Und: eine Leseempfehlung zur Reibungshitze zwischen Antisemitismus- und Neokolonialismus-Debatte
Extradienst-Abonnent*inn*en wissen es schon aus dem Newsletter: “mein” Edeka um die Ecke hat seine Bedienungstheke für Fleisch, Wurst und Käse geschlossen. Sind die Veggies jetzt überall? Begründung: “aus wirtschaftlichen Gründen”. Das passt zur Ausbreitung des Veganismus; aber auch zur Einmauerung unserer Republik gegen Einwanderung. Fleischereifachverkäufer*in ist ein Ausbildungsberuf. Das ist teuer: die Ausbildung und erst recht die Weiterbeschäftigung.
Wie komm ich drauf. Zunächst einmal, weil die FAZ in ihrer Paywall (Autorin Britta Beeger) meine jüngste Diagnose (ohne Paywall, ganz kostengünstig) voll bestätigt: “Das IAB hält langfristig eine Nettozuwanderung von rund 100.000 Menschen im Jahr für realistisch – vor allem, weil aus EU-Ländern wie Polen und Spanien inzwischen viel weniger Menschen kommen und die Zuwanderung aus Drittstaaten den Rückgang bisher bei Weitem nicht kompensiert.” Es gibt nämlich ein deutsches Attraktivitätsproblem. Die meisten Migrant*inn*en wollen gar nicht hierher, sondern woandershin. Und jede*r Zehnte, die*der hier ist, haut lieber wieder ab – jedes Jahr! Danke an die deutschen Rechtsparteien (wählen Sie lieber selber aus, wen Sie dazu zählen), die hier ganze Arbeit geleistet haben.
Ergebnis (ebenfalls in der FAZ, derzeit ohne Paywall): “‘Wir schauen in einen konjunkturellen Abgrund’ – Die hohe Inflation und anhaltende Lieferkettenprobleme belasten die Unternehmen immer stärker. Die Wirtschaftsstimmung in Deutschland und im Euroraum hat sich im Juni überraschend deutlich verschlechtert.”
Warum nun gutes Timing im Edeka? Wer hat schon Lust, seinen geliebten Kund*inn*en gepanschte Wurst zu verkaufen? In einem System, in dem sogar der Skandalbetrieb Tönnies mit einem Biosiegel hantieren darf? Wer will sowas kaufen? Da ist Rückzug für eine*n kleine*n Einzelhändler*in tatsächlich eine interessante Option.
Antisemitismus und Kolonialismus
Während die Medienfeuilletons den Knochen documenta15 um die Wette abnagen, ist es womöglich schlechtes Timing, einen Vorschlag zum Nachdenken zu machen. Aber ich schwimme immer gerne gegen die Welle. Hinter diesem Tipp stehe ich 100%ig.
Micha Brumlik lernte ich das erste Mal kennen, als er als beinharter Realo für die Frankfurter Grünen in deren Stadtrat sass. Dennoch (oder deswegen, ganz wie Sie wollen) machte er von Beginn an einen angenehm-intellektuellen Eindruck auf mich, klar für die Kommunalpolitik überqualifiziert. Dem hat sein Lebenslauf Rechnung getragen. Gut so. Heute ist er als Publizist in der hitzigen deutschen Antisemitismus-Debatte eine Referenzperson für mich. Da er selbst Jude ist, traut es sich niemand, ihm krumm zu nehmen, wenn er selbst zwischen Antisemitismus und Kritik an der Politik der Regierung Israels zu unterscheiden weiss. Wie komm ich drauf?
Statt sich ins documenta-Gefecht zu werfen – vielleicht kommt das noch, aber es ist immer besser, wenn kluge Köpfe sich Zeit zum Nachdenken nehmen – veröffentlichte er eine Buchbesprechung, zu dem ich schon geraten habe: “Charlotte Wiedemann „Den Schmerz der Anderen begreifen“: Globale Empathie – Charlotte Wiedemann denkt in einem triftigen Essay über den Holocaust und das Gedächtnis der Welt nach.”
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