Eine langweilige Epidemie – ausser für die Mädchen
Irgendwo unter “Vermischtes” haben taz und FAZ eine aktuelle dpa-Meldung zum Ausbreitungswachstum von Essstörungen abgekippt. Ich schreibe das, während ich im DLF höre, dass von Migräne 8% der Betroffenen Männer seien. Bei Essstörungen sind sie mutmasslich schon über 10% geklettert. Im Kern ist es aber eine Mädchen-Pandemie. Mädchen (und Frauen) dominieren auch in der Klimaschutzbewegung. Ein Zusammenhang ist gar nicht so weit hergeholt.
Die Ableitung der dpa-Meldung, woher das ganze Massenelend komme, ist, wie fast immer, extrem oberflächlich. Die bösen Medien, die bösen Bilder etc. Neenee, so einfach kommen wir nicht davon. Tatsache ist, dass die Kinder in immer höherer Geschwindigkeit kapieren (neudeutsch: adaptieren), wie der Hase in unserem Zusammenleben und dieser Gesellschaft, in der sie aufwachsen, läuft. Alle stehen unter kapitalistischem Druck: das Kapital muss zirkulieren, um vermehrt zu werden. Wer das beschleunigt, wer schneller ist im Begreifen und Handeln, verschafft sich einen Vorsprung vor den Andern. Wer dabei nicht mitmacht, verliert, wird überflüssig und abgehängt. Respekt, Achtung, Liebe – wäre alles weg, verloren.
Wie, fragen sich die Kinder verzweifelt, kann ich diesen Irrsinn unter Kontrolle bekommen? Fange ich doch zunächst mal bei mir an. Zumal die guten Eltern mir ja beigebracht haben, bevor ich über all die bösen Andern meckere, erstmal selbst gut zu werden. Was viele Kinder übersetzen: am besten ich werde perfekt, dann habe ich bestanden. So kommt es zur “Selbstoptimierung”, eine Krankheit, die auch den meisten Erwachsenen nicht fremd ist.
Die meisten dieser Kontrollversuche scheitern. Der grösste und politischste ist der Klimaschutz. Der darf nicht scheitern, in unser aller Interesse. Könnte aber. Es geht – bisher – katastrophal zu langsam, fast gar nicht (Krieg!). Die klimaschützenden Kinder lernen: sie kriegen es – bisher – nicht unter Kontrolle. Coronapandemie und Krieg in Europa addieren und potenzieren den Kontrollverlust bis in den privaten persönlichen Bereich hinein.
Bleibt nur der eigene Körper. Er wird gequält, bis er endlich macht, was ich will. Und wenn er nicht gehorcht, dann muss er – wie im Krieg – sterben.
Ja, liebe Erwachsene, das ist schrecklich. Manche von Ihnen kennen es selbst. Ändern Sie die Politik, von der die Kinder das gelernt haben. Hören Sie mehr auf sie.
Avantgarde-Kinder
Gestern schrieb ich über den Neubau meiner Schule in Gladbeck. Heute schreibt die örtliche WAZ (Paywall) über die 17-jährige Hannah Manthey, die dort Abitur macht, wo ich es 1976 auch gemacht habe. Sie will ein Jahr nach Togo, zu einer Partnerschule in Sokodê gehen, als Nachhilfelehrerin, Hausaufgabenhilfe, Englischlehrerin. Nichts Besonderes. Ich kenne eine aus Köln-Porz, die ist schon als 14-jährige ein halbes Jahr nach Costa Rica gegangen.
Was diese angehenden Frauen machen, dafür war ich als 19-jährger noch viel zu feige. Wir müssen mehr von denen lernen, gegen Krieg und für Klimaschutz.
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