Die Bundestagsverwaltung hat entschieden, dass Besucher/innen, die die Räume der Abgeordneten und der Fraktionen betreten dürfen, einen Ausweis mit Foto tragen müssen. Die Ausweise sind von den einzelnen Fraktionen auszustellen. Dazu teilte die Verwaltung mit, dass die Vordrucke unter der Registernummer 7-8/2021 angefordert werden können. Eine Ösenzange nebst Ösen könne beim Materiallager ausgeliehen werden.
Was sich so einfach anhörte, entwickelte sich zu einem Musterbeispiel für die Erkenntnis, welche Probleme bei Verwaltungsreformen auftreten können. Es begann mit organisatorischen Mängeln. Beispielsweise wollten mehrere Fraktionen die Ösenzange zur gleichen Zeit entleihen. Andere gaben die Ösenzangen nicht rechtzeitig zurück. Es gab sogar Abgeordnete, die sich eine Ösenzange ausliehen, obwohl sie gar keinen Besucherausweis auszustellen hatten.
Daher musste eine Entgeltordnung erarbeitet werden, um die Ösenzangen-Ausleihzeiten zu koordinieren und um Ösenzangen-Ausleihgebühren festzusetzen. Dazu gab es dann Ösenzangenanforderungsformulare. Nun konnte jede Fraktion die Ösenzange zum benötigten Zeitpunkt bestellen. Die Gebührensatzung war nach der Entleihzeit gestaffelt und unterschied zwischen Ösenzangenausleihen mit Ösen und ohne Ösen. Als problematisch erwiesen sich die sogenannten Ösenzangenleerlaufzeiten: Sollten auch Gebühren berechnet werden, wenn die Ösenzange über Nacht oder gar übers Wochenende ausgeliehen wurde? Und wem wird die Transportdauer zugerechnet, die im Aktenumlaufwesen bekanntlich bis zu vier Tage dauern kann?
Die Gebühren flossen in eine Ösenzangenausgleichsrückslage, aus der Ersatzbeschaffungen vorgenommen wurden, wenn eine Ösenzange in den vorzeitigen Ruhestand trat. Um Missbrauch zu verhindern, erfasste eine Ösenzangen-Controlling-Abteilung alle Ösenzangen-Ausleihzeiten und verglich sie mit der Zahl der verbrauchten Ösen. Für den Fall, dass zwischen einzelnen Fraktionen deutliche Unterschiede beim Ösenverbrauch oder bei der Ausleihdauer auftraten, wurden Fortbildungskurse zum materialschonenden und ösensparenden Umgang mit bundeseigenen Ösenzangen angeboten. Außerdem wurde geprüft, ob die Fotos statt mit zwei Ösen links unten und rechts oben auch mit nur einer Öse in der Mitte befestigt werden könnten.
Da nicht alle Fraktionsbediensteten sofort Sinn und Nutzen der Ösenzangenentgeltordnung einsahen, gab es Umgehungsversuche. So hatte sich eine Sekretärin kostenlos eine Ösenzange in einem benachbarten Schreibwarenladen ausgeliehen. Dagegen erhob der Personalrat Widerspruch. Seiner Ansicht nach sei ein solches Outsourcing mitbestimmungspflichtig. Die FDP-Fraktion vertrat dagegen die Meinung, dass sich auch die Ösenzangen dem Wettbewerb stellen müssten. So könnten die bundeseigenen Ösenzangen ihre Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit nachweisen. Die Ösenzange als solche sei ein geeigneter Hebel zur Straffung der Verwaltungsarbeit.
Einzelne Politiker schlugen sogar vor, im Sinne einer bürgerfreundlichen Verwaltung die bundeseigenen Ösenzangen auch an Außenstehende zu verleihen. Das Finanzministerium wies jedoch darauf hin, dass das Ösenzangenausleihamt dann zu einem Betrieb gewerblicher Art würde und die Ösenzangennutzungsentgelte mehrwertsteuerpflichtig wären. Auf Gewinne wären Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer zu zahlen.
In einem ersten Schritt wurde daher zunächst nur eine Kooperation mit der Berliner Senatsverwaltung vereinbart. Diese Entwicklung alarmierte die Abgeordneten. Sie sahen die Ösenzangen und Ösen nun nicht mehr als Geschäft der laufenden Verwaltung an und wollten eine Grundsatzentscheidung treffen. Insbesondere interessierte sie die Frage, welchen Kostendeckungsgrad die Ösenzangen-Entgeltordnung vorsah.
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