Am 1. September, dem Antikriegstag, hat der Tübinger Menschenrechtsanwalt Holger Rothbauer den diesjährigen Aachener Friedenspreis erhalten. Rothbauer kämpft in der Öffentlichkeit und vor Gericht gegen illegale Geschäfte der deutschen Rüstungsindustrie. Zu seinen bekanntesten Fällen gehören die erfolgreichen Klagen gegen zwei große Waffenhersteller. Heckler & Koch exportierte tausende Sturmgewehre illegal nach Mexiko, Sig Sauer zehntausend Pistolen illegal nach Kolumbien. In beiden Fällen wurden Verantwortliche vom Bundesgerichtshof verurteilt, die illegalen Umsätze in Millionenhöhe wurden eingezogen. Durch Klagen nach dem Informationsfreiheitsgesetz und entsprechende Publikationen sorgt Rothbauer für öffentliche Transparenz über Rüstungsexporte.
Rothbauer ist in mehreren Initiativen gegen Waffenhandel und Rüstung aktiv. So arbeitet er auch an den jährlichen Rüstungsexportberichten der GKKE mit (Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung), die sich der Interpretation der Rüstungsexportberichte der Bundesregierung und vertiefenden Fragen des Waffenexports widmen.
Seit 1994 veröffentlicht die Bundesregierung jährlich einen Rüstungsexportbericht, seit 2014 auch einen Zwischenbericht für das erste Halbjahr. Ende August erschien der Rüstungsexportbericht für 2021. Er bezieht sich auf die Genehmigungen des Vorjahres und damit auf Entscheidungen vor dem Regierungswechsel. 2021 wurden Ausfuhrgenehmigungen in Höhe von ca. 9,4 Mrd. € erteilt. Das ist der historisch höchste jährliche Genehmigungswert, er liegt deutlich über dem Vorjahr 2020 mit ca. 5,8 Mrd. € sowie dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre (6,85 Mrd. €). Nur etwa drei Prozent der Genehmigungen stammen von der neuen Bundesregierung (im Amt seit 8.1.21), nahezu ausschließlich für Ausfuhren in EU-/NATO- oder NATO-gleichgestellte Länder. Der Exportrekord liegt nicht zuletzt daran, dass die frühere Bundesregierung kurz vor der Wahl noch last-minute-Genehmigungen in Milliardenhöhe erteilt hat.
Insgesamt entfielen im Vorjahr 36,4% der Ausfuhren auf EU-NATO-Staaten, der größere Teil auf Drittstaaten. Im laufenden Jahr wurden bis zum Berichtszeitpunkt Rüstungsexporte von 5,28 Mrd. € erteilt (anteilig: 2,72 Mrd. € Kriegswaffen und 2,56 Mrd. € sonstige Rüstungsgüter). Davon entfielen 76,1 % (Jahreswert 2021: 36,4%) auf Genehmigungen für Lieferungen in EU-/NATO-Länder. Bei den Ausfuhrgenehmigungen an Drittländer hat die Ukraine einen signifikanten Anteil (724,5 Mio. € von insgesamt 1,26 Mio. €). Der Wert der Exporte in andere Drittländer ist deutlich zurückgegangen.
Art. 26 des Grundgesetzes verbietet alle Handlungen, die das friedliche Zusammenleben der Völker stören. Daher dürfen „zur Kriegführung bestimmte Waffen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden.“ Diese recht allgemeinen Formulierungen werden durch das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG), das Außenwirtschaftsgesetz (AWG), eine Kriegswaffenliste und „Politische Grundsätze zum Rüstungsexport“ präzisiert, die die Herstellung und den Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern regeln. Bei Verstößen drohen Strafen und Bußgelder vor, allerdings wurden die Gesetze bisher sehr exportfördernd und unternehmensfreundlich ausgelegt.
Auf EU-Ebene gibt es seit 1998 Abkommen, die eine gemeinsame Kriegswaffenliste festlegen und die Kriterien für Ausfuhrgenehmigungen vereinheitlichen. Diese sind jedoch nicht rechtlich bindend, sollen jedoch im nationalen Recht festgeschrieben werden. Zu den Kriterien gehören unter anderen die Achtung der Menschenrechte und des Völkerrechts, die Wahrung „von Frieden, Sicherheit und Stabilität in einer Region“ und die innere Lage, so dass die Waffen nicht in bewaffneten Konflikten eingesetzt werden dürfen. Deutschland hat jetzt die Gelegenheit, diese Maßstäbe in das geplante Rüstungsexportkontrollgesetz aufzunehmen.
Die Rüstungsexportberichte der GKKE sind deutlich breiter angelegt als die der Bundesregierung, die sich weitgehend auf Statistiken stützt sind. Die deutschen Waffenexporte werden einer politisch-ethischen Beurteilung unterzogen, und die aktuelle Debatte über Entwicklungen in der deutschen Rüstungsexportpolitik wird vertieft. Jeder GKKE-Bericht hat ein Schwerpunktthema (2020 die Forderung nach einem Rüstungsexportkontrollgesetzes, 2021 die Drohnentechnologie). 2021 widmeten sich eigene Kapitel den Trends im internationalen Waffen- und Rüstungshandel, der europäischen Rüstungsexportpolitik und den internationale Bemühungen zur Kontrolle des Waffenhandels, ergänzt durch eine Beschreibung und Bewertung der Menschenrechtslage in den „Tatorten“ Ägypten, Libyen und Saudi-Arabien.
Der Bericht 2021 enthält sechs konkrete Forderungen:
1. Das angekündigte Rüstungsexportkontrollgesetz soll beschlossen werden, da die derzeitigen politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern unzureichend sind.
2. An Kriegsparteien und an Staaten, die UN-Waffenembargos brechen, dürfen keine Rüstungsgüter geliefert werden.
3. Ausfuhren von Leichtwaffen an Drittstaaten sind nicht zu genehmigen.
4. Die deutschen Exportmaßstäbe müssen ohne Abstriche auch bei Rüstungsgemeinschaftsprojekten mit anderen EU-Staaten gelten. Die prinzipielle Vetomöglichkeit Deutschlands bei Exportvorhaben in Drittstaaten muss erhalten bleiben.
5. Die europäische Rüstungskooperation darf nicht Vorrang vor einer restriktiven europäischen Rüstungsexportpolitik gewinnen.
6. Rüstungsunternehmen müssen Verantwortung übernehmen. Sie sind aufgefordert, auf Geschäftsbeziehungen mit solchen Staaten zu verzichten, die wiederholt gegen internationale Menschenrechtsnormen oder das humanitäre Völkerrecht verstoßen.
Die Forderung nach einem Rüstungsexportkontrollgesetz ist Teil des Koalitionsvertrages geworden. Dort findet sich ein Bekenntnis zu einer „restriktiven Rüstungsexportpolitik“, die durch eine EU-Rüstungsexportverordnung und durch ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz umgesetzt werden soll. Laut Staatssekretär Giegold sollen die Eckpunkte eines solchen Gesetzes im Herbst vorliegen. Er erklärte, dass das Ziel eine gesetzlich geregelte, restriktive und transparente Rüstungsexportpolitik sei. Rüstungsexporte an Verbündete und Wertepartner sollen vereinfacht werden. Die Kontrolle von Waffenexporten in Drittstaaten wird verbindlicher geregelt und der Beachtung der Menschenrechte ein besonderes Gewicht beigemessen.
Die Regierung hat eine frühzeitige Einbindung der betroffenen Unternehmen, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft angekündigt. Die derzeit 33 Initiativen und Institutionen, die das Anliegen eines Rüstungsexportkontrollgesetzes unterstützen, hoffen nun, dass die Forderungen, die in den GKKE-Rüstungsexportberichten formuliert sind, realisiert werden und dass die Anregungen und Bedenken, die sie in die Beteiligungsverfahren einbringen, ernst genommen werden. Sie erwarten nicht nur eine restriktive Formulierung, vor allem zur Bewertung von Drittstaaten und Ausfuhr von Kleinwaffen, und die Überwachung des Endverbleibs der Rüstungsgüter, sondern auch die Einführung eines Verbandsklagerechts. Dann könnten Friedensinitiativen und andere Institutionen der Zivilgesellschaft Exportgenehmigungen rechtlich überprüfen lassen.
Verteidigungsministerin Lambrecht hält offenbar nichts von einer restriktiven Handhabung der Rüstungsexporte. Sie forderte am 12. September sogar, die bisherigen Regeln zu lockern. Mal sehen, was die Regierungsfraktionen davon halten und ob der Koalitionsvertrag Bestand hat.
Der Tagesspiegel (https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/346-millionen-fur-den-krieg-europas-waffenlieferungen-an-putin-trotz-embargo-428113.html) berichtete hinter einer Paywall am 19.3.2022 über deutsche und europäische Rüstungsexporte nach Russland. In der Überschrift wird von Waffenlieferungen in Höhe von 346 Mio € gesprochen. Hier im Artikel ist nur von Drittstaaten außerhalb von EU und Nato die Rede. Sind die Zahlen des Tagesspiegel richtig? Gehört Russland zu diesen Drittstaaten? Haben Sie Informationen dazu?
Als Material habe ich die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung genutzt. Darin sind keine Lieferungen an Russland aufgeführt. Wäre das so – bzw. in einer anderen Statistik – so hätte es gewiss sofort enen großen öffentlichen Aufschrei gegeben. Ob andere europäische Staaten Waffen an Russland geliefert haben, kann ich nicht beurteilen.
Der Überschrift des Tagesspiegel-Beitrags (weiter konnte ich wegen der pay-wall nicht lesen) habe ich entnommen, dass er sich mit dual-use-Waren befasst, also mit Produkten, die sowohl militärisch wie zivil genutzt werden können (z.B. Elektronik, Kommunikation). Hier ist das Exportverfahren einfacher und bedarf nur der Anzeige beim Bundesamt für die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen. Wenn dieses Amt feststellt, dass die Angabe des Exporteurs zutrifft, es handele sich um zivile Nutzung, tauchen diese Produkte nicht in Rüstungsexportstatistiken auf.