Ich gehöre statistisch zum wohlhabenden Teil der Bevölkerung. Ich bin selbständig und ich bin wütend. Mein Mobilitätsverhalten ist alters-, wohnort- und gesundheitsbedingt stark auf den Individualverkehr per Auto orientiert. Mein “Dienstfahrzeug” im Betriebsvermögen ist ein Diesel. Ich habe noch einen Youngtimer als “Spielzeugauto” in der Garage stehen und deshalb beobachte ich mindestens zwei Kraftstoffpreise. Ich zähle statistisch zur Wählerklientel der FDP, die gegen alle volkswirtschaftliche Vernunft und mein Entsetzen einen “Tankrabatt” für Erdölkonzerne durchgesetzt hat und werde täglich wütender.
Genau so, wie ich es erahnt habe, ist es gekommen. 3,4 Milliarden Euro werden der Mineralölindustrie derzeit und in den kommenden drei Monaten in den Rachen geworfen. Und dies, nachdem sie im ersten Quartal 2022 bereits außerordentliche Gewinne in gleicher Höhe verzeichnet hat. Weil deutsche Autofahrer entweder zu blöde oder zu faul sind, um Kraftstoff zu sparen. Ich hatte vor einigen Monaten berichtet, wie ich individuell auf die Preissteigerung der Mineralölkonzerne reagiert habe. Es gelang mir, den Verbrauch meines Diesel von 8,2 l/100km auf 5,8l/100km zu reduzieren. Ich gebe zu, dass das ja ein Wochenendversuch war, aber ich habe es jetzt, fast drei Monate später geschafft, meinen Durchschnittsverbrauch von 6,2l/100km dauerhaft zu begrenzen – allein durch Verhaltensänderung. Das bedeutet im Klartext: 110 km/h auf Autobahnen und 90km/h auf Landstrassen. Verzicht auf Beschleunigungsrennen und vorausschauendes Fahren. Und auch mein Oldtimer – immerhin ein 354 PS-Bolide, aber kein SUV, braucht bei verhaltener Fahrweise statt 13,2 nur noch 9,9l/100km Super E 10. Und die Ausflugswochenenden in die Eifel wurden halbiert.
Die Willkür der Konzerne
Natürlich beobachte ich den Benzinpreis im Verhältnis zur Rohölpreisentwicklung. Der Rohölpreis stieg nach Kriegsbeginn im Februar erheblich an, um sich dann schnell wieder zu beruhigen. Die Kraftstoffpreise stiegen von um € 1,60-1,70 um Jahresbeginn auf €2,20 -2.40 kurz nach Kriegsbeginn. Danach sanken sie wieder – Mitte März um €1.90-1.98, wobei den niedrigsten Preis Super E10 und mit den höchsten Preis das Diesel erreichte. Genau zu dieser Zeit tankte ich bei einer Fahrt in den Schwarzwald in Frankreich auf Höhe Rastatt auf der anderen Rheinseite beim Supermarché für 1,69l E10 und 1,74/l kostete der Diesel.
Was kann Macron, was Habeck nicht kann?
In den drei Wochen vor dem 1.6.2022 stiegen die Spritpreise in Deutschland steil an. Auf €2,05 E 10 und €2.20 Diesel stiegen die Preise ohne Grund – der Ölpreis blieb etwa konstant. In Frankreich blieben sie weit darunter. Nun ist der FDP-“Kraftstoffrabatt” in Kraft getreten. Ausgehend von den realen Preisen müsste eigentlich Diesel bei € 1,85 und Super E10 bei €1,69 € liegen. Tatsächlich habe ich am Mittwochnachmittag in Gelsenkirchen Diesel für 1,84 €/l getankt – einmalig. Kaum eine Tankstelle in Köln, Bonn oder Rhein-Sieg lobte heute Kraftstoff unter €1,95 E10 und €2.01 für Diesel aus. Das sind die niedrigsten Werte, die Durchschnittspreise lagen um bis zu 20 ct. höher. Was bedeutet das? Die von Lindners Tankrabatt bereitgestellten Steuermittel fließen praktisch vollständig in die Taschen der Mineralölkonzerne, die sowieso seit Beginn des Krieges exorbitante Gewinne verbucht haben.
Was also soll die ganze Aktion bringen? Wählerstimmen für die FDP? Ich kann als Selbständiger die höheren Spritkosten aufgrund meines Dienstwagen-Privilegs steuermindernd geltend machen – ich könnte auch sagen, bei diesem Auto ist mir relativ egal, wieviel der Liter Sprit kostet, den ich als Betriebskosten geltend mache – ich muss ihn nur vorfinanzieren. Und so werden auch viele andere, vor allem die, die gerne SUV-Panzer fahren, handeln. Anders sieht es bei Arbeitnehmer*inne*n, Pflegekräften, Polizist*inn*en aus, die in Köln arbeiten und im Bergischen Land, Rhein-Siegkreis oder in der Voreifel leben, weil dort Mieten bezahlbar sind, wo aber das 9 € Ticket den spärlichen ÖPNV bestenfalls füllt, aber keine besseren Anschlüsse schafft. Für die gibt es unterm Strich nur Belastungen.
Mineralölkonzerne in Deutschland enteignen? – Ja bitte!
Die Politik diskutiert nun wieder über eine “Übergewinnsteuer”, die überzogene Gewinne dieser Art mit 25% Steuer belegen soll. Das ist ein stumpfes, angesichts der Profite eher lächerliches Instrument. Denn es kann nicht sein, dass eine Industrie, die sowieso mit einem Minimum an Mitarbeitern auskommt, die Verbraucher*inne*n und die Bundesregierung seit Jahrzehnten am Nasenring durch die Manege führt, am Ende mal gerade ein Viertel der Gewinne abgibt, die sie durch Wucher und Ausnutzung ihrer Monopolstellung erlangt haben. In zwei aufwendigen Gutachten haben die damaligen Bundesregierungen und das Kartellamt zwischen 2006 und 2009 sowie 2011 und 2014 versucht, Transparenz in die Mechanismen der Benzinpreisbildung zu bringen. Sie sind gescheitert. Robert Habeck hat angekündigt, dem Preisbildungsprozess, der in diesen Gutachten nicht erfasst werden konnte, genauer zu betrachten. Ich bin gespannt.
Wenn ich als Unternehmensberater etwas raten dürfte, wäre es der erste Schritt und die ernste Drohung mit der Enteignung. Die darf nach Art. 15 GG nicht entschädigungslos erfolgen – aber allein die 3.4 Mrd. € des “Entlastungspaketes” hätten auch ein wichtiger Baustein zur Entschädigung sein können. Aber so, wie es aussieht, werden ihn sich die Multis sowieso aneignen. Dank der “Wirtschaftskompetenz” der FDP.
Nachtrag 8.6. 2022:
Ein kluger Ökonom hat heute vorgeschlagen, als ersten Schritt den Mineralölkonzernen die Tankstellenketten wegzunehmen. Die Trennung der Stromkonzerne RWE, Vattenfall, E-On und En-BW von den Netzen hat den Wettbewerb am Strommarkt herbeigeführt. Warum soll es bei den Tankstellenketten nicht möglich sein, diese von den Mineralölkonzernen zu trennen? Klaus Müller, übernehmen Sie!
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