Kutschaty und Klingbeil
Wer sich nach Mitternacht ins ZDF-Programm verirrt, trifft dort gewöhnlich das Sandmännchen. Ganz anders in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag. In der Nachrichtensendung „heute journal up:date“ erschien auf dem Bildschirm plötzlich ein Mann, den die Moderatorin Gundula Gause Kutschaty nannte.

Parteiposten gesammelt

Manche Zuschauer, vor allem aus NRW, werden gedacht haben: „Potzblitz, es gibt ihn also doch.“ Seit 2018 taucht der Name Kutschaty ab und an in den Medien auf, meist im Zusammenhang mit SPD-Parteiposten. Kutschaty sammelt sie. In dieser Hinsicht ist er recht erfolgreich.

Er ist schon Chef der Düsseldorfer SPD-Landtagsfraktion, Landesvorsitzender der NRW-SPD, stellvertretender Vorsitzender der Bundes-SPD und SPD-Spitzenkandidat für die NRW-Wahl im Mai.

Zeitweise wollte er sogar SPD-Bundesvorsitzender werden und dann womöglich sogar Bundeskanzler. Dazu kam es nicht, wie wir wissen. Nun weicht er auf einen Posten außerhalb der SPD aus. Er will über die NRW-Wahl im Mai Ministerpräsident werden.
Den Vollbart abrasiert
Viele Leute in NRW werden gar nicht wissen, wer Kutschaty ist. Sie würden ihn kaum erkennen, selbst wenn er ihnen ohne Corona-Maske begegnete. Dabei war er in der Ära der SPD-Ministerpräsidentin Kraft immerhin sieben lange Jahre lang Justizminister in NRW.

Wer ihn nicht erkennt oder ihn übersieht, muss sich nichts vorwerfen. Als Minister war von ihm so gut wie nichts zu sehen und zu hören. Der Mann wirkte scheu. Er verbarg sein Antlitz hinter einem Vollbart. Es schien, als wollte er gar nicht wahrgenommen werden.

Diese Neigung hat sich offenbar verstärkt, seit er das Ministeramt verlor, in die Opposition geriet und von da an begann, Parteiposten zu sammeln. Sein Vollbart fiel. Wer nach Kutschatys Bart Ausschau hielt, war gekniffen. Der Bart war weg, und mit ihm der Mann.
Wie ein Überraschungsgast
Wer ihn dann doch glatt rasiert erkannte, konnte sich freuen, ist heute aber schon wieder gekniffen. Kutschaty tarnt sich aktuell mit einem Drei- bis-Sechs-oder Sieben-Tage-Bart, wie im ZDF zu sehen war. Viele werden es nicht gewesen sein, die ihn dort erlebten. Das „heute journal up:date“ ist eher eine Sendung für Nachtschwärmer, Leute mit Schlafstörungen und für Menschen, die vor der Moderation von Christian Sievers im „heute journal“ fliehen.

Was Kutschaty in dieser Nacht beim ZDF wollte, erschloss sich nicht so recht. Einen aktuellen Anlass, zu dem man seine Meinung erwartete oder hören musste, gab es nicht. Er saß da wie ein Überraschungsgast, mit dem das ZDF seinen treuen nächtlichen Zuschauern einfach mal eine Freude machen wollte.

Gundula Gause gab sich große Mühe, Kutschaty die Bälle zuzuspielen. Sie bot ihm an, gegen den CDU-Ministerpräsidenten von NRW, Wüst, vom Leder zu ziehen. Doch Kutschaty wich aus. Er meckerte lieber ein wenig über den bayrischen CSU-Ministerpräsidenten Söder und dessen Pandemiepolitik. Es schien, als wollte Kutschaty zur nächsten Bayern-Wahl antreten.
Langsam auf Hochtouren
Wie er in die ZDF-Nachrichtensendung gekommen war, zeigte sich am Donnerstag beim Blick in die Bildzeitung. Dort erfuhr man, dass er am Abend zuvor mit SPD-Chef Klingbeil an einer Diskussion in einer Düsseldorfer Kneipe teilgenommen hatte.

Klingbeil ist in der SPD-Zentrale in der fernen Hauptstadt Berlin wahrscheinlich aufgefallen, dass in NRW demnächst Landtagswahl ist und von Kutschaty als dem Spitzenkandidaten seiner Partei bisher so gut wie nichts zu sehen war. Um das zu ändern, reichte vermutlich ein Anruf beim ZDF.

Danach war Kutschaty innerhalb kurzer Zeit gleich an fünf Stellen zu sehen: in der Düsseldorfer Kneipe, in der Bild-Zeitung, im ZDF, in der Presseschau der NRW-Landesregierung und hier. Gesagt hat er so gut wie nichts. Der SPD-Wahlkampf kommt langsam auf Hochtouren.
Auf Fehler warten
Wer das für Spott hält, der irrt. Er sollte sich klar machen, dass vom SPD-Wahlkampf generell nicht allzu viel zu erwarten ist. Klingbeil ist darauf spezialisiert, unscheinbaren SPD-Kandidaten, die in Umfragen aussichtslos zurückliegen, dennoch zum Wahlerfolg zu verhelfen, indem er den Ball im Wahlkampf flach hält und auf Fehler des politischen Gegners wartet.

Beim Kanzlerkandidaten Scholz hat diese Strategie geklappt. Die Unionspolitiker Söder und Laschet spielten ihm den Ball vor die Füße und vor das leere Tor. Scholz brauchte nur die Fußspitze hinzuhalten, und schon saß er im Kanzleramt.

Im NRW-Wahlkampf scheint Klingbeil mit Kutschaty die gleiche Strategie praktizieren zu wollen. Die Frage ist nur, ob Klingbeil das Tor der Union freibekommt und ob Kutschaty überhaupt weiß, wie man den Ball und dann auch noch das Tor trifft.

Über Ulrich Horn (Gastautor):

Begonnen hat Ulrich Horn in den 70er Jahren als freier Mitarbeiter in verschiedenen Lokalredaktionen des Ruhrgebiets. Von 1989 bis 2003 war er als Landeskorrespondent der WAZ in Düsseldorf. Bis 2008 war er dann als politischer Reporter in der Essener WAZ-Zentralredaktion tätig. Dort hat er schon in den 80er Jahren als Redakteur für Innenpolitik gearbeitet. 2009 ist er aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden. Seine Beiträge im Extradienst sind Crossposts aus seinem Blog "Post von Horn". Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe an dieser Stelle.