“In jeder Branche gibt es einen Weinstein” hiess es in einer jüngst auf 3sat ausgestrahlten BBC-Dokumentation. Heute kommt in der Berliner Zeitung Erika Soloomon zu Wort, Rechercheurin der Financial Times. Die Kollegin hat viel zu sagen, was weit über den Einzelfall hinausgeht. Vor allem stützt sie meine Kritik, dass “ein Weinstein” pro Branche eine klassisch-männliche Untertreibung ist.
Sollte die Berliner Zeitung das Interview nachträglich digital einmauern – ich habe es mir gesichert. Der Inhalt ist zu gewichtig.
Es gibt in der Medienbranche erstens eine Kulturschranke zwischen dem zurückgebliebenen Deutschland und dem angloamerikanischen Raum. Da der Springerkonzern dorthin expandieren will, hat er damit ein strategisches Problem – und eins mit den eigenen Investoren. Es personifiziert sich aktuell in seinem Vorstandsvorsitzenden – der darüber geopfert werden könnte. Es ist ein Zangenangriff, an dem sich inländisch die Funke-Mediengruppe beteiligt. Deren Aufsichtsrat wird seit 2018 von einer Frau, Julia Becker, geführt, die sich in der Erbfolgekriegen der Funke-Familie durchgesetzt hat. “Funke” ist nicht weniger konservativ als Springer. Aber die energische Frau Becker ist eine machtbewusste und ehrgeizige Frau, und für den BDZV-Präsidenten eine ernstzunehmende Gefahr.
Solche Frauen sind es zweitens nicht mehr bereit hinzunehmen, wenn Männer wie Döpfner (und sein einstiger Adlatus Reichelt) Umgangsformen und Betriebskultur vergiften (“toxisch”). Diese Vergiftung besteht laut FT-Autorin Salomon darin, dass jede Frau, die bei “Bild” aufsteigt, automatisch dem Verdacht ausgesetzt ist, “wie sie das wohl gemacht hat”.
Frau Solomon hat drittens sehr gut beobachtet: “Was ich aber nur schwer verstehen kann, ist, wie viel gegenseitige Beschimpfungen es in den deutschen Medien gibt. Reichelt ist kein Einzelfall. … Mit Blick auf die Verfehlungen von Bild oder Axel Springer werden viele Frauen sagen, dass auch in anderen Unternehmen eine Phase der Selbstkritik stattfinden müsse. Was unsere Geschichte hoffentlich gezeigt hat, ist, dass es nicht nur um einen Mann geht, sondern um die Art und Weise, wie Menschen an der Spitze mit Missbrauchsvorfällen umgehen.”
Fussballreporter würden sagen: “Klasse gemacht.”
Erdbeben in Wachtberg
Hier in der Region vernahm ich heute morgen ein kleines Erbeben. Epizentrum: der Rheinhöhen-Friedhof in Wachtberg. Dort liegt Hans Dietrich Genscher. Es hätte nicht viel gefehlt, dass er persönlich beim DLF angerufen hätte. Bei dem diese Nachricht auf diese folgte.
Genscher war als Bundesaussenminister 1992 zurückgetreten, sieben Jahre bevor Belgrad von Deutschland und anderen Nato-Mächten bombardiert wurde. Meine Hypothese: er wusste schon sieben Jahre zuvor, was er mit der Anerkennung der Abspaltungen von Jugoslawien ausgelöst hatte.
Cool könnte mann feststellen: weder US-Geheimdienste noch der Spiegel sind eine seriöse Quelle. Das wäre das Beruhigendste. Wenn diese Quellen aggressiv zündeln, ist das dennoch bereits ein politisches Faktum. Der Genscher in seiner besten Zeit wäre in der Nähe und darum bemüht, diese Feuer auszutreten, und würde den Bundeskanzler dabei ganz gewiss nicht unbewacht lassen.
Die amtierende Bundesaussenminsterin ist dagegen gerade in Ägypten, dem im letzten Jahr bedeutendsten Kunden deutscher Rüstungsexporte.
Dass aggressive Macho-Atlantiker spektakulär davon abzulenken versuchen, und den was-mit-Medien-Frauen einen ganz alten Knochen hinwerfen – es wäre komisch, wenn die Lage nicht so ernst wäre.
Der beste Text dazu steht ebenfalls heute in der Berliner Zeitung: Michael von der Schulenburg: “In der Ukraine könnte das Fundament für einen europäischen Frieden gelegt werden – Ein Aufrüsten der Ukraine gegen Russland ist mit großen Risiken für den Frieden in Europa verbunden. Deutschland sollte ins Kriegsgeschrei nicht mit einstimmen.” Eine gut beratene Ampelkoalition würde jetzt sofort damit anfangen. (Auch diesen Text habe ich mir sofort digital gesichert, bevor er eingemauert wird.)
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