Die Sahel-Einsätze der Bundeswehr im öffentlichen Diskurs
Auf einen Blick: Experten aus Mali, Niger und Deutschland kritisieren medial „übervereinfachte Realitätswahrnehmungen“ der Sahel-Konflikte; ein Ausblenden von Parlamentsdebatten stößt auf Unverständnis.
Zu den Militäreinsätzen wird nicht hintergründig im Sahel recherchiert. Es gibt keine Reportagen und keine investigativen Recherchen aus dem Sahel.
Korrespondenten berichten aus Kapstadt, Paris, Berlin und Rabat; also 2400 bis 6000 km entfernt von Bamako/Mali.
Hochrangige französische und deutsche Regierungsvertreter dominieren die Informationsquellen; wichtige Quellengruppen aus Afrika kommen so gut wie nie zu Wort.
Zum Komplex „Terrorismus“ wird nicht hintergründig aufgeklärt.
Von breiter Information und nachhaltiger Beförderung eines gesellschaftlichen Diskurses kann keine Rede sein.
Redaktioneller Vorspann
In wenigen Tagen wird der Deutsche Bundestag über die Fortsetzung der Sahel-Mandate debattieren und entscheiden. Deshalb hat sich die OBS entschieden, die wichtigsten Ergebnisse unserer Untersuchung des Medienjournalisten und Afrikanisten Dr. Lutz Mükke zu veröffentlichen. Wir wollen mit der Vorabpublikation der Zusammenfassung auf die weitere innenpolitische Diskussion einwirken. Die noch anstehenden parlamentarischen Beratungs- und Entscheidungsprozesse scheinen offen zu sein. Entscheidend aber ist, dass wir vom Mediensystem einen deutlich ernsthafteren Umgang mit dem Thema Krieg und Kriegseinsätze fordern.
Die historische Niederlage des Westens in Afghanistan, die Irak- und Libyen-Desaster, Syrien, der Stellvertreterkrieg im Jemen und nicht zuletzt der aktuell eskalierte Russland-Ukraine-Krieg geben mehr als genug Anlass für Redaktionen, ihre Krisen- und Kriegsberichterstattung zu professionalisieren. Diese notwendige Professionalisierung ist wichtig für die benötigten hintergründigen und qualitätsvollen demokratischen Diskurse über diese Themenkomplexe – und damit darüber, wie sich die Bundesrepublik zu diesen Konflikten verhält. (GF der OBS, Frankfurt/M. im Frühjahr 2022)
Die Situation
Seit 2013 verlängert der Bundestag jährlich die Einsatzmandate der Bundeswehr in Mali und der Sahel-Region. Der mit Abstand größte laufende Bundeswehreinsatz, bei dem im Sommer 2021 1.100 Soldaten im Einsatz waren, ist die Multdimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali, MINUSMA. Zudem ist die Bundeswehr mit einem Mandat für die Ausbildung malischer Streitkräfte durch die Europäische Union, EUTM, vor Ort. Verzahnungen und Berührungspunkte gab oder gibt es u.a. mit der Aufstellung der G5-Taskforce mit Mauretanien, Burkina-Faso, Tschad, Niger, Mali; mit der französischen Militär-Operation Barkhane (vorher Operation Serval); der Bundeswehr-Mission Gazelle; der Takuba Task Force und mit US-amerikanischen Präsenzen. MINUSMA gilt derzeit als gefährlichster UN-Einsatz. Intention ist, die Region zu stabilisieren und Terrorismus zu bekämpfen.
Methode
Unsere Untersuchung fragt, wie sich die Sahel-Region sowie die Bundestagsdebatten und die Abstimmungen über die Verlängerungen der Sahel-Einsätze 2021 in führenden deutschen Massenmedien niederschlugen. Untersucht wurden die Berichterstattungen der Leitmedien Zeit Online, FAZ.NET, Bild.de und tagesschau.de im Zeitraum 5. April 2021 bis 4. Juni 2021; Visualisierungen bleiben unberücksichtigt. Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse wurden anschließend mit Experten aus Mali, Niger und Deutschland diskutiert. Zwar können die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden, sie sind aber mehr als eine Momentaufnahme, weil sie auch ückschlüsse auf die Diskurstiefe in der Bundesrepublik zulassen.
Ergebnisse der Inhaltsanalyse
Im Untersuchungszeitraum wurden in den analysierten Medien 41 Online-Artikel zum Themenkomplex veröffentlicht. Die Parlamentsdebatte spielt in diesen Berichterstattungen so gut wie keine Rolle. tagesschau.de kommt zum Beispiel über eine 95-Sekunden-Nachricht (19. Mai 2021) und das Statement „(…) hat der Bundestag eine Verlängerung und Verstärkung des Bundeswehrmandats für Mali abgenickt“ nicht hinaus (1. Juni 2021). Der Einfluss von Nachrichtenagenturen auf die analysierte Berichterstattung ist hoch. Etwa 60 Prozent aller Beiträge sind Eins-zu-eins-Abdrucke von Agenturmeldungen oder basieren auf Agenturmaterial. Besonders einflussreich sind die französische Nachrichtenagentur AFP und die deutsche Presseagentur dpa. Zwar stammen auch etwa 40 Prozent aller Beiträge von Korrespondenten. Allerdings berichten diese von den Standorten Kapstadt, Paris, Berlin und Rabat aus, zwischen 2400 und 6000 km entfernt von Bamako/Mali. Keines der untersuchten Medien hielt es für angebracht, eigene Reportagen aus der Sahel-Region oder komplexere Recherchen, investigative Beiträge oder Storytellings zu platzieren. Die gesamte Berichterstattung ist stark nachrichtlich-berichtend geprägt. Leitartikel, Interviews, Porträts oder Rezensionen zum Thema kommen nicht vor, lediglich zwei Kommentare. Eintönigkeit herrscht auch bei der Ressort-Verortung: Fast alle Beiträge erscheinen unter den Rubriken „Politik“ und „Ausland“. Wirtschafts- und Kulturressorts veröffentlichten nichts zum Themenkomplex.
Alle Beiträge beschäftigen sich mit den Themen „Krieg, Krise, Putsch“, wobei zwei Ereignisse Berichterstattungshochs auslösten – ein Staatsstreich in Mali und der Tod des Präsidenten des Tschad. Die Aktivitäten der Bundeswehr werden zwar oft holzschnittartig hinterfragt, aber nie vor Ort hintergründig recherchiert. Der geografische Fokus der Berichterstattung liegt auf vier Ländern: Mali, Frankreich, Deutschland und Tschad. Zu einem geringen Teil werden regionale Betrachtungen über die Sahel-Region angestrengt.
Zu hinterfragen ist auch die Zusammensetzung der „Informationsquellen“ der Sahel-Berichterstattung. Mit weitem Abstand dominieren hochrangige französische und deutsche Regierungsvertreter, gefolgt von malischen Militärs sowie hochrangigen EU- und UN-Vertretern. Auch Verlautbarungen der westafrikanischen Regionalorganisationen ECOWAS, der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen werden wiedergegeben. Auffällig: Ca. 60 Prozent aller Quellen sind nichtafrikanisch. Ganze afrikanische Gruppen von Quellen kommen gar nicht oder nur in raren Einzelfällen zu Wort: Geschäftsleute, Wissenschaftler, Religionsvertreter, Künstler, Musiker,Schriftsteller, Studenten … Sie sind für die am journalistischen Produktionsprozess Beteiligten weder als Handlungsträger noch als relevante Quellen von besonderer Bedeutung. Auch Hilfsorganisationen, traditionell starke Kommunikatoren in Subsahara-Afrika, spielen nur eine marginale Rolle. Ähnliches gilt für islamistische Extremisten, Terroristen und verschiedene bewaffnete Gruppen, etwa der Tuareg. Auch diese werden so gut wie nicht abgebildet, sondern laufen lediglich als bedrohlicher Subkontext mit. In keinem einzigen Fall wird über sie näher aufgeklärt, obwohl sie als Hauptgrund der Militärinterventionen proklamiert wurden und werden.
Einordnungen und Empfehlungen der Experten
David Dembélé, investigativer Datenjournalist aus Bamako/Mali, verweist darauf, dass den Militäreinsätzen im Sahel in Deutschland „höchstes Interesse“ zukommen sollte. Dass es im zeitlichen Zusammenhang mit der Bundestagsdebatte keine unabhängigen journalistischen Recherchen und Reportagen der vier Medien aus den Sahel-Ländern gab, findet er „paradox“. Unabhängige Journalisten und Redaktionen müssten bei hochrelevanten Themen wie Militäreinsätzen bzw. Krieg und Frieden deutlich mehr leisten, erklärt auch Ibrahim Manzo Diallo, Chefredakteur der Gruppe Aïr Info und des Radiosenders Radio Sahara FM aus Agadez, Niger. Helmut Asche, emeritierter Afrikanistik-Professor und Initiator der Sahel-Initiative der Vereinigung für Afrikawissenschaften in Deutschland (VAD), erklärt, dass die Mandatsverlängerungen im journalistischen Feld offensichtlich „für einen Routinevorgang“ gehalten würden, was insbesondere 2021 falsch gewesen sei. Selbst die Regierungsfraktionen hätten Sahel-Papiere erarbeitet, ebenso das Auswärtige Amt. Auch die Parlamentsentscheidungen selbst seien keine Routine gewesen. Die Grünen hätten sich etwa bei der Ausweitung des EUTM-Mandats enthalten, was u.a. für Aufregung in der französischen Botschaft in Berlin gesorgt habe, die den Diskurs in Deutschland genau beobachtet.
Dass unter den Autoren der analysierten Beiträge kein einziger afrikanischer Journalist ist, empfindet Diallo als „Verachtung“ und Affront. Asche dazu: „In der Phase der politischen Entscheidung nicht einmal einen afrikanischen Autor, um einen Gastkommentar gefragt zu haben“, drücke die „Geringschätzung des Themas aus“ und zeige, dass die Redaktionen „den berechtigten Teil der neueren Postkolonialismus-Debatte noch nicht ernst genommen“ hätten. Diallo weist darauf hin, dass sich die Berichterstattung in immer gleichen Frames bewege. Journalismus hätte jedoch die Aufgabe, diese permanent zu hinterfragen, was nur ginge, wenn man sich nicht fortwährend auf Propaganda und Verlautbarungen von Regierungen, deren Militärs und internationalen Organisationen stütze. Dass ganze Gruppen von wichtigen Quellen wie afrikanische Experten, Geschäftsleute, Intellektuelle, Künstler und Religionsvertreter so gut wie nicht zu Wort kommen, „tut weh“ und sei „inakzeptabel“. Zumal die in Deutschland geführten Debatten über die Militäreinsätze „direkt die Zukunft der Sahel-Länder betreffen“, so Diallo. Um „übervereinfachte Realitätswahrnehmungen“ abzubauen, müsse deutlich stärker investiert werden, u.a. in Rechercheteams, in langfristige Entsendungen von erfahrenen Krisen- und Kriegsreportern und -Korrespondenten sowie in Kooperationen mit afrikanischen Journalisten.
Fazit
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland räumt dem Thema Frieden in Artikel 1 höchsten Stellenwert ein. Die Festschreibung der Bundeswehr als Parlamentsarmee verpflichtet dazu, mit diesem Themenkomplex demokratisch-diskursiv umzugehen und Meinungsbildungsprozesse über Truppen-Entsendungen ins Ausland zu durchlaufen. Parlamentarische Debatten und massenmediale Diskurse sind dafür grundlegend. Anhand der analysierten Berichterstattung konnte sich die bundesdeutsche Öffentlichkeit aber weder substanziell über die Bundestagsdebatten noch hintergründig über die Geschehnisse in der Sahelzone informieren. Von umfänglicher Information und Beförderung eines gesellschaftlichen Diskurses kann nicht die Rede sein.
Mehr Infos finden Sie auf der Website: www.otto-brenner-stiftung.de. Dr. Lutz Mükke, Journalist und Afrikanist, Afrika-Reporter, Gründungsmitglied von Africa Vagabonds; u. a. Autor des Sachbuchs „Journalisten der Finsternis“, einer Analyse zum Zustand deutscher Afrika-Berichterstattung.
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