Corona ist noch dahaa!
“Was macht eigentlich …?” wird oft zu Leuten gefragt, von denen die Öffentlichkeit schon länger nichts mehr gehört hat. Soo lange ist es noch gar nicht her, dass ein gewisses Virus die veröffentlichten Nachrichten beherrscht hat. Zwar finde auch ich einen akuten, mörderischen Krieg wichtiger, und schlimmer sowieso – übrigens auch den seit 2015 tobenden Jemenkrieg! Aber dem Virus ist das egal. Es kehrte in meinem Inneren zurück, als gestern plötzlich mein Impfausweis “weg” war. Ich hatte ihn bei meiner zweiten Boosterung in der Arztpraxis vergessen.
Heute sind die registrierten Fallzahlen in Bonn nach mehreren Tagen des Sinkens wieder über 1.000 (7-Tage-Inzidenz) gestiegen; in meiner alten Heimat Essen liegt dieser Wert nur halb so hoch. Die Zahl der Hospitalisierten bleibt konstant hoch über 150. Das liegt mutmasslich an einer “noch ansteckenderen” Omikron-Version, von der bisher nur zu hoffen bleibt, dass sie vielleicht auch noch glimpflicher im Verlauf ist.
Das Virus bleibt ein Politikum, auch wenn unsere Politiker*innen nun weniger Aufmerksamkeit darauf verwenden. In Indien scheiterte Biontech-Partner Pfizer, muss auf die profitablen Skaleneffekte im bevölkerungsreichsten Land der Welt verzichten. Den von der EU anstandslos bezahlten Wucherpreis mitsamt der juristischen Immunitätsklausel für den Konzern wollte Indien, das selbst Impfstoffe herstellt, nicht schlucken.
Für China z.B. ist es ein guter Grund, die Hongkong-Zügel weiter zu straffen. Und tatsächlich hat das Regime der Kommunistischen Partei der Volksrepublik China die Pandemie weit “besser im Griff” als vergleichbare Mächte. Wie sie das bisher gemacht hat, schildert sehr eindrucksvoll an seinem eigenen Beispiel Christian Y. Schmidt/Junge Welt. Der ist mit einer Chinesin verheiratet, und pendelt zwischen Beijing und Berlin. Sehr beeindruckend, was er dabei erlebt hat. Der Mann war nicht nur Titanic-Chefredakteur (1989-95), sondern hat – mit dieser persönlichen Meinung war und bin ich in meiner Partei komplett isoliert – das beste Buch über den deutschen Politiker Joseph Fischer geschrieben.
Der Krieg
Was der Krieg in der deutschen Innenpolitik anrichtet, finde ich furchtbar, aber es überrascht mich nicht wirklich. Aufrüstung ins Grundgesetz, Längere Laufzweiten für Atom- und Kohlekraftwerke (Grüner Wirtschaftsminister im Bunde mit der FAZ-Wirtschaftsredaktion), Schluss mit der Biolandwirtschaft (Avantgardepartei FDP, die in ihrer Regierungszeit 2009-13 die deutsche Solarindustrie erfolgreich flachgelegt hat) …
Die intelligenteste Bewertung des Ukrainekrieges fand ich heute bei Ulrike Herrmann/taz. Ich bin ja schon dankbar, wenn welche jetzt noch klar denken können. Sie behält im Blick, dass Aufrüstung (fast) allen schadet, also auch vorgeblichen Sieger*inne*n. Die meisten merken es immer erst, wenn es zu spät ist.
Performance
Abseits sachlicher politischer Erwägungen gibt es noch den Faktor der Publikums- und Medienperformance politischer Individuen. Politiker*innen sind als Berufsgruppe in ihrem Ansehen von ganz oben (70er Jahre) ganz weit unten angekommen. Entsprechend süchtig und abhängig sind sie heute von Lob und Zuspruch. In elementaren Krisen sehen sie ihre Chance, von Putin über Macron und Biden bis Baerbock. Baerbock nutzt diese Chance sehr intelligent und wirkungsvoll. Der unterkühlte Kanzler, der mir persönlich in dieser Hinsicht näher steht, hat Probleme dem zu folgen. Je nach Krisenverlauf kann sich das noch als Stärke und Weisheit entpuppen, ist aber gegenwärtig kaum kalkulierbar. Dass er Kanzler wird, war es ja auch nicht.
Bei der gestrigen Kundgebung auf dem Bonner Marktplatz fiel mir die Stärke der Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner, in für mich faszinierender Weise, auf. Sie brannte kein rhetorisches Feuerwerk ab, was sich als echte Performance-Stärke, dem ernsten Thema angemessen, erwies. Ein rhetorischer Kniff, wie der Rückgriff auf das eigene Leben mit Kind, landete beim Publikum nicht als Rührkitsch, sondern knüpfte an die Alltagserfahrung vieler Anwesender an, und wies die Rednerin als mitten im Leben stehend, “eine von uns”, aus. Die gemeinsame Ansprache von “Ukrainerinnen und Ukrainern … Russinnen und Russen” vereinigte die Zuhörenden und unterschied sich sehr vorteilhaft von derzeit vorherrschender Militarisierungsrhetorik. Wäre jetzt OB-Wahl, wäre diese Amtsinhaberin unschlagbar.
Passen Sie in den nächsten Tagen gut auf. Sie ist nicht die Einzige mit diesem Fenster der Gelegenheit.
Rund um mich kommen die Einschläge näher – eine Freundin in Bornheim, die Familie, für die ich gelegentlich koche, die in Odendorf weggeschwemmt wurden, ein Freund in Bornheim – alle sind infiziert, nicht schlimm, aber alle geboostert und relativ leichter Verlauf…
“Glück gehabt”, Roland! Und alles Gute für die Betroffenen! Grüße auch von der Familie, lieber Martin. Während mich der Omikron-Virus nur zwei, drei Tage aus dem Geschäft (Homeoffice) genommen hat, hat es deine Schwägerin bisher glatt drei Wochen Krankenschein gekostet. Das ist – auch und obwohl geboostert – nicht bei allen ein leicht zu nehmender Verlauf. Wir wissen das jetzt. Und eine Verlaufsprognose wäre tatsächlich fahrlässig.