Die Spitze dieser urkapitalistischen Erkrankung ist der Krieg. Doch auch darunter gärt sie, gerne unbeobachtet. Eine durch kapitalistische Medienkonglomerate und deren kostensenkende Algorithmen beherrschte Öffentlichkeit schafft es – meistens – nicht, die damit einhergehende Kriminalität hinreichend zu beachten und unter demokratische Kontrolle zu bringen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Solche Ausnahmen möchte ich durch Beachtung stärken.

Nicht immer, aber doch z.B. gestern war dazu Jan Böhmermanns ZDF-Show zu nennen. Es wäre oberflächlich in Gähnen auszubrechen mit der Ausrede “Tönnies hatten wir doch schon”. Böhmermanns Team brachte beiläufig in Erinnerung, wie schnell sich im deutsch-korporatistischen Kapitalismus die Winde drehen. Vorgestern noch haben sich alle seine Dickschiffe voller Begeisterung händeschüttelnd mit dem heutigen Paria Wladimir Putin gezeigt. Und gestern noch waren Tönnies’ Massenschlachtungsfabriken als ausbeuterische Pandemieherde berüchtigt. Seitdem ist die was-mit-Medien-Herde weitergezogen, in den Ukrainekrieg.

In diesem Wahrnehmungsschatten kann Tönnies, nach Einbau von ein paar moderneren Klimaanlagen und ein paar “Dududus” gegen Leiharbeiterausbeutung, weitermachen, als wäre nichts gewesen. Schliesslich muss er die Massentierhaltungsbauern vor der Pleite retten, deren Ställe durch überfressene ungeschlachtete Tiere übergelaufen sind. Stellen Sie sich den Kölner Ring voller fetter Schweine vor. Dann haben sie ein ungefähres Bild. Wer die Koteletts dann alle frisst – der Chinese lässt ja keine mehr rein? Das müssen Sie Herrn Tönnies fragen. Böhmermann hats auch nicht verraten.

Putin ist jetzt der Böse. Der Andere auf dem Händeschüttlerbild ist fast schon wieder vergessen. Wenn da nicht die Bande in Köln-Ehrenfeld wäre. Also danke.

Kremlastrologie

Die Berliner Zeitung leistet sich einen eigenen Astrologen: Alexander Dubowy. Seine Qualifikation vermag ich nicht zu bewerten. Was ich heute von ihm lese Putin ist kein Diktator, dazu ist das russische Politiksystem viel zu komplex – Wie groß ist Putins Macht? Ziemlich groß. Aber Alleinherrscher ist er nicht. Jetzt beginnt seine Macht, Brüche zu bekommen.” hinterlässt bei mir einen sachkundigeren Eindruck, als seine deutschsprachige in der Regel radikal unterkomplexe Konkurrenz.

Von zwei toten Oligarchenfamilien hatte ich gestern erstmals beim Mittagessen von meinen kremlastrologisch gut gebildeten Freund*inn*en gehört. Hier ebenfalls wieder ein Bericht aus der Berliner Zeitung von Liudmila Kotlyarova: Zwei Familien von russischen Gas-Baronen tot aufgefunden: Wer steckt dahinter? – Es könnte ein Zufall gewesen sein, doch mitten im Krieg glauben nur wenige an Zufälle. Was über die Tat in Russland bisher bekannt ist.”

Die entscheidende Frage

Wieviel Zeit bleibt noch, den Klimawandel auszubremsen? Ich bin kein Naturwissenschaftler, aber ich habe es so verstanden: sehr, sehr wenig. Eine mir allzu panische Aktionsgruppe nennt sich “Letzte Generation”. Puuh, das wäre bald.

Klimawandelleugner*innen wenden gerne ein, “Deutschland alleine” könne doch sowieso nichts ausrichten. “Wir” verursachen doch “nur” 2 % der weltweiten CO2-Emssionen. Joo. “Wir” sind ja auch nur 1% der Weltbevölkerung. Also doppelt so grosse Dreckschweine wie die andern. So weit, so richtig.

Klar ist also: wer “die Welt” retten will, muss sich mit den Grossen unterhalten, ob die Arschlöcher sind oder nicht: USA, USA, USA, China, China und China, Indien, Pakistan, Indonesien, Brasilien, Argentinien. Und übrigens: ist die EU schon bei den Guten? Wenig Zeit für viel Arbeit? Viel Regenwald zur CO2-Umwandlung in Sauerstoff hat – noch – Brasilien, und – noch – Afrika – und viel Wald ist übrigens in Sibirien. Wer hat da zu sagen?

Daraus ergibt sich eine einfache strategische Frage: was zuerst? Regimechange, Einführung von Demokratie und Menschenrechten? Oder mit denen reden, die jetzt die Macht haben? Ja klar, beides gleichzeitig. Politik muss immer als Prozess verstanden werden. Aber eine Regierung ist gezwungen, es dennoch in (arbeitsteilige!) Schritte zu zerteilen. Das ist Arbeit. Politische Arbeit. Und davon viel.

Bitte schön: Vorschläge bitte!

Hier einer von einem Sohn Willy Brandts, einem ehemaligen MSB-Spartakisten aus Dortmund, und einem ehemaligen Umweltstaatssekretär der SPD, alle schon älter als ich (gegen Peter Brandt habe ich sogar mal eine Hauptseminararbeit – Note 2 – geschrieben: “Die deutsche Frage in der Diskussion der Linken”): Ukraine-Krieg: „Wir brauchen Friedensgespräche und nicht Aufrüstung“ – Ein paar Gedanken zum Olof-Palme-Bericht: Wie kann man einen globalen Frieden bewirken? Was muss Europa, was muss Russland tun? von Peter Brandt, Reiner Braun, Michael Müller.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net