Die Stadt Tübingen führt zum 1. Januar 2022 eine Verpackungssteuer auf Einwegverpackungen ein. Ein Gutachten hatte ergeben, dass es keine rechtlichen Bedenken gegen die­se Steuer als „örtliche Verbrauchssteuer“ gäbe. Tübingen erhofft sich daraus Einnah­men und weniger Müll. Nach Angaben der Stadt liegen die Kosten der Abfallbeseiti­gung al­lein für Verpackungsmüll bei jährlich mehr als 700.000 Euro. Das baden-württem­bergische Umweltministerium begrüßte die Regelung als wichtiges Signal gegen die zu­nehmende Vermüllung der Städte. Ähnlich äußerte sich der baden-württembergische Ge­meindetag. Jetzt müsse beobachtet werden, ob sich eine Verhaltensänderung ergibt.
Abgabepflichtig sind die Verkaufsstellen von Einwegverpackungen und -geschirr samt Be­steck, die darin Speisen und Getränke für den sofortigen Verzehr oder zum Mitnehmen ausgeben. Der Steuerbetrag beträgt 0,50 Euro für Einwegverpackungen wie zum Beispiel Kaffeebecher, 0,50 Euro für Einweggeschirr wie zum Beispiel Schalen für Pommes Frites oder Nudeln und 0,20 Euro für Einwegbesteck und andere Hilfsmittel wie zum Beispiel Trinkhalm oder Eislöffel. Von der Steuer ausgenommen sind Verpackungen, die der Ver­käufer vollständig zurücknimmt und einer Verwertung außerhalb der öffentlichen Abfallent­sorgung zuführt. Im Gegenzug fördert die Stadt Tübingen den Erwerb von Mehrwegge­schirr mit bis zu 500 € je Betrieb.
McDonalds geht gegen die Tübinger Pläne vor und erklärt, die geplante Steuer sei “unver­hältnismäßig” und im Sinne eines modernen Umweltschutzes “nicht zielführend”. Eine an den Landtag gerichtete Petition scheiterte. Nun hat das Un­ternehmen beim Verwaltungs­gerichtshof in Mannheim Normenkontrollklage ge­gen die Abgabe erhoben. Eine Ver­handlung wird im Frühjahr erwartet. Die Tübinger Pläne sind umstritten, weil die Bundesre­gierung im April 2020 einen Entwurf für eine Ein­weg-Kunststoff-Verbotsverordnung vorge­legt hat. Zudem sollen künftig Hersteller und Ver­treiber von Verpackungen zur Kostenüber­nahme für die Vermüllung im öffentlichen Raum verpflichtet werden. Dann wäre eine kom­munale Verpackungsabgabe obsolet bzw. unzu­lässig.
Die Deutsche Umwelthilfe unterstützt eine Petition gegen die Pläne von McDonalds. Diese will verhindern, dass andere Städte sich von der Klage abschrecken lassen, ähnliche Maß­nahmen zu ergreifen. Ohnehin ist sie bundesweit aktiv im Kampf gegen Einwegverpa­ckungen. In mehr als 65 Kommunen hat sie Anträge auf Maßnahmen für we­niger Einweg­müll gestellt, derzeit steht sie mit über 30 Städten im Austausch. Geprüft werden Schritte wie eine kommunale Einwegverpackungssteuer, ein Verbot von Einweg­verpackungen im öf­fentlichen Beschaffungswesen oder die finanzielle Förderung von Mehrweg-Verpackungs-s­ystemen.
In Düsseldorf wurde das Thema auf die lange Bank geschoben. Die Grünen hatten im März 2020 beantragt zu prüfen, „wie eine Abgabe auf Einwegverpackungen für Speisen und Getränke zum sofortigen Verzehr erhoben werden kann.“ Ein Jahr später ist der Prüfauftrag zwar mit großer Mehrheit erteilt worden, doch hat die Verwaltung wegen ver­fassungsrechtlicher Bedenken und des möglichen Prozessrisikos von der Einführung einer Abgabe abgera­ten.
Die Bestrebungen zur Einführung einer Einwegverpackungsabgabe sind allerdings keine neue Entwicklung. Bereits 1992 hatte die Stadt Kassel als erste Stadt eine kommunale Verpackungssteuer eingeführt. Weitere 45 Städte waren gefolgt. Der Städte- und Gemein­debund NRW hatte seinen Mitgliedstädten sogar eine Mustersatzung übermittelt. McDo­nalds und mehrere Automatenaufsteller klagten jedoch gegen diese Abgaben.
Zwar hatten das Bundesverwaltungsgericht, der Hessische Verwaltungsgerichtshof und das Oberver­waltungsgericht in Schleswig die Zulässigkeit der Erhebung einer kommuna­len Verpa­ckungssteuer bejaht, doch erklärte das Bundesverfassungsgericht diese 1998 als grundgesetzwidrig, weil bzw. solange der Bund ein anderes Regelungskonzept verfol­ge. Der Deutsche Städtetag und der Städte- und Gemeindebund bezeichneten dies als Rück­schritt und als Verlust des einzigen ökologischen Instruments zur Abfallvermei­dung.
Seit Anfang der Neunziger Jahre gab es eine Vielzahl von Gutachten zu diesem Thema. Fast alle bestätigten unter Bezug auf ein Urteil aus Bayern zur Zweitwohnungssteuer und auf die Zuständigkeit der Kommunen für die Abfallvermeidung die Steuerfindungskompe­tenz der Kommunen („örtliche Verbrauchssteuer“). Da es auf Bundesebene keine entspre­chenden Abgaben gebe, stünde auch die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes einer kommunalen Abgabe nicht entgegen.
Daher gab es weitere Bestrebungen, kommunale Verpackungsabgaben einzuführen, zu­mal es in den skandinavischen Staaten bereits solche Steuern gibt. Hannover und Det­mold planten 2012 eine solche Abgabe, Bremen prüfte die Einführung einer Umwelt­steuer auf Plastiktüten, auch die Hamburger Bürgerschaft diskutierte solche Pläne. Letzt­lich wur­de jedoch stets auf die Regelungskompetenz des Bundes verwiesen und auf die geplante Novellierung der Verpackungsverordnung von 1991 gehofft. Diese hatte ein Zwangspfand für bestimmte Verpackungsarten und eine Rücknahmepflicht des Handels eingeführt.
2019 folgte das Verpackungsgesetz, das bereits im Juli 2021 novelliert wurde. Da­mit werden die EU-Einwegkunststoffrichtlinie und die EU-Abfallrahmenrichtlinie umgesetzt. Unter anderem muss künftig beim Getränkeverkauf eine Mehrwegalternative angeboten werden; ein Verbot der Einwegverpackungen ist nicht vorgesehen. Zudem wird die Pfand­pflicht für Getränkeflaschen und -dosen ausgeweitet. Hersteller und Händler müssen sich einem System zur flächendeckenden Rücknahme und Verwertung der Verpackungs­abfälle anschließen.
Es bleibt abzuwarten, welchen Rückgang an Einwegverpackungen und Abfall diese Instru­mente bewirken oder ob es eines zusätzlichen Drucks durch kommunale Verpackungsab­gaben bedarf. 2017 fielen jährlich fast 350.000 Tonnen Abfall aus Einweggeschirr und Mit­nahme-Verpackungen an („to go“). Papier, Pappe und Karton sind mit 220.000 t das domi­nierende Material, über 105.000 t bestehen aus Kunststoff. Mehr als 60% der Abfälle aus Pa­pier, Pappe und Karton sowie 50% der Kunststoffabfälle entfielen auf Einwegteller, Ein­wegboxen und Pizzakartons. Der Handlungsbedarf ist also gegeben.
Eine eindeutige Rechtslage ist derzeit nicht erkennbar. Das Bundesumweltministerium sieht keine zwingenden rechtlichen, sondern eher pragmatische Gründe, die gegen eine Ein­wegverpackungsabgabe sprächen. Dort heißt es: „Um die gewünschte Lenkungswir­kung zu erzielen, dass Einweg statt Mehrweg gekauft werden, müsste die Abgabe sehr hoch ausfallen und den Grundpreis des Getränks teilweise um das Doppelte bis Dreifache über­steigen. Solch eine drastische Preiserhöhung ließe sich mit dem Grundgesetz, das den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorschreibt, nur schwer vereinbaren.“
Fest steht, dass viele Städte gern eine kommunale Einwegverpackungsabgabe einführen würden, um damit der Vermüllung der Stadt entgegenzutreten und Einnahmen zur Abfal­lentsorgung zu erzielen. Andererseits scheint die Rechtslage nicht eindeutig zu sein. Im­merhin haben mehrere Verwaltungsgerichte und kommunale Spitzenverbände die Abgabe als rechtskonform bewertet. Auch das in Tübingen vorliegende aktuelle Gutach­ten bestä­tigt dies. Insofern bleibt mit Spannung zu erwarten, wie die Klage gegen Tübingen aus­geht. Sollte sie zurückgewiesen werden, ist mit einer Viel­zahl kommunaler Einwegverpa­ckungsabgaben zu rechnen. Falls jedoch eine Ände­rung von Bundesgesetzen erforderlich ist, müssen wir abwarten, was die neue Bundesregierung tut. Sie will – so der Koalitions­vertrag – „die Kreislaufwirtschaft als effektiven Klima- und Ressourcenschutz fördern“, denn „Produkte müssen langlebig, wiederverwendbar, recycelbar und möglichst reparier­bar sein.“
Wer sich weiter in die Thematik einlesen will, kann z.B. folgende Publikationen nutzen: Öko-Institut Freiburg im Auftrag des NABU: Steuern oder Sonderabgaben für Getränkever­packungen und ihre Lenkungswirkung. 84 Seiten, 2009; Arndt Schmehl: Rechtmäßigkeit von Umweltsteuern am Beispiel des NABU-Vorschlags einer Getränkeverpackungssteuer. 50 Seiten, 2014

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.