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Ukraine im Relotius-Stil

In der taz vom 23.7. berichtete Kriegsreporter Philip Malzahn von seinen Eindrücken an der ukrainischen Ostfront. Er hat einige Asow-Kämpfer, die sogenannte “Kraken”-Miliz, eine Zeitlang östlich von Charkiw begleitet, angeblich nur 800 Meter von der feindlichen, also russischen Linie entfernt. Scheinbar aus nächster Nähe stellt uns Malzahn die Milizionäre vor, die sich Sledak, Rijs, Punf, Konstantin, Kuzya, Antoni, Oleksandr usw. nennen. Sie kennen keine Gnade, während sie selber dem Tod ins Auge sehen. Ihre Freizeit nutzen sie zu Übungen mit der Kalaschnikow am Strand. Bebildert ist das Ganze mit Fotos in hoher Auflösung und mit viel Olivgrün.

An den faschistischen Überzeugungen der Porträtierten kann es nach dem Lesen dieses Artikels kaum Zweifel geben, wenngleich sie nicht als Nazis bezeichnet werden wollen. Nazis seien vielmehr die Russen. Malzahn eiert ein bisschen herum, einerseits “normale Jungs”, nach denen sich in Berlin-Kreuzberg keiner umdrehen würde, andererseits ihre eindeutigen Tattoos, Thor, Hakenkreuz, SS-Runen und das Bekenntnis zur “germanischen, slawischen Tradition”. So kommt er zu der Formulierung: “(Sie) bezeichnen sich offen als rechts, warum auch nicht?”

Malzahn legt Wert darauf, dass es sich nicht um eine Handvoll versprengter Extremisten handele, die er nach langer Suche in einem verlassenen Dorf aufgestöbert hätte. Vielmehr sei Asow “eine Macht” in der Ukraine und “in der Mitte der Gesellschaft angekommen”. Der Reporter glaubt: “Ziemlich sicher wird sich einiges in der Ukraine ändern, ziemlich sicher wird Asow ein großer Teil dieser Veränderung sein.”

Will uns die taz schon mal darauf vorbereiten? Der Text ist doppelt bemerkenswert. Bisher wurde die bloße, häufig schüchtern gestellte Frage nach Asow von ukrainischen Gesprächspartnern unterschiedlichster Couleur wütend zurückgewiesen. Ähnlich reagierten alle einheimischen Osteuropa-Experten bei dem Thema. Die Frage sei Ausdruck westlicher Arroganz, sie werde von Leuten gestellt, die sich an ihren bequemen Schreibtischen in Berlin oder Frankfurt anmaßten, über die Ukraine zu urteilen, und man unterstütze nur Putin, wenn man immer wieder mit Asow komme.

Der taz Artikel schlägt eine ganz andere Argumentation ein: Klar, dass es Asow gebe. Klar, dass sie stark seien – unter Jugendlichen bilde sich sogar eine Generation Asow heraus. Und dann nimmt Malzahn eine scharfe Rechtskurve: Na und? Er kann das verstehen, findet es in Ordnung. Er zitiert Kuzya: “Der Krieg kreiert ungewöhnliche und unübliche Freundschaften”. Kann schon sein, aber diese nicht mit mir.

Malzahn zufolge gibt es also in der Ukraine ein Naziproblem (nur dass er es kaum als Problem empfindet). Dann handelt es sich also nicht um eine Erfindung Putins, es existiert real. Aber wegen der Putinschen Demagogie konnte über dieses reale Problem bisher kaum gesprochen werden. Putin braucht die Parole von der “Entnazifizierung der Ukraine”, um die russische Bevölkerung hinter sich zu bringen. Er mobilisiert die historischen Erfahrungen von Leningrad, Stalingrad, vom “vaterländischen Krieg”. Man kann (und sollte) sich in Deutschland fragen, warum das 75 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs immer noch so gut funktioniert. Haben wir vielleicht dazu beigetragen? Aber Putin ist natürlich der letzte, dem es um eine Entnazifizierung gehen würde. Bekanntlich erhalten Rechtsextreme in der ganzen Welt ideologische und materielle Unterstützung aus Russland, die FPÖ in Österreich, Le Pen in Frankreich, der Brexit in GB und nicht zuletzt Donald Trump in den USA. Um es also auch sprachlich klar zu machen: die Ukraine wird nicht durch russisches Militär “entnazifiziert”, aber sie braucht ganz sicher eine antifaschistische Bewegung. Sie braucht sie schon seit 2014, nachdem der Maidan vom sog. rechten Sektor übernommen worden war. –

Publizistisch gesehen ist der taz-Artikel ein Stück Scheiße. Malzahn hat ihn als Freelancer vorher vielleicht anderen Medien angeboten, denen eine Veröffentlichung anscheinend zu heiß war. Die taz hat die Gelegenheit wahrgenommen, im Sommerloch eine Provokation zu zünden – ein allzu billiges Motiv. Aber das hat sie ja schon oft so gemacht. Der Artikel ist im Relotius-Stil verfasst; Vorspiegelung einer Nähe, die es so gar nicht geben kann, scheinbare Authentizität durch Subjektivität und Direktheit des Berichts und vor allem: Erzeugung von Emotionen durch die Ausbeutung des Leids. Relotius ging, weil dieser Stil so gut ankam und er ihn so perfekt beherrschte, irgendwann dazu über, seine Quellen frei zu erfinden. Das hat ihn schließlich seinen Job gekostet, aber die Masche ist geblieben. Sie hat uns jetzt ein exotisches Leseabenteuer beschert: wir können den Faschos beim Abschuss einer Kamikaze-Drohne direkt über die Schultern schauen und die krassen Tattoos auf ihrer nackten Haut bestaunen. Vielleicht spricht das Hofreiter an? Ralf Fücks? Andrej Melnyk? Mich jedenfalls nicht.

Es bleibt anzumerken, dass man sich bei einem solchen Verständnis von Reportage natürlich nicht auf die politischen Einschätzungen verlassen sollte: “in der Mitte der Gesellschaft angekommen”? “Generation Asow”? Ich würde da viele Fragezeichen machen, aber ich bin auch nicht dazu in der Lage, es zu widerlegen.

Lesen Sie ergänzend auch Peter Nowak/telepolis: “Der Mythos von den authentischen Stimmen aus der Ukraine – Der Vorwurf des ‘Westsplaining’ – eine Absage an den Universalismus”.

Über Detlef zum Winkel / Gastautor:

Dipl.phys. Geb. 1949. 1967-1975 Studium der Physik, Diplomarbeit am Deutschen Elektronen-Synchroton (DESY); Lehrer an Hamburger Schulen; freier Autor; Arbeit in Bürgerinitiativen gegen Atomkraftwerke und gegen die Startbahn 18 West des Frankfurter Flughafens. Antifa. Seit 1991 Informatiker.

Ein Kommentar

  1. Allah ist groß

    Ein paar Anmerkungen: Die Namen “Antoni, Oleksandr”, die sie als Asow-Kämpfer anführen, tauchen in dem Artikel als Fotografen der Bilder auf.

    Dazu schreiben Sie, der Autor findet das Rechtssein OK. Wo steht das denn im Text? Sie schreiben weiter: Er kann das verstehen, findet es in Ordnung. Er zitiert Kuzya: “Der Krieg kreiert ungewöhnliche und unübliche Freundschaften”. Dabei spricht Kuzya im Text von einer Annäherung an Antifaschisten und linke Hooligans/Kämpfer in der Ukraine. Nirgendwo ist die persönliche Meinung des Autors zu finden…

    Dann kommt von Ihnen noch der Satz:
    An den faschistischen Überzeugungen der Porträtierten kann es nach dem Lesen dieses Artikels kaum Zweifel geben, wenngleich sie nicht als Nazis bezeichnet werden wollen.

    Ich summiere: Sie lesen den Text nicht richtig, und beschweren sich darüber, dass der Artikel Ihnen Faschisten hofiert, obgleich sie am Ende trotzdem folgenden Eindruck zu bekommen: Es handelt sich um Nazis.

    Ist doch komisch oder?

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