Die bedeutendsten Sauerstoffproduzenten gegen die Klimakrise sind Russland und Brasilien. Der Nachschub ist brennend gefährdet. Das juckt die aktuell amtierenden Staatsfrauen und -Männer kaum. Während Russland das Blickfeld hiesiger Medien nahezu voll ausfüllt, als Quasi-Kriegsgegner, hat mann sich an Brasilien gewöhnt. Die Teilnahmslosigkeit am brasilianischen Wahlkampf – verglichen mit solchen in den USA – kann ich nur als politische Verblendung bewerten. Eine derzeit hier im Extradienst laufende Artikelserie soll als Gegengift dienen. Dazu wie immer herzlichen Dank an die zuliefernde Informationsstelle Lateinamerika hier in Bonn.

Zu Indien können wir leider nicht mit vergleichbarer Kompetenz dienen. Die Ignoranz deutscher Medien ist hier ähnlich. Indien ist das bevölkerungsreichste Land der Welt, d.h. potenziell der grösste Klimaschädling der nahen Zukunft. Es ist Atommacht und in bisweilen militärischen Konflikten mit seinen Nachbarn – und ebenfalls Atommächten – China und Pakistan.

Nun berichtet der kenntnisreiche FAZ-Korrespondent Christoph Hein (hinter Paywall), Indien habe dem Internationalen Wähungsfond (IWF) zufolge seine alte Kolonialmacht UK in der Tabelle der grössten Volkswirtschaften der Welt vom fünften Platz verdrängt, und werde in Kürze auch Deutschland (Platz 4) überholen. Für Sie und mich als Bürger*in wäre dieser sportifizierte Wettbewerb gleichgültig. Wenn er nicht, wie oben schon angedeutet, auch klimapolitische Relevanz hätte. Indien entwickelt, das beschreibt Hein anschaulich, einen ähnlich oligarchisierten Turbokapitalismus, wie es Russland schon getan hat, mit ähnlich wenig Rücksicht auf die sozialen Bedingungen seiner knapp 1,4 Mrd. Menschen. Aber es stellt mit Gautam Adani (hier die ausführlichere englische Wikipedia-Version) angeblich den “drittreichsten Mann der Welt”, selbstverständlich ein emsiger Förderer der hindufaschistischen Regierung Modi.

Womit wir bei der Zuspitzung des politischen Problems sind. Regierungschef Narendra Modi, seinem Selbstverständnis nach eher ein hinduistischer Revolutionsführer, kaum weniger fanatisch als seine islamistischen Gegenstücke im Iran, aber viel mächtiger, realistischer und gefährlicher, ist von Jair Bolsonaro in seinem zerstörerischen Potenzial absolut vergleichbar. Nur, dass er anders als Bolsonaro, keine*n Gegenkandidat*in mit Siegchance hat. Ich unterstelle, weil er Bolsonaro an strategischer Intelligenz weit überlegen ist.

An eine “wertegeleitete Aussenpolitik” stellt diese Tatsache viele Fragen. Modi machte die Sanktionen gegen Putin nicht mit. Er kauft dort Waffen und Öl und verkauft selbiges mit Gewinn weiter an Dritte. Modi ist aber ebenso verfeindet mit dem Rivalen China. Das ist für die Nato ein grosses Glück, und sie versucht nach Kräften dazu beizutragen, dass sich das nicht verbessert, sondern lieber verschlimmert. Auch dem Laien wird klar: globale Sicherheit schaffen ist was Anderes. Und die Menschenrechte von in Indien lebenden Muslimen haben wir jetzt noch gar nicht untersucht.

Als ich das TV-Glotzen als Schulkind erlernte, vor einer Kiste mit bewegten Schwarz-Weiss-Bildern, da hatte die ARD in Indien noch Korrespondenten, die regelmässig die Tagesschau und den Weltspiegel (mitten zwischen zwei Sportschauen) bespeisten. Ein Büro in Neu-Dehli hat sie immer noch. Aber wann haben Sie die beiden zuletzt gesehen? Es muss das Hochwasser in Pakistan gewesen sein. Politik? Interessiert das? Es sind nicht die überlasteten (viel zu grosse Berichtsgebiete) Korrespondent*inn*en, es sind die (denk-)faulen Heimatredaktionen, deren Ärsche an Sesseln kleben.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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