinen Gewinn. Einzelne Wissenschaftler/innen fordern daher, den Umfang der Verschuldung an der Höhe der Zinsen auszurichten. Niedrige Zinsen erlauben eine höhere Kreditaufnahme, ohne den Aufwand für Zinszahlungen zu vergrößern.
In der Wirtschaft käme wohl nur in Ausnahmefällen jemand auf die Idee, seine Investitionen ausschließlich mit Eigenkapital zu finanzieren. Die Schuldenbremse würde dort zum Zusammenbruch führen. Und es tauchte das Problem auf, wohin die reichlich vorhandenen Finanzmittel fließen könnten, wenn kaum noch Kredite benötigt werden. Also gibt es in der Wirtschaft keine Schuldenbremse.
Dort gelten die Grundregeln einer arbeitsteiligen Marktwirtschaft, wo Unternehmer und Investoren mit Banken und Kapitalanlegern zusammengebracht werden. Die Finanzierung von expansionsorientierten oder neu gegründeten Unternehmen ist ohne eine Aufnahme von Fremdkapital nicht denkbar. Ist jemand kreditwürdig, so kann er sich bei Bedarf ein Darlehen besorgen. Die Zinszahlungen mindern seine Steuerpflicht, kein Dritter mischt sich in die Unternehmenspolitik ein, und der Kreditgeber erhält keinen Anteil am Gewinn.
Statistische Erhebungen zeigen, dass die Fremdkapitalquote je nach Investitionsobjekt zwischen 20 und 90% liegt. Am höchsten ist sie bei Fahrzeugen, am niedrigsten bei Kommunikationstechnik. Betrachtet man die Branchen, so liegen die Fremdkapitalanteile im Bau und Handel mit 90 % bis 95 % am höchsten. Kommunale Unternehmen wie Gas-, Wasser- und Stromversorger, Abfallentsorger oder Internetprovider finanzieren ihre Investitionen selbstverständlich weitgehend mit Fremdkapital. Wenn sie kommunale Bürgschaften als Sicherheit bieten können, sind dies oft hohe Quoten.
Für die gewerbliche Immobilienfinanzierung wurde für 2019 gemeldet, dass von insgesamt 147 Mrd. Euro, die für den Bau bzw. den Erwerb von Gewerbeimmobilien ausgegeben wurden, Darlehen in Höhe von rund 73 Mrd. € vergeben wurden. Dies entsprach einem Fremdfinanzierungsanteil von 50%. Für den Wohnungsbau gibt es Angaben von Bandbreiten für die Eigen- und Fremdfinanzierung. Eindeutig ist, dass sich auf dem Bausektor ohne Fremdkapital nichts tut. Als Eigenkapitalanteil werden üblicherweise 40% empfohlen, allerdings sind auch Finanzierungen noch mit 20% machbar. Dies dokumentiert, dass der Wohnungsbau ohne Kreditaufnahme zusammenfallen würde.
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