„Schafft die Kuratoren ab!“ Ganz unrecht hatte der Kunstwissenschaftler Stefan Heidenreich nicht, als er vor ein paar Jahren diesen populistischen Schlachtruf ausstieß.

Der Unmut war groß, so wie sich die selbstverliebten und machtbewussten Ku­ra­to­r:in­nen zu den eigentlichen Künst­le­r:in­nen im internationalen Kunstbetrieb aufgeschwungen hatten.

Ruangrupas Arbeit mit Kollektiven in Kassel geht einen Schritt in Richtung einer „Demokratisierung“, mit der Heidenreich diese Kaste ersetzen wollte. Dem schwebte freilich das normale Publikum vor – wobei man sich lieber nicht vorstellen möchte, wie die Sammlungen von Museen, wie Ausstellungen und Biennalen aussähen, würden sie in die Hände von Laien gelegt.

Die Vorgänge bei der documenta und der Berlin-Biennale könnten jetzt aber schneller auf eine Kurator:innen-Dämmerung hinauslaufen, als dem Kunstbetrieb lieb ist. Mancher Zungenschlag der hitzigen documenta-Debatte klang verdächtig nach dem Trump-Motto: „Lock them up!“

Daran sind die Ku­ra­to­r:in­nen allerdings auch selbst schuld. Denn ihre organisierte Unverantwortlichkeit ausgerechnet bei zwei deutschen Vorzeige-Kunstschauen macht die Frage nach ihren Aufgaben dringlich.

„Undemokratisch, autoritär und korrupt“, wie Heidenreich in seiner Philippika gewütet hatte, waren ruangrupa nicht, sie setzten ja auf das Gruppendynamische. Aber die Liste ihrer handwerklichen Fehler war schon im Vorfeld der documenta lang.

So dermaßen lax hätten die charmanten Lumbung-Plauderer nicht auf die Antisemitismus-Diskussion reagieren dürfen. Dazu kam das Versäumnis, das in der Folge des Schneeball-Systems der Einladungen in die Kasseler Reisscheune Gespülte zu prüfen und ruangrupas Scheu, schnell und direkt mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren.

Exemplarisch ist auch der Fall der 12. Berlin-Biennale. Sehen wir einmal davon ab, dass sich die Kolonialismuskritik von Kurator Kader Attia fast nur am Westen abarbeitet und die Verbrechen der postkolonialen Regime im Irak oder dem Iran eher ausblendet.

Mit patriarchalem, unduldsamem Gestus wischten er und der Künstler Jean-Jacques Lebel dieser Tage auch die Kritik irakischer Künst­le­r:in­nen hinweg, die Folterbilder von Abu ­Ghraib zu zeigen, ohne die Betroffenen zu fragen. Drastische Mittel seien nötig, so die beiden, um die Verbrechen von Imperialismus und Kolonialismus aufzuarbeiten.

Man muss vielleicht nicht auf die abgehungerte Idee Hans Ulrich Obrists zurückfallen, Ku­ra­to­r:in­nen sollten einer Ausstellung „nicht den eigenen Stempel aufdrücken“, sondern zwischen Künstler und Publikum „vermitteln“. Natürlich wünscht man sich Ku­ra­to­r:in­nen mit Haltung.

Es ist aber auch keine Lösung, wenn sich – meist männliche – Kuratoren über moralische Skrupel hinweg als Vollstrecker einer Art Zwangspädagogik verstehen. Curare, der Wortstamm ihrer Berufsbezeichnung, kommt bekanntlich von pflegen.

Natürlich gibt es trotz dieser Fälle Beispiele geglückten Kuratierens: die Venedig-Biennale und die Manifesta in Prishtina etwa. Dennoch markieren Berlin und Kassel eine Zäsur.

Einfach Köpfe rollen zu lassen wie diejenigen der Ex-documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann, dürfte bei der Bewältigung dieser Probleme so wenig weiterhelfen wie die Kuratoren generell abzuschaffen.

Schon allein deswegen, weil der Urheber dieses fragwürdigen Slogans sie mit dem Hinweis auf die Vorzüge des kollektiven Kuratierens begründet hatte, das jetzt in Kassel an Grenzen gestoßen ist.

Der ingeniöse Großkurator à la Werner Schmalenbach oder Harald Szeemann mag out sein. Antiautoritäres Ausstellungsmachen kann aber auch nicht einfach heißen, alles durchzuwinken, was gute Freun­d:in­nen vorschlagen. Mit Zensur hat das nichts zu tun. Jeder Kurator, jede Kuratorin noch des kleinsten Kunstvereins muss sich das überlegen.

Wenn es also etwas braucht, dann ist es eine Debatte über die Ethik des Kuratierens: Wer darf was wann wo zeigen und mit welchen Mitteln? Müsste es nicht die Kernaufgabe der inflationär gewordenen „Curatorial Studies“ sein, die Kriterien dafür zu schärfen, statt immer nur ihren diffusen Berufsstand weiter zu vermehren?

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Über Ingo Arend:

Der Autor ist Politologe und Historiker, er schreibt über Kunst und Politik. Stationen machte er beim Freitag, bei der taz und beim Deutschlandfunk Kultur. Er ist Mitglied im Präsidium der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK).