Freie Journalist*innen in der Corona-Pandemie – Vorwort
„[F]ür 9,35 Euro Mindestlohn habe ich bei der Biobäckerei im Nachbardorf eben Brot ausgefahren, bin die Supermärkte angefahren, bin um 5 Uhr morgens aufgestanden, habe Kisten geschleppt und habe erst mal so mein Geld verdient, weil keiner wusste, wie es weitergeht.“ So beschreibt eine freie Journalist*in gegenüber dem Bayerischen Rundfunk ihre Versuche, sich zu Beginn der Corona-Krise ökonomisch über Wasser zu halten – und dürfte ihre Unsicherheit mit tausenden freien Kolleg*innen in ganz Deutschland geteilt haben. Mit dem Beginn der Pandemie fielen zahlreiche kulturelle, soziale und politische Ereignisse weg, über die, insbesondere auf lokaler Ebene, meist freie Journalist*innen für die Medien berichteten. Ein ganzer Berufsstand geriet gehörig unter Druck. Über die individuellen Entbehrungen und Unsicherheiten hinaus, die freie Journalist*innen in dieser Zeit mit anderen Berufen und Beschäftigten teilten, entfaltete sich hier eine besondere gesellschaftliche Relevanz. Deutsche Medienhäuser stehen schon seit einigen Jahren unter einem enormen Sparzwang. In der Folge nimmt nicht nur die Arbeitsverdichtung in den Redaktionen zu, es werden auch ganze Bereiche ausgegliedert und Inhalte verstärkt eingekauft – häufig von freien Journalist*innen. Werden diese für das Funktionieren der Presse also strukturell wichtiger, so arbeiten viele von ihnen aufgrund knapp bemessener Honorare und großer Planungsunsicherheit doch unter prekären Bedingungen. Diese paradoxe Situation wurde durch die ökonomische Erschütterung des Geschäftsmodells freier Journalist*innen bei zugleich steigender Nachfrage nach gründlich recherchierten Fakten in der Pandemie schlagartig verstärkt.
Wie erging es freien Journalist*innen mit dieser Entwicklung in den vergangen beiden Jahren? Welchen Einfluss hatte die Corona-Krise – auch über das monatliche Einkommen hinaus – auf ihre konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen? Lassen sich aus den Erfahrungen Lehren für die Zukunft ziehen, die die Berufsgruppe der „Freien“ und damit den Journalismus als Ganzes resilienter gegen Krisen und Schocks machen können?
Die Otto Brenner Stiftung ist froh, Barbara Witte und Gerhard Syben für die Beantwortung dieser Fragen gewonnen zu haben. Das Forscher*innenduo der Hochschule Bremen und des Forschungsinstituts für Beschäftigung Arbeit Qualifikation (BAQ) führte Tiefeninterviews mit freien Journalist*innen, sprach mit Vertreter*innen von Medienbetrieben, die Freie beschäftigen und lässt Gewerkschafter*innen zu Wort kommen, um ein detailliertes Bild der Branche während der Corona-Krise anhand des Beispiels Bremen zu zeichnen.
Dabei zeigt sich ein sehr heterogenes Feld. Ob freie Journalist*innen ein angemessenes Auskommen hatten und auch in der Pandemie einigermaßen abgesichert waren, hängt vor allem davon ab, für welches Medium sie arbeiteten. Während die Freien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen sind, sieht es bei den Print-Medien völlig anders aus. Der Umgang mit den Freien in diesem Bereich muss als stellenweise skandalös bezeichnet werden. Die Arbeit als „Soloselbständige“ (so der formale Status freier Journalist*innen) wird im Printbereich schon in normalen Zeiten nicht angemessen bezahlt, die Honorare erreichen häufig nicht einmal die Mindestlohngrenze. Während der Pandemie wurden freie Printjournalist*innen plötzlich nicht mehr gebraucht und standen entsprechend ohne Einkommensquellen da. Da auch die Hilfsmaßnahmen des Bundes Soloselbstständige anfänglich explizit ausschlossen, mussten sie selbst Lösungen für ihr finanzielles Auskommen finden. Das blieb und bleibt nicht ohne Folgen: Ausnahmslos alle Interviewten aus dem Printbereich spielten mit dem Gedanken, sich Perspektiven außerhalb ihrer Arbeit für Zeitungen zu eröffnen.
Ein massenhafter Exodus der Freien hätte jedoch insbesondere für den Lokaljournalismus verheerende Folgen, wiederum mit ernsthaften Konsequenzen für die demokratische Öffentlichkeit: „Gerade hier treten Störfälle im System der Machtbalance zu Tage“, schrieb die Bundeszentrale für politische Bildung bereits 2012 zum Lokaljournalismus, „[u]nd gerade hier wiegt der demokratische Auftrag schwer: zur Teilhabe zu befähigen und Orientierungshilfe für politische Fragen zu bieten.“ Wenn die (Lokal)Medien ihren Demokratieauftrag weiterhin erfüllen sollen, werden wir uns Gedanken über Alternativen zur heutigen Situation machen müssen. Denn zumindest für die freien Mitarbeiter*innen im Printbereich lässt sich längst ein Marktversagen feststellen. Zur Verbesserung der faktisch nicht vorhandenen sozialen Absicherung sowie der Arbeitsbedingungen dieser Soloselbstständigen müssen gesetzliche Regelungen her.
Journalismus ist ein wesentlicher Teil unseres Alltags und eben auch ein wesentlicher Teil unserer Demokratie, der als notwendige vierte Gewalt in unzähligen Sonntagsreden gepriesen wird. Doch welchen Stellenwert der Journalismus für eine Gesellschaft wirklich hat, zeigt sich insbesondere an seinen Rändern. Wenn freie Journalist*innen Brote ausfahren müssen um Geld zu verdienen, während das Bedürfnis nach Informationen und Orientierung explodiert, ist es Zeit für ein Umdenken. Stiftung und Autor*innen hoffen, mit der vorliegenden Studie einen Anstoß dafür zu geben.
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8 Die (zukünftige) Rolle der Freien bei den Print-Medien
Die Zahlen zu der Beschäftigung von Freien seit 2019, die uns aus dem Zeitungsbereich übermittelt worden sind, geben – zusammen mit der Interpretation, die wir dazu in den Interviews erhielten – zugleich einen Einblick in Strategieansätze, die sich nicht nur für die Beschäftigung von Freien, sondern für das Produkt ‚Regionalzeitung‘ im Ganzen eröffnen.
Alle vier Zeitungsredaktionen, die wir um diese Zahlen gebeten hatten, übermittelten uns Werte, die bei aller Unterschiedlichkeit eine gemeinsame Struktur offenbarten.
Verlage beschäftigen nur wenige Pauschalist*innen
Die Verlage beschäftigten jeweils nur einige wenige Personen (im mittleren oder niedrigen einstelligen Bereich) aus der Gruppe, die wir oben als Pauschalist*innen klassifiziert haben. In der Gruppe derer, die wir oben als Gruppe von freien Freien und Hobby-Freien zusammengefasst hatten (wobei wir mit unseren Möglichkeiten nicht ausmachen konnten, wie viele innerhalb dieser Gesamtgruppe zu der jeweils einen oder der anderen Teilgruppe gerechnet werden mussten), waren die genannten Zahlen dagegen im oberen zweistelligen oder sogar deutlich im dreistelligen Bereich. Die freien Freien und die Hobby-Freien machen also ein Vielfaches derjenigen Freien aus, die in einer mehr oder minder festen Bindung an das jeweilige Blatt arbeiten (vgl. für eine grundlegende Darstellung Moenikes 2001, später auch Steindl et al. 2018; 2019). Und für diesen Sachverhalt erhielten wir aus verschiedenen Redaktionen eine übereinstimmende Erklärung – mit auseinanderlaufenden Schlussfolgerungen für die Zukunft.
Es gab bei mehreren Interviewpartner*innen eine klare Vorstellung davon, dass man diese große Zahl von Freien für die Berichterstattung in der Fläche braucht. „[W]ir können das mit Festangestellten überhaupt nicht auffangen. Wir sind auf sie angewiesen, wenn wir in der Fläche berichten. Auch über Ereignisse, die wir nicht so hoch hängen, dass gleich der Bürgermeister da auftaucht oder so, oder die so eine Bedeutung haben. Sondern es sind manchmal wirklich Meldungen. Es ist Ergebnisberichterstattung, ganz oft vor allem im Sport, bei der Kultur in der Fläche sind es Veranstaltungen, am Wochenende oft, wo Freie eingesetzt werden. […] Auch wenn wir noch eine Stelle hätten, wäre das nicht zu leisten, wenn am Sonntag fünf Fußballspiele sind, in einer niedrigeren Klasse, kann ja keiner sich mal eben hin und her beamen. Sondern da sitzen fünf verschiedene Kollegen, die das aufschreiben. Das ist nicht zu schaffen ohne Freie. […]. Und natürlich, manche Zeitungen machen das, man kann sich bewusst entscheiden, zu sagen, wir schaffen das nicht mehr oder es wird nur noch online gemacht oder die Vereine machen das selber. Aber das ist bei uns im Moment nicht vorgesehen“ (Betrieb 4). Um den Leser*innen ein umfassendes Angebot zu machen, sei im Verlag die Situation der Krise auch nicht genutzt worden, um der Redaktion die Honorarmittel zu kürzen, aus denen die Freien beschäftigt worden sind (Betrieb 4).
Diese Analyse wurde von Betrieb 8 und 10 geteilt: „Die große Zahl der Freien sind solche, die vor allem in der Region mit der Berichterstattung über lokale Ereignisse beschäftigt waren, also Vereinsleben, kulturelle und andere Veranstaltungen, Jubiläen, Eröffnungen usw. In der Regel haben diese Personen keine journalistische Ausbildung, sondern sind Hobbyjournalisten, also Rentner, Schüler, manche Lehrer und ‚Vergleichbares‘“ (Betrieb 8). Viele von ihnen seien nur in einem geringen Umfang in dieser Funktion tätig und so gut wie niemand aus dieser Gruppe lebe von dieser Tätigkeit. Diese Fläche, in der die Zeitung eine Reihe von Lokalausgaben habe, könne nur mit dem festen redaktionellen Personalbestand gar nicht bearbeitet werden. Das Haus gibt nach Einschätzung der Redaktion relativ viel Geld für Freie aus.
“Die grosse Zahl der Freien sind solche, die vor allem in der Region mit der Berichterstattung beschäftigt waren.”
Seitens der Redaktion des Betriebs 4 wurde die Analyse mit einer Aussage abgeschlossen, die eine eindeutige Strategie mindestens für die nähere Zukunft enthielt: „Diese Freien sollen später wieder beschäftigt werden […] Wo es wieder anfängt, fangen die auch wieder an zu arbeiten; […] für uns ist eigentlich das Ziel, dass wir den Status Quo von vor der Pandemie wieder herstellen“ (Betrieb 4).
Im Betrieb 8 war man, was diese Frage anging, deutlich vorsichtiger und zeigte sich hinsichtlich einer künftigen Strategie noch offen. Auch Betrieb 10 äußerte sich zurückhaltend: Die künftige Struktur und Ausrichtung, von der auch die Beschäftigung von Freien abhänge, werde zurzeitintensiv diskutiert.
Im Betrieb 8 betonte man, die weitere Entwicklung sei im Moment nicht vorhersehbar, es sei unklar, in welche Richtung sie gehen werde. Auf der einen Seite sei man der Auffassung, dass der Zeitung die Freien fehlen, dass man viel zu wenig habe und man freue sich über jede*n, den bzw. die man gewinnen könne. Auf der anderen Seite sei ja jetzt vieles, vor allem an lokaler Terminberichterstattung, was früher von den Freien wahrgenommen wurde, weggefallen und durch Beiträge anderer Art und Thematik ersetzt worden. Durch diese neuen Inhalte, die Festangestellte entwickelt hätten, sei auch die Qualität des Blattes verbessert worden (Betrieb 8). Daran seien weitergehende Überlegungen angeknüpft worden, die die künftige Strategie betreffen: die Idee, zur thematischen Konzentration und Qualitätsverbesserung weitgehend auf Hobby-Freie zu verzichten und überwiegend Festangestellte zu beschäftigen.
Verzicht auf Hobby-Freie zur Qualitätsverbesserung
Auch könne mittlerweile, nämlich beim E-Paper, gesehen werden, was gelesen und was nicht gelesen werde. Das habe die Kenntnis davon verbessert, welche Themen von den Leser*innen in der Online-Ausgabe wahrgenommen werden. Zum Beispiel habe sich herausgestellt, dass eine Berichterstattung im Nachgang über große Veranstaltungen, die früher immer für wichtig gehalten wurde, in der Realität gar keine hohe Lesequote aufweise. Das Gegenteil gelte – das sei allerdings keine neue Erkenntnis – bei Geschichten über Personen und der „Geschichte dahinter“. In der Folge werde jetzt in der Redaktion diskutiert, inwieweit man wieder zur alten Anlass-Berichterstattung zurückgehen sollte – oder eben nicht. Und das könne dann natürlich Auswirkungen auf die Beschäftigung derjenigen Freien haben, die bisher die Termine besetzt haben, die möglicherweise künftig aus inhaltlichen Gründen weniger oder gar nicht mehr besetzt werden (Betrieb 8).
Eine vergleichbare Überlegung wird auch in Betrieb 2 angestellt. Ob aus der Tatsache, dass jetzt keine Berichte über Stadtteilveranstaltungen mehr erschienen sind, der Schluss gezogen werde, dass man auch künftig darauf verzichten werde, könne noch nicht gesagt werden. Wichtig werde sein, wie sich das Werbevolumen entwickelt. Wenn das – was intern stark bezweifelt wird – wieder auf das frühere Niveau steige, dann könne es so sein, dass auch die Berichterstattung wieder dahin zurückkehren wird. Ansonsten ist schon lange hinterfragt worden, „ob der Aufwand, den wir da (in der lokalen Berichterstattung, d. V.) treiben, sich tatsächlich für uns lohnt, oder ob wir vielleicht sogar eine bessere Zeitung machen, wenn wir uns auf Themen konzentrieren, die für mehr Leute interessant sind, ob wir also nicht mit weniger Personalaufwand mehr erreichen“ (Betrieb 2). Die Stadtteilausgaben schluckten sehr viel Arbeitskraft, wenn man für jeden Stadtteil die Sachen immer wieder neu erfinde. Das würde bedeuten, entweder die Zahl der Stadtteilausgaben zu reduzieren oder überhaupt die Stadtteilebene zu verlassen und mehr auf die Stadtebene zu gehen; das Blatt würde dann weniger lokal. Ereignisse würden dann berichtet, wenn sie für einen größeren Leser*innen-kreis auch über die unmittelbare lokale Betroffenheit hinaus eine Bedeutung haben. Und wenn nicht, dann würde eben nicht berichtet und zwar auch da nicht, wo der lokale Bezug existiere. „Das Blatt würde weniger kleinteilig. Dieser Gedanke ist schon früher überlegt worden, für die Umsetzung hat die Pandemie als Katalysator gewirkt“ (Betrieb 2).
Die Frage, ob es umgekehrt eine Strategie sein könnte, Festangestellte durch freie Journalist*innen zu ersetzen, weil Freie grundsätzlich weniger Geld kosten, würde man nach Auffassung von Betrieb 8 zunächst einmal grundsätzlich mit „ja“ beantworten. Sie sei aber, wenn man genau hinsehe, nicht so einfach, wie es scheine. Zu berücksichtigen sei zum Beispiel das gesamte Gehaltsniveau eines Betriebs, ob er tarifgebunden sei oder nicht, welches die Altersstruktur der Beschäftigten sei und wie sich die journalistische Qualität der Redaktion finanziell auf die Nachfrage nach dem Blatt auswirke. Das letztere sei das viel Gravierendere: „Wir werden zunehmend Probleme bekommen, gute hauptamtliche, hauptberufliche Journalist*innen zu finden und an uns zu binden, weil PR-Agenturen, Werbeagenturen und sogar der Öffentliche Dienst inzwischen besser bezahlen.“
„Es hat hier zwei Fälle gegeben, wo gute Redakteure als Pressesprecher in den lokalen Öffentlichen Dienst gewechselt sind, gar nicht mal so gut bezahlt, aber das hat sicher auch was mit Sicherheit und regelmäßigen Arbeitszeiten zu tun. Dabei bieten wir sichere Arbeitsplätze, denn wir brauchen Lokalredakteur*innen. Das ist ein generelles Problem unserer Branche. Bis vor kurzem hatten wir auch Probleme, unsere Volontariatsstellen zu besetzen, jetzt stellen wir wieder ein“ (Betrieb 8).
„Wir werden zunehmend Probleme bekommen, gute hauptamtliche, hauptberufliche Journalist*innen zu finden und an uns zu binden.“
Betrieb 8 verweist außerdem darauf, dass man bisher keine Rückmeldungen habe, die einen Zusammenhang von Berücksichtigung des eigenen Lebensraumes in der Berichterstattung und Bezug der Zeitung herstellt. Aussagen wie: „Wenn aus unserem Dorf oder unserem Verein oder unserer Nachbarschaft nicht mehr berichtet wird, dann bestellen wir die Zeitung ab“, seien nicht bekannt. „[D]as gibt’s bestimmt, aber wir sind ja sowieso anders als andere […] wir machen ja schon viel weniger Berichterstattung, wir haben da einfach gesagt, wir sind eine andere Zeitung, wir verstehen uns nicht als …, zu jeder Jahreshauptversammlung traben und dann hören, was die da gesagt haben, obwohl das nur die Mitglieder der Jahreshauptversammlung oder die Teilnehmer lesen“ (Betrieb 8).
Zu einer vergleichbaren Schlussfolgerung kommt man in Betrieb 2. „Nimmt man die Reaktionen der Leser*innen als Maßstab, dann hat kaum jemand bemerkt, dass ein Wechsel in der Bearbeitung stattgefunden hat. Jedenfalls hat es keine Protestwelle gegeben, die gefragt hat: ‚Warum berichtet Ihr nicht mehr über meinen Verein?‘ Das mag allerdings auch damit zusammenhängen, dass auf der Ebene einfach auch weniger passiert ist, was den Leuten ja auch nicht entgangen war. Wenn keine Veranstaltungen stattfinden, kann auch darüber nicht berichtet werden und dann fehlt das auch keinem“ (Betrieb 2).
Diese Überlegung hält man allerdings bei der Gewerkschaft ver.di/dju für einen grundlegenden Fehler, der seinen Ursprung in einem Widerspruch in der übergreifenden geschäftlichen Strategie der Verlagshäuser habe (Interview Hofmann/von Fintel 2021): Diese versuchten Dienstleistungen aufzubauen, bei denen die Zeitung nicht mehr der allein entscheidende und möglicherweise auch nicht mehr der maßgebliche Faktor sei. Dazu werde eine Wachstumserwartung ausgegeben, bei der das digitale Geschäft in kurzer Zeit um ein Vielfaches gesteigert werden soll. Gleichzeitig streiche man das Lokale und das Regionale in den Zeitungen. Der Journalismus habe aber gerade im Zeitungsbereich seine lokale und regionale Verankerung. Das werde auch ein werthaltiger und für Leser*innen attraktiver Abo-Stoff sein, weil nur das etwas ist, was es anderswo nicht gibt. Es sei ein Alleinstellungsmerkmal der Tageszeitungen und könne auch nicht durch andere Dinge ersetzt werden. Als Zeitungsverlag habe man dadurch ein hohes Potential, gesellschaftliche Veränderungen zu begleiten und dadurch auch Leute wieder zurückzuholen. Freie spielten dabei eine große Rolle. Es sei komplett widersprüchlich, einerseits eine Wachstumsstrategie zu propagieren und dann die Aktivitäten einzustellen, bei denen man ein Alleinstellungsmerkmal habe.
Festgehalten werden kann, dass die Zeitungen deutlich weniger Pauschalist*innen als freie Freie und Hobbyjournalist*innen beschäftigen. Letztere werden vor allem gebraucht, um in der Region die kleinteilige lokale Berichterstattung abzudecken, etwa im Amateursport. Während ein Betrieb diese Hobbyjournalist*innen so schnell wie möglich wieder einsetzen möchte, überlegen andere, künftig ganz auf Hobbyjournalist*innen zu verzichten – und auf die Teile der Berichterstattung, die bislang von dieser Personengruppe produziert wurden. Diese Überlegungen hält man bei der ver.di/dju für einen strategischen Fehler, weil die Lokalzeitungen damit ihr Alleinstellungsmerkmal aufgeben würden.
9 Perspektiven
Dass Steindl et al. 2018 einen Artikel über freie Journalist*innen „Die Zukunft ist frei“ (vgl. Steindl et al. 2018) überschrieben haben, ist in Anbetracht der von ihnen präsentierten Ergebnisse etwas erstaunlich. Journalist*innen nämlich arbeiten danach, so sie als Freie tätig sind, zunehmend prekär, ihre Verdienste sind niedrig, ihre soziale Absicherung in der Regel alles andere als ausreichend und folglich suchen sie Nebentätigkeiten außerhalb des Journalismus oder sind schon auf dem Absprung in andere Berufe.
Unsere Untersuchung hatte zwar keinen mit der Arbeit von Steindl et al. vergleichbaren Ansatz, aber durchaus ähnliche Ergebnisse. Eine gewisse Berechtigung hat der Titel dennoch, denn die Zahl der freien Journalist*innen nahm im Verhältnis zu den Festangestellten bislang zu. Allerdings gilt das vor allem dann, wenn die sogenannten Hobby-Freien, die nicht von ihrer journalistischen Tätigkeit leben, mitberücksichtigt werden.
Prekarität ohne Rücklagen
Doch nicht wenige Freie sind nur scheinbar Hobbyjournalist*innen. Ihre Tätigkeit als Hobby zu bezeichnen, ist nur dann zutreffend, wenn man ausschließlich Einkommen und Arbeitszeit zählt, nicht aber das eigene Rollenselbstverständnis der Freien, den Grad des professionellen Agierens oder etwa die Ausbildung. Wobei hervorzuheben ist, dass die Einkommen, vor allem im Print-Bereich, in der Corona-Pandemie aufgrund der reduzierten Auftragslage noch einmal drastisch gesunken sind. Wenn also die Zukunft des Journalismus in diesem Sinne frei ist, dann ist diese Zukunft vergleichsweise trist – und sie ist es insbesondere für die Freien im Printbereich. Für sie hat sich, so auch die Ergebnisse unserer Untersuchung, durch die Corona-Pandemie die Prekarität ihrer Arbeitssituation noch einmal deutlich gezeigt und zum Teil verschärft. Die Print-Redaktionen haben Kurzarbeit angemeldet, die Freien bekamen keine Aufträge mehr. Bei den ohnehin mageren Honoraren war es im Vorfeld längst nicht für alle Freien möglich, Rücklagen zu bilden. Die soziale Absicherung für die Freien ist also alles andere als zufriedenstellend. Für die Zukunft müssen hier neue Lösungen gefunden werden, etwa der Zugang zu den Sozialversicherungen auch für Selbstständige, wie von der dju gefordert (vgl. ver.di/dju 2021b).
Dass die Freien im Regelfall während der Corona-Pandemie nicht vollständig in die Knie gegangen sind, lag vor allem daran, dass die meisten von ihnen mit der Prekarität, die mit der Arbeit für Printmedien einhergeht, schon vor der Pandemie einen Umgang gefunden hatten. Einige haben sich anderweitig Einkommensquellen gesucht, etwa durch PR-Tätigkeit oder Arbeiten außerhalb des Medienbereichs. Andere sind, recht typisch für Freie im Print-Bereich, wie auch Gewerkschaftsvertreter*innen bestätigen, durch Familie und/oder Partner*in abgesichert.
Freie Journalist*innen, die ausschließlich von ihrer Arbeit für tagesaktuelle Printmedien leben, haben wir kaum antreffen können. Tendenziell orientieren sich Freie aus dem Printbereich anderweitig: Diejenigen, mit denen wir sprachen, haben entweder schon erste Schritte gemacht, um sich Perspektiven außerhalb einer Arbeit für Zeitungen zu schaffen oder sie denken mindestens über Alternativen nach. Freie Arbeit für Zeitungen wird nicht als langfristige Zukunftsoption gesehen.
Arbeit unter Mindestlohn – keine Existenzgrundlage
Genau betrachtet, ist die freie Mitarbeit für lokale und regionale Tageszeitungen schon lange keine Option mehr, denn die Honorare sind so schlecht, dass die Arbeit häufig nicht einmal auf einem Niveau vergütet wird, das dem Mindestlohn entspricht. Ökonomisch gesehen handelt es sich für viele Freie also in der Tat um ein Hobby. Und gerade der Print-Bereich war von der Pandemie stark betroffen, da die Arbeit dieser Freien vor allem an lokale Ereignisse in der Kultur und im Sport gebunden ist, die wochenlang nicht stattfanden. Für echte Hobby-Freie (oder wenigstens für einen großen Teil von ihnen) ist das nicht weiter problematisch, denn wer lediglich neben der Rente oder neben einem laufenden Einkommen aus einem anderen Beruf gelegentlich ein wenig bei einer Zeitung dazu verdient, erlebt eine Situation, wie sie durch die Pandemie hervorgerufen wurde, zwar als bedauerlich oder ärgerlich, aber nicht als existenzbedrohend. Problematisch wird es dann, wenn diese Freien, die von dem Einkommen, das sie über ihre journalistische Tätigkeit erzielen, ihren Lebensunterhalt oder wenigstens relevante Teile davon bestreiten wollen, von den Auftraggeber*innen als Hobby-Freie wahrgenommen werden. Das traf durchaus auf einige der von uns befragten freien Journalist*innen zu. Sie werden von den Betrieben auch dann häufig nicht als Journalist*innen wahrgenommen, wenn sie hauptberuflich Journalist*innen sind. Die Betriebe können auf diese Weise die niedrigen Honorare rechtfertigen und zudem dem Scheinselbstständigkeitsverdacht entgehen. Soweit uns die Tageszeitungen Zahlen zur Verfügung gestellt haben, wurden dort nur weniger als eine Handvoll als freie Journalist*innen aufgeführt, mehrere dutzend bis zu dreistelligen Zahlen aber als Hobby-Freie, die auch keine journalistische Ausbildung hätten und nicht vom Journalismus lebten. Ob die dort beschäftigten Freien aber als Hobbyjournalist*innen gelten können, ist also vor allem eine Frage der Wertung, die von den vorab gesetzten Parametern abhängt. In den einschlägigen Studien werden Journalist*innen dann als hauptberuflich arbeitende Journalist*innen wertet, wenn sie mehr als die Hälfte ihres Einkommens aus der journalistischen Tätigkeit erzielen. Wie aber bezeichnen wir eine Journalistin, die neben ihrer journalistischen Ausbildung ein Studium und mehrere Jahre Berufserfahrung vorzuweisen hat, und die ihre Arbeitszeit auf Grund der aktuellen Familiensituation drastisch reduziert hat? Wäre sie beispielsweise Busfahrerin, würde niemand auf die Idee kommen, sie als Hobby-Busfahrerin zu bezeichnen und mit einem niedrigeren Stundenlohn zu bezahlen, nur weil sie weniger Stunden arbeitet. Im Journalismus ist das anders. Bei einer solchen Profi-Journalistin, die wir befragt haben (Freie F), ist das Einkommen aus dem Journalismus nicht hoch genug, um davon leben zu können. Also hat sie sich einen weiteren Job gesucht, aber im Grunde lebt sie vom Familieneinkommen, bzw. vom Einkommen des Ehemannes. Oder handelt es sich um eine Hobbyjournalistin, nur, weil ihr seit elf Jahren der gleiche Satz gezahlt wird, 41 Cent pro Zeile? Sie müsse die Arbeit mit viel Idealismus betreiben und könne sich das lediglich leisten, weil ihr Ehemann das Geld verdiene, lautet denn auch ihre Einschätzung.
Die Medienunternehmen sehen das offenbar anders. Sie gehen davon aus, mehrheitlich Hobbyjournalist*innen zu beschäftigen. Das machen sie etwa an der begrenzten Zahl der Beschäftigten fest, die vielen Freien würden benötigt, um kleinteilige Ereignisse in der Fläche abzubilden. Die vielen gleichzeitigen Ereignisse, etwa im Lokalsport am Wochenende, ließen sich nicht durch festangestellte Journalist*innen abdecken, allein die Gleichzeitigkeit verhindere dies.
Doch 250 festangestellte Journalist*innen bräuchten die Betriebe keinesfalls. Daher sei klar, dass es sich bei den Freien um Hobbyjournalist*innen handeln würde. Auch wenn dies in vielen Fällen stimmt, werden die Freien, die eben keine Hobbyjournalist*innen sind, hier gewissermaßen mit ,eingemeindet‘, was zu großen beruflichen Nachteilen führt. Die Zeitungen brauchen entweder die große Zahl von Hobby-Freien, um die Berichterstattung in der Fläche aufrecht zu erhalten, oder sie müssen diese Art von kleinteiliger Berichterstattung auf der lokalen Ebene aufgeben. Darüber denken einige Redaktionen zurzeit nach.
Beispiel Frankreich: Gleichbehandlung im gleichen Betrieb
Dass damit auch einige echte Freie ihre Arbeitsmöglichkeit verlieren würden, wäre sozusagen ein Kollateralschaden. Wenn man die Freien seitens der Verlage vielfach als Hobbyjournalist*innen ansieht, entzieht man sich damit der Verantwortung für eine faire Bezahlung. Von Seiten der Gewerkschaften und Verbände kam daher der Verweis auf die Situation in Frankreich. Hier ist die Gleichbehandlung von Beschäftigten in einem Betrieb verpflichtend. Dass man professionelle Journalist*innen mit 41 Cent pro Zeile abspeist, nur weil sie freie Mitarbeiter*innen sind, ließe sich über diesen Weg verhindern.
Eine Veränderung der gegenwärtigen Situation ist dringend geboten, wenn wir in Deutschland Menschen aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft im Journalismus haben wollen, denn die schlechte Bezahlung verhindert den Zugang für alle, die tatsächlich von ihren Einkünften leben müssen. Es gilt dann das Fazit für den Printbereich, das sich aus unseren Gesprächen mit den Vertreter*innen von Gewerkschaften und Verbänden ergeben hat: Freier Journalismus für Zeitungen ist das Hobby von Menschen, die ihren Lebensunterhalt anderweitig abgesichert haben; das wäre dann eine ganz neue Interpretation des Begriffs ‚Hobbyjournalist*innen‘.
Klar ist aber, dass sich durch einen solchen Schritt die zukünftige Berichterstattung im lokalen Bereich wesentlich ändern würde. Ob weniger lokal angelegte Lokal- und Regionalzeitungen dann eher attraktiver oder eher unattraktiver werden, würde sich zeigen, wenn die Verlage diesen Schritt wirklich gehen.
Diversity im Newsroom, ein echtes Abbild der Gesamtgesellschaft in einer Redaktion, ist vor diesem Hintergrund nicht herstellbar.
So werden Teile der Gesellschaft nicht abgebildet und damit auch nicht mehr erreicht. Dadurch entsteht dann eine Dynamik, die – bezogen auf die Entwicklung der Demokratie – für ernste Probleme sorgen könnte.
Die soziale Situation für die Freien beim Rundfunk stellt sich anders dar. Bei den untersuchten privaten Fernsehsendern arbeiten kaum freie Mitarbeiter*innen. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist die Situation für die Freien in der Corona-Pandemie wesentlich besser gewesen als bei den Zeitungen. Auch hier gilt allerdings, dass diejenigen, die nicht sehr eng an eine Redaktion angebunden sind, mehr Schwierigkeiten durch die Pandemie hatten, als diejenigen die einen Status als sogenannte arbeitnehmerähnliche (feste) Freie haben. Die Landesrundfunkanstalt hat relativ schnell eine Formel gefunden, um die arbeitnehmerähnlichen Freien abzusichern und ihr Einkommensniveau einigermaßen stabil zu halten. Durch die pandemiebedingte Veränderung der Arbeitsstrukturen haben einige freie Mitarbeiter*innen tatsächlich sogar mehr verdient als vor der Corona-Phase, andere haben allerdings auch weniger verdient.
Wegsparen von qualifizierten Techniker*inne*n
Die Veränderungen, die sich für die journalistischen freien Mitarbeiter*innen im Rundfunk ergeben haben, bezogen sich im Fernsehbereich auf die verstärkte Nutzung einfacher Technik, etwa von Mobiltelefonen, die vermehrt für die Produktion eingesetzt wurden. Der Einsatz sogenannter MoJos ist in der Pandemie häufiger vorgekommen als vorher. Das bedeutet einen Einschnitt vor allem für Kameraleute. Ob sich die MoJos am Ende durchsetzen, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Vermutlich werden sie eher in Situationen eingesetzt, in denen es weniger um die Bildqualität geht, als darum, schnell eine Nachricht zu bebildern. Seitens der Redaktionen wurde uns gegenüber jedenfalls darauf hingewiesen, dass Kameraleute über Qualifikationen verfügen, die andere nicht ohne weiteres haben, die aber weiterhin benötigt werden. Zudem haben die Redaktionen schon bei der Einführung von Videojournalist*innen (VJs) die Erfahrung gemacht, dass es häufig sehr gewinnbringend ist, im Fernsehbereich ein Team einzusetzen statt einer Einzelperson, die als VJ alle Anforderungen gleichzeitig erfüllen muss. Man kann allerdings davon ausgehen, dass die in diesem Bereich gemachten Erfahrungen dennoch in die künftige Redaktionsarbeit eingehen werden. Hier hat sich eine Entwicklung beschleunigt und verstärkt, die es schon länger gibt und die dazu führen wird, dass perspektivisch etwa weniger Kameraleute und Cutter*innen beschäftigt werden.
Die meisten Veränderungen bezogen sich aber auf das soziale Miteinander und die durch Corona veränderten Arbeitsbedingungen, die die Arbeit insgesamt oft anstrengender gemacht haben und unterscheiden sich damit nicht von Belastungen, die für viele Bereiche der Arbeitswelt zum Tragen kamen.
Insgesamt ist die Rolle des Journalismus in den elektronischen Medien während der Pandemie wichtiger geworden. Die privaten Anbieter haben ihren Nachrichtenbereich gestärkt, die öffentlich-rechtlichen Sender stellten in der Pandemie ebenfalls ein großes Informationsbedürfnis fest. Dem wurde, etwa durch Formate wie dem ,Coronavirus-Update‘, das der NDR anbot, auch Rechnung getragen. In der Landesrundfunkanstalt hat man während der Pandemie weitgehend das normale Programm gesendet, was einerseits mit der Gebührenfinanzierung und andererseits mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag zusammenhängt. Daher wurden die Freien auch weiterhin benötigt.
Schutz vor autokratischen Ambitionen der Politik ist essentiell
Für die Zukunft ist das aber keine Absicherung. Denn wenn sich die wirtschaftliche Situation der Rundfunkanstalten verschlechtert, dann können diese die Freien jedes Jahr etwas weniger einsetzen, ein Ende des wirtschaftlich Tragbaren ist dann für einzelne Mitarbeiter*innen schnell erreicht. Dass mehr Journalist*innen fest angestellt werden, um auch in diesem Bereich die soziale Absicherung zu verbessern, ist derzeit nicht möglich, weil die Vorgaben der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) dies verhindern. Und dass sich die wirtschaftliche Situation verschlechtert, ist nach den Erfahrungen des Sommers 2021, als das sachsen-anhaltinische Landesparlament den Staatsvertrag nicht abstimmte, durchaus vorstellbar16. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, und vor allem seine finanzielle Ausstattung, sind immer wieder in der Diskussion und nach wie vor durch eine relativ große Abhängigkeit von der Politik geprägt.
Dies zukunftssicher so zu gestalten, dass politische Einflüsse nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Realität außen vor bleiben, hat die Politik bisher versäumt. Dabei wäre eine solche Absicherung gerade als Schutz vor autokratischen Ambitionen in der Politik absolut essentiell.
Praktisch alle Journalist*innen, mit denen wir gesprochen haben, wiesen darauf hin, dass es sicher viele Menschen gebe, denen es deutlich schlechter gehe als ihnen; das galt ausdrücklich auch für die Freien aus dem Print-Bereich. Sogar bei Journalist*innen, die durch die Pandemie große Einbußen hatten, tauchte dieses Motiv auf. Einige haben aus diesem Grund gezögert, Hilfen zu beantragen. Die Hilfen wurden insgesamt sehr unterschiedlich bewertet. Grundsicherung wurde nicht als Alternative gesehen. Eher, so eine Einschätzung, leihe man sich Geld von Verwandten. Positiv wurde in Bremen die Hilfe aus dem Bremen-Fonds bewertet, die allerdings nur über einen sehr kurzen Zeitraum zu beantragen war. Denn obwohl diese Hilfen gut funktioniert haben, hat man sie relativ schnell an die auf Bundesebene geltenden Bewilligungsbedingungen angepasst und damit ihrer Wirkung für die Soloselbständigen beraubt.
Erstaunlich war, dass der Ruf nach größeren oder mehr Hilfen auch auf Nachfrage recht verhalten war. Die Freien aus dem Rundfunkbereich mit denen wir sprachen, betonten alle, sie hätten keine weitere Unterstützung benötigt. Die Freien aus dem Printbereich haben auf die Frage nach Vorschlägen für eine generell bessere Absicherung von freien Journalist*innen vor allem auf die viel zu schlechten Honorare hingewiesen.
Kipppunkt der Demokratie
Sehen wir die Corona-Pandemie als das Brennglas, das bisher schon vorhandene Probleme und Entwicklungen noch einmal deutlich macht und verstärkt, dann zeigt sie im journalistischen Bereich noch einmal das Gespenst eines Endes des freien Journalismus im Bereich der Printmedien am Horizont.
Die Entwicklungen während der Pandemie haben deutlich gezeigt: Wenn wir als Gesellschaft Wert auf freien Journalismus im lokalen Bereich legen, was in vielen Bereichen gleichbedeutend mit Journalismus im lokalen Bereich insgesamt ist, dann werden wir eine andere Vergütung für diesen Journalismus, oder andere Formen der sozialen Absicherung für die Journalist*innen benötigen. Das jetzige System zwingt freie Journalist*innen in die Nebentätigkeit oder in Abhängigkeiten anderer Art oder es drängt sie ganz aus dem Beruf. Ein Instrument wären etwa Mindestlöhne, ein anderes die erwähnte französische Lösung einer Gleichbehandlung aller Beschäftigten in einem Betrieb. Wie auch immer eine bessere Absicherung am Ende erreicht wird, ein einfaches ‚Weiter so‘ ist keine Lösung.
Wir müssen uns als Gesellschaft generell den Fragen der Finanzierung von Journalismus, gerade auch im lokalen Bereich, stellen. Demokratien, das haben Entwicklungen in den USA, Polen oder Ungarn gezeigt, haben keinen Ewigkeitsstatus. Im Gegenteil: Es scheint eher, als gäbe es auch bei Demokratien eine Art Kipppunkt, ähnlich wie beim Klimawandel. Diesen Kipppunkt sollten wir gar nicht erst erreichen.
Dieses Marktversagen kann sich eine demokratische Gesellschaft nicht leisten
Der Journalismus ist sicher nicht der einzige Bereich, der wichtig ist, um antidemokratische Entwicklungen zu verhindern, aber er ist ein sehr entscheidender Baustein. Dabei kommt dem Lokaljournalismus eine sehr wichtige Rolle zu, denn gerade im Lokalen ist die Anbindung an verschiedene gesellschaftliche Gruppen möglich und nötig. Zudem wird die Kontrollfunktion, die der Journalismus hat, im Lokalen vor allen Dingen von den Tageszeitungen wahrgenommen. Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2021 zeigt, dass dort, wo es keine Lokalzeitungen mehr gibt, die Kriminalität von Unternehmen ebenso ansteigt wie die Umweltverschmutzung (vgl. Heese et al. 2021). Das ist natürlich eine amerikanische Untersuchung, die Situation in Deutschland, so ließe sich argumentieren, ist eine andere. Das stimmt auch: Wir haben bisher noch keine Region, in der es gar keine Zeitung mehr gibt und vor allen Dingen haben wir einen deutlich besser funktionierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dennoch gibt es Vergleichbarkeiten und Anzeichen dafür, dass wir gut darüber nachdenken müssen, wie wir die künftige lokale Berichterstattung organisieren möchten. Denn auch hierzulande werden Lokalredaktionen zusammengelegt, Mantelteile von größeren oder einfach anderen Redaktionen übernommen, Redaktionen ausgegliedert und verkleinert: kurz gesagt: Auch hierzulande sterben die Zeitungen, vor allem die Lokalzeitungen.
Wir werden also als Gesellschaft darüber befinden müssen, wie wir uns unser gesellschaftliches Selbstgespräch künftig vorstellen und wie wir es organisieren wollen. In der Diskussion ist dieses Problem schon lange. Bereits 2006 hat der Philosoph Jürgen Habermas in der Süddeutschen Zeitung für eine Art öffentlich-rechtliche Zeitung votiert (Habermas 2006). Sein damaliges Argument gilt auch heute noch: Ein Marktversagen auf dem Gebiet des seriösen Journalismus können wir uns als Demokratie schlicht nicht leisten. Auch wenn Habermas sich vor allem auf den überregionalen Journalismus bezog, so gilt das Argument auch für die regionalen und lokalen Angebote. Ob diese Angebote noch gedruckt werden oder nicht, ist dabei weniger von Belang. Bisher spielen die Lokal- und Regionalzeitungen eine sehr wichtige Rolle, wenn es darum geht, entscheidungsrelevante Informationen zu generieren.
Wir müssen diskutieren, wie wir uns diese Aufgabe künftig vorstellen, wie sie organisiert werden kann, und wer ihre Bewältigung kontrollieren soll. Wir müssen darüber reden, wie auf der lokalen und regionalen Ebene das Zusammenspiel von öffentlich-rechtlichem und privatwirtschaftlichem Journalismus aussehen soll. Kurz gesagt: Wir müssen klären, wieviel institutionalisiertes Misstrauen wir uns künftig leisten wollen und wie wir dieses Misstrauen, auch Journalismus genannt, finanzieren wollen. Der Markt allein löst das Problem ganz offenkundig nicht. Doch statt diese Diskussion streitbar, aber mit klarem Ziel zu führen, wird gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk klein geredet und die Zeitungslandschaft ihrem Untergang überlassen. Lösungsorientierte Debatten hingegen sollten einerseits den Journalismus als institutionalisiertes Selbstgespräch, andererseits die konkreten Akteur*innen, also auch die freien Journalist*innen, im Blick haben. Bisher ist beides nicht der Fall.
Anmerkung:
16 Der Medienstaatsvertrag wird regelmäßig angepasst, die Parlamente der Länder müssen dem jeweils zustimmen. Zuletzt hatte das Land Sachsen-Anhalt die notwendige Abstimmung im Parlament nicht vorgenommen, da der Ministerpräsident davon ausging, dass das Parlament den Staatsvertrag mit den Stimmen von CDU und AfD ablehnen würde. Die Rundfunkanstalten haben dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt; dieses hat zugunsten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten entschieden.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von Vorwort sowie Kapitel 8 und 9 der Studie “Erosion von Öffentlichkeit” der Otto Brenner Stiftung. Einige Zwischenüberschriften wurden zusätzlich eingefügt. Den vollständigen Wortlaut mit Schaubildern, Literaturverzeichnis etc. (110 S.) finden Sie hier.
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