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Die Ermittlungen zum Breitscheidplatz-Attentat 2016 müssen fortgesetzt werden
Wenn Sie noch einen Beweis benötigen, dass Überwachungskameras keine Sicherheit bringen, nur “schön” grausame Filme über brutale Gewalttaten, dann sind sie bei der ARD-Dokumentation “Weihnachtsmarkt.Anschlag – Das Netzwerk der Islamisten” richtig. Ein Film von Sascha Adamek, Joachim Goll und Norbert Siegmund, produziert für den RBB. Der ansehnliche Film wurde augenscheinlich mit Bildmaterial gut angefüttert. Und mit Ermittler*innen*wissen.
Die bisherige Vertuschungsstrategie deutscher “Sicherheits-” und Ermittlungsbehörden war so skandalös, dass sich relevante Teile selbiger Behörden in ihrer Ermittler*innen*ehre schwer gekränkt fühlen dürfen. Stehen sie nicht allesamt wie nichtsnutzige Idiot*inn*en da? Also haben sich wohl einige entschlossen, unerkannt mit den ARD-Journalisten zusammen zu arbeiten.
Ich habe bisher – zum Besten der Behörden und dieser Republik – angenommen, dass der immer weite aufgetürmte Ermittlungsskandal durch die Unfähigkeit zu intelligenter Ermittlungs-Zusammenarbeit sowie einer Mischung aus soziokultureller Unkenntnis und intellektueller Bräsigkeit zustande gekommen ist.
Doch es könnte schlimmer sein. Die Schlüsselfigur zu dieser Vermutung wird gleich zu Beginn des Films (Minute 5) präsentiert: Abu Bara’a Al Iraqi alias Ali Hazim Aziz. Ihn bezeichnen die Filmemacher als “Auftraggeber” Anis Amris. Ein führender IS-Funktionär, der weiter in Freiheit lebt. Was mag er sonst noch alles angestellt haben? Schon 12 Tage nach dem Anschlag wurden deutsche Behörden über seine Tätigkeit informiert. Im Filmkommentar heisst es, dass er “regelmässig zwischen der Türkei und Syrien pendle”.
Ein Zugriff erfolgte bis heute nicht. Warum wohl? Meine These: das Assad-Regime in Syrien hält den so dermassen für einen gefährlichen Terroristen, dass das schlichterdings nicht sein kann. Wen Assad für einen Terroristen hält, muss doch ein Freiheitskämpfer sein. In dieser Analyse, dafür spricht leider alles, was die Grosse Koalition an Politik praktiziert hat, lässt sie sich ganz von ihrem Freund Recep T. Erdogan leiten, der sie sicherlich entsprechend “informiert” und den guten Mann so ausgiebig über seine Staatsgrenze und in die von ihm illegal besetzten syrischen Gebiete hat pendeln lassen.
Mit diesem Herrn Erdogan hat die genannte Bundesregierung vor und nach dem Anschlag so viele weit wichtigere Verabredungen getroffen – in erster Linie zum Fernhalten von Flüchtlingen aus Mitteleuropa – dass die Toten vom Breitscheidplatz in diesem Zusammenhang als bedauerliche aber nicht zu ändernde Panne angesehen werden müssen.
Aber bitte: ist auch nur eine These. Wichtiger wäre, dass die neue Bundesregierung erstens ihre Flüchtlings-, zweitens ihre Türkei-, und drittens ihre Aufklärungspolitik gegenüber politischen Massenmorden öffentlich erkennbar reumütig und bußfertig korrigiert. Die Opfer und Hinterbliebenen haben ein Menschenrecht darauf. Und die demokratische Öffentlichkeit sowieso.
Ach so, ja: und die “wertegeleitete Aussenpolitik” – haben Sie die irgendwo gesehen?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Helmut Lorscheid

    Diese Kriegstreiberin im Außenministerium macht ihre “wertegeleitete Aussenpolitik” nur dann, wenn es gegen Russland geht.
    Oder hat jemand mitbekommen, dass Außenministerin Dummerchen das Ausliefernungsurteil gegen Julian Assange kritisiert hätte? Nein sie kritisiert nur Gerichtsurteile gegen Oppositionelle in Weißrussland oder Russland. Ober hat sie irgendwas gesagt zum immer noch bestehenden US- Folterlager auf Cuba?

    • Martin Böttger

      Lieber Helmut, Du weisst ja, dass wir in vielen politischen Fragen sachlich nah beieinander, mindestens nicht weit auseinander liegen. Einzelne Leser*innen haben an mich herangetragen, dass sie Deine Charakterisierung von einzelnen Personen, ich formuliere es mit meinen Worten, nicht sehr sachlich finden. Das erschwert es ihnen, Deinen Ausführungen zuzustimmen, schränkt also ihre Wirksamkeit bei Leser*inne*n stark ein.

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