… tut auch der Frieden weh. Der Autor erinnert sich an die Bombardierung von Belgrad im Jahr 1999. Er fühlt mit den Ukrainern mit und weiß: Der Krieg ist nach den Bomben nicht vorbei.

Daten und Jahrestage treiben manchmal ein seltsames Spiel. In den vergangenen Wochen veröffentlichten die Medien in Serbien und Montenegro wie jedes Jahr sehr viele Texte und Berichte anlässlich des Jahrestages der Nato-Bombardierung der beiden Länder, die am 24. März 1999 begann und drei Monate lang andauerte. Diesmal ist jedoch ein anderes Datum symbolisch in die Erinnerung an diese Zeit eingegangen.

Am Tag zuvor, am 23. März, verstarb die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright im Alter von vierundachtzig Jahren. Neben Bill Clinton (und wahrscheinlich Tony Blair) ist es schwierig, eine Person zu finden, die in Serbien mehr gehasst wird, zumindest bei den Generationen, die sich an die Neunzigerjahre und an die Jugoslawien-Kriege erinnern können. Ihr Auftreten, wo immer und wann immer Gewalt im Namen amerikanischer globaler Dominanz zu rechtfertigen war, machte sie zum Gesicht des Aggressors. Und so war es nicht verwunderlich, dass man zumindest in den sozialen Medien in den letzten Wochen offenen Jubel über den Tod von Madeleine Albright lesen konnte.

Den Nato-Einsatz kann man nicht sinnvoll verteidigen

Ein ziemlich gruseliger Humor, um es vorsichtig auszudrücken, aber offensichtlich sucht sich der Humor manchmal seine Opfer nicht aus, vor allem in den sozialen Netzwerken nicht, die längst zu einem idealen Ort für fünf Minuten Katharsis für jedermann geworden sind. Es gibt kaum einen Blickwinkel, aus dem die Nato-Bombardierung von Jugoslawien nicht kommentiert worden wäre. Vor allem in Serbien kann man Meinungen darüber lesen, wie ungerechtfertigt sie war. Wie sie ohne Abstimmung in den Vereinten Nationen durchgeführt wurde. Wie niemand zugab, dass sie in vielerlei Hinsicht falsch gewesen war. Dass es unklar blieb, warum die Nato große Städte in Serbien und Brücken in diesen Städten bombardierte, während der auslösende Krieg auf dem Gebiet des Kosovo stattfand.

Es gibt aber auch jene (Nato-freundliche) Seite, die trotz der Fakten immer noch versucht, die Nato-Aggression zu rechtfertigen (die als „humanitär“ deklariert und zynisch als „Operation Nobel Amboss“ bezeichnet wird), und darauf besteht, dass Slobodan Milosevic nicht gestürzt worden wäre, wenn die Bombardierung Serbiens und Montenegros nicht stattgefunden hätte.

Ein wirklich besonderer und ungewöhnlicher Film über den Krieg in Serbien

Aber dieses Mal möchte ich anlässlich des Jahrestages der Nato-Bombardierung von Jugoslawien auf ein Material aufmerksam machen, das die westliche Öffentlichkeit kaum zu Gesicht bekommen hat. Es handelt sich um einen kurzen Dokumentarfilm mit dem poetischen Titel “It’s cruising, I’m cruising”.

Es ist ein Satz, den ein einheimischer Alkoholiker am 25. März 1999, einen Tag nach Beginn der Bombardierung Serbiens, in die Kamera spricht, nachdem ihn der Kameramann gefragt hat, ob er Angst vor den Bomben („Cruise Missiles“) habe, die in der Nacht zuvor gefallen sind. So beginnt dieser wirklich ungewöhnliche und besondere Film.

Nach dem Krieg nagt der Frieden an einem

Der Ort des Geschehens ist Žarkovo, ein Stadtviertel in Belgrad, der Hauptstadt Serbiens. Die Charaktere: eine Großmutter, die Eltern und Verwandten der Regisseure, ihre Nachbarn, die Leute, die vor dem Haus abhängen, Kinder aus dem Viertel, Betrunkene, Passanten usw. Schon in den ersten Minuten erinnert dieses Videojuwel den Betrachter an die grundlegende, rohe Kraft des Dokumentarfilms, die niemals in den technischen Elementen liegt, sondern nur oder zumindest vor allem in der Tatsache, dass derjenige, der die Kamera in der Hand hält (egal in welcher Qualität), sich zur falschen Zeit am falschen Ort befindet.

Die Regisseure des Films sind Sale Janković und Marko Čvorović. Es ist schwierig, mehr über sie herauszufinden. Im Internet findet man die Information, dass einer von ihnen leider in der Zwischenzeit verstorben ist. Und in der Tat ist es nicht schwer, sich vorzustellen, wie sie in den folgenden Jahren, nachdem sie sich am idealen Ort für die Dreharbeiten zu ihrem dokumentarischen Meisterwerk befunden hatten, wahrscheinlich grausam gelitten haben. Ich kann mir vorstellen, wie der „Frieden“ nach drei Monaten Kriegseuphorie an ihnen genagt hat. So ist es wohl in den ersten Jahrzehnten des Friedens, nachdem dieser durch Bombeneinschläge auf die Stadt jäh unterbrochen wurde.

Was erzählt das Bild eines Menschen über den Menschen?

Dieser Film wurde in den ersten Tagen der Bombardierung der Ukraine im Internet wieder „lebendig“. Er hat sich weit verbreitet. Viele Idioten freuten sich, weil ein ähnliches Schicksal die Feinde des „brüderlichen russischen Volkes“ (die Ukraine) ereilte, wie es damals Jugoslawien ereilte. Einige wollten daran erinnern, dass in Europa vor nicht allzu langer Zeit schon einmal Bomben auf die Hauptstadt eines Landes fielen. Andere teilten es, weil die Aufnahmen der Bombardierung der Ukraine sie an ihre persönlichen Traumata erinnern. Und dieses Video brachte ihnen auf wundersame Weise gleichzeitig ein Gefühl von purer Lebensfreude. Oder zumindest das Gefühl vom reinen Überleben.

In dem Buch „Lichtkammer“ (Camera Luminoasa) zeigt Roland Barthes ein Foto einer Schulklasse, auf dem ein ganz gewöhnlicher Jungen im Vordergrund zu sehen ist, und die Legende unter dem Bild fragt: „Wo ist und was macht der Junge auf dem Bild?“. Jedes aufgezeichnete Bild eines Menschen wirft eine ähnliche Frage auf, auch wenn wir sicher sind, dass diejenigen, die in Bildern und Aufnahmen so präsent und lebendig wirken, mit Sicherheit nicht mehr auf der Erde wandeln.

Wenn tödliche Raketen über dem Kopf kreisen

Seit ich den Film „It’s Cruising, I’m Cruising“ gesehen habe, stelle ich mir die gleiche Frage, wo und was die Figuren in diesem Film machen. Ich kann mir vorstellen, dass der Säufer vom Anfang des Films aus dem Leben „herausgefallen“ ist. Die Großmutter, die gemerkt hat, dass die Bombardierung vorbei ist, aber dass der Frieden nicht gekommen ist, ist wahrscheinlich auch gestorben. Und die anderen: Kinder, Eltern, eine betrunkene, bekiffte Mannschaft vor dem Gebäude, ich hoffe, sie leben noch.

Dieser Jahrestag der Bombardierung von Serbien und Montenegro hat mich auch an die ersten Bilder erinnert, die vor fast einem Monat aus der Ukraine kamen, zu Beginn von Putins Aggression gegen dieses Land. Wenn man sich diese Szenen ansieht, kann man nicht umhin, sich zu fragen, was in naher Zukunft mit den Gesichtern geschehen wird, die wir in den Bildern und Aufnahmen ukrainischer Kinder und Familien sehen, die in diesen Tagen durch Europa reisen, während tödliche Raketen über ihrem Land kreisen.

Erinnerung an die Kriegsschrecken

Für all diejenigen, die schon einmal erlebt haben, wie es ist, wenn Bomben und Flugzeuge über den Köpfen kreisen, aber auch für diejenigen, die es noch nie erlebt haben und hoffentlich auch nie erleben werden, ist dieser Film eine Erinnerung daran, dass, während Bomben über den Himmel kreisen, Leben und Tod über die Erde kreisen und Spuren hinterlassen, die auch zwanzig Jahre nach dem Tag, an dem diese intensiven, vom Leben und vom nahen Tod geprägten zwanzig Minuten Filmmaterial gedreht wurden, noch andauern und verstören.

Ich lade Sie ein, sich diesen Film, der auf YouTube mit englischen Untertiteln verfügbar ist, anzusehen. Es gibt kaum ein Material, das uns in diesem Moment besser an die Schrecken erinnern kann, die im Krieg geschehen sind und die immer noch geschehen. Oder, wie die Großmutter des Kameramanns am Ende des Films weise sagt, nachdem die dreimonatige Bombardierung endlich vorbei ist: „Die Bombardierung ist vorbei, aber der Frieden ist nicht gekommen.“

Der Link zum YouTube-Clip. Oder geben Sie in die Suchmaske folgenden Begriff ein: „On krstari ja krstarim (1999) NATO bombardovanje Jugoslavije / Srbije, Kratki film“.

Zum Autor: Ilija Đurović (1990) ist ein Schriftsteller aus Montenegro, der seit acht Jahren in Berlin lebt und arbeitet. Er schreibt Lyrik, Prosa, Theaterstücke und Drehbücher. Seine Bücher wurden in Montenegro und Serbien veröffentlicht. Einen Ausschnitt seines Romans in englischer und deutscher Übersetzung können Sie hier lesen.

Über Ilija Đurović/Berliner Zeitung (Gastautor):

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