Was heute der britische Thronfolger Prinz Charles als Notar der Verfassung in den beiden Häusern des britischen Parlaments – erstmalig in Vertretung der Queen – als geplante Politik der britischen Regierung Johnson verkünden musste, gleicht einem Putsch von oben gegen die älteste Demokratie der Neuzeit und die verbrieften Bürgerrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger. Großbritannien, so musste der Prinz hilflos im Auftrage der Regierung ihrer Majestät ankündigen, werde sich nicht weiter dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unterwerfen.
Grund für diese Haltung ist die Absicht der Londoner rechten Populisten, Flüchtlinge und Migrant*inn*en noch leichter abschieben zu können und dabei verbindliche europäische Grundrechtsstandards nicht mehr einhalten zu müssen. Dänemark mit seinen grundrechtswidrigen Abschiebegefängnissen im Kosovo stand hierfür Modell. Eine Rechtsverkürzung nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die britischen Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht mehr gegen unrechtmäßiges, menschenrechtsverletzendes Verhalten ihrer Regierung an eine juristische Instanz wenden können. Johnson legt also die Axt an den Rechtsstaat im eigenen Land, bei eigenen Bürger*inne*n, nicht nur bei Migrant*inn*en. Viktor Orban lässt grüßen. Amnesty International läuft Sturm gegen dieses rechtswidrige Vorhaben.
Offenen Bruch internationaler Verträge angekündigt
Er wird auch einen weiteren Rechtsbruch begehen, den er schon vor Tagen angedeutet hat: Johnson will das Nordirland-Protokoll im EU-Austrittsabkommen, das er selbst ausgehandelt und unterschrieben hat, brechen. Seine Vorgängerin und Parteifreundin Theresa May hat ihn vor diesem Schritt ausdrücklich gewarnt. In diesem Abkommen hat die EU den Briten zugestanden, statt Grenzkontrollen an der jahrzehntelangen Demarkationslinie zwischen Nordirland und der Irischen Republik einzuführen, Zollkontrollen in der britische See zwischen Irland und dem britischen “Festland” sollten verhindern, dass an der Grenze zwischen Nordirland und Irland die alten, vor Jahrzehnten durch Abkommen und die gemeinsame EU-Mitgliedschaft befriedeten Konflikte zwischen religiösen Fanatikern und Nationalisten wieder aufbrechen.
Nun möchte Johnson nach dem Wahlsieg der Sinn Fein-Partei der Forderung der evangelisch-nationalkonservativen DUP, die gerade bei der Wahl für ihren Brexit-Kurs abgewählt worden ist, nachgeben, und nimmt in Kauf, wie Putin als Politiker wahrgenommen zu werden, der ohne Gewissensbisse bereit ist, internationale Verträge zu brechen, wenn es in der eigenen Tagespolitik und persönlichen Willkür Nutzen bringt. Das ist die Okkupation der ältesten Demokratie Europas durch einen gewissenlosen Populisten.
Machtabsicherung im Angesicht des gescheiterten Brexit
Damit setzt sich Johnson in einer Geisteshaltung über die traditionellen Werte der britischen Demokratie und ihrer ungeschriebenen Verfassung hinweg, deren Eckpfeiler über Jahrhunderte hinweg gewachsen sind. In Großbritannien, das nach wie vor aufgrund der Initiativen aus Schottland und Nordirland droht, Kleinbritannien zu werden, versucht Johnson nun, mit ähnlichen illegalen Mitteln, wie sie die Republikaner derzeit in verschiedenen Staaten der USA verfolgen, das Wahlrecht zugunsten seiner Partei zu manipulieren und einzuschränken. In einem Land, in dem es traditionell kein Melderecht und keinen Zwang zu Personalausweisen gibt, wie in Deutschland, sollen in Zukunft nach Plänen von Johnsons Innenministerin nur noch die Menschen wählen können, die über einen aufwendigen, teuren, mit biometrischen Merkmalen versehenen Personalausweis wählen können. In den USA haben sich solche und ähnliche Mittel bewährt, um sozial schwache, bildungsferne, farbige, migrationsnahe und schwer erreichbare Bevölkerungsschichten und Minderheiten von der Wahl abzuhalten und den konservativen Republikanern Mehrheiten zu sichern. In vielen republikanisch regierten Staaten gehen diese Bemühungen weiter, um Trumps Wahl 2024 zu sichern. Genau auf diese demokratiefeindlichen Methoden setzt Boris Johnson im Vereinigten Königreich.
Nicht nur in Russland erodiert der Rechtsstaat
Seit Wochen steht Boris Johnson unter einem unglaublichen Druck der demokratischen Öffentlichkeit wegen seiner Eskapaden mit illegalen Corona-Feiern ohne Schutz während des Lockdowns. Aber erstaunlicherweise kommt er mit dieser Haltung bisher ohne großen Schaden an seiner Glaubwürdigkeit durch. Die verluderte Boulevardpresse wie “The Sun” Murdochs und die in Großbritannien ebenfalls aktiven (a)sozialen Medien tun das Ihrige, um demokratische Diskurse im Vereinigten Königreich zu verdrehen, zu Fakenews zu degenerieren. Was tut Johnsons Regierung dagegen? Nichts! Sie plant, ganz viel dafür zu tun, indem die Tories planen, die BBC, das demokratische Bollwerk weltweit für seriösen, unabhängigen Journalismus, zu schleifen. Die demokratische Öffentlichkeit ist Johnsons Populisten “zu teuer”. Ein Schlag gegen die Grundfesten der Demokratie. Putin wird es erfreut zur Kenntnis nehmen.
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