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Merz entgleist gezielt in Rassismus

“Sozialtourismus” entglitt heute Friedrich Merz eine rassistische Formel im Stil der CDU/CSU der 90er Jahre. Damals hieß es “Asyltourismus” und diffamierte die Opfer gleichermaßen. Kein Wunder, damals ist Merz groß geworden in der Partei und damals säten bestimmte CDU-Politiker landauf landab die geistigen Wurzeln, aus denen zwei Jahrzehnte später die AfD keimte. Schon damals diagnostizierte die Literaturwissenschaftlerin Ute Gerhard von der Bochumer Diskurswerkstatt, dass das öffentliche Sprechen über Ausländer*innen in Medien und Politik ein zunehmend rassistischer Diskurs geworden sei: “Der Eskalation der Gewalt (gemeint waren zu dieser Zeit die Anschläge von Mölln, Solingen und Rostock-Lichtenhagen) ist eine Eskalation in den Medien vorausgegangen.”

“Asyltourismus”, “Asylschwindel”, “Asylmissbrauch”, “Überforderung der Aufnahmebereitschaft”, “Städte und Gemeinden quellen über vor Asylanten”, “massiver Missbrauch des Asylrechts”, “Überforderung der Aufnahmebereitschaft”, “die Grenzen der Belastbarkeit sind überschritten”, sie SPD habe “Anreize für Asyltouristen geschaffen”, “Asylschwindel und Asyltourismus Tür und Tor geöffnet”, “Scheinansylanten und Wirtschaftsflüchtlinge kommen in die Bundesrepublik”, und “nisten sich hier auf Kosten der Steuerzahler ein”. Nach Aufhebung der Grenzen innerhalb der EU “werden wir in einer Asylantenflut ertrinken” und wir “geben zig Milliargen für Scheinasylanten aus.” Diese Zitate stammen nicht etwa von der AfD oder Neonazis, sondern fanden sich allesamt in einer siebenminütigen Rede des damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU im NRW-Landtag, Helmut Linssen vom 16.8.1990.  Schon damals war die BILD-Zeitung der hauptsächliche Transmitter einer Sprache, die bis heute als Waffe missbraucht wird – gegen Minderheiten oder im aktuellen Fall Merz gegen Flüchtlinge aus der Ukraine und für Tabubrüche zur Entkriminalisierung und Banalisierung der Sprache des Faschismus. Wohin das führt, zeigt sich derzeit in Italien.

Schäbiges Spiel auf dem Rücken von Kriegsflüchtlingen

Niemand nimmt dem Privatflugzeugführer Merz ab, dass er nicht weiss, welche dumpfen Ressentiments er mit dieser Rhetorik bedient. Was er heute abgesondert hat, bedient nicht nur dumpfe Rassismen und Vorurteile, es hat eine verheerende Signalwirkung in die rechte Szene: Wie schon in den 90er Jahren signalisiert die CDU mit derartigen Entgleisungen, dass AfD, Rechtsextrme, Identitäre, Reichsbürger und Co. im Prinzip “recht haben. – Der Herr Merz sagt es ja jetzt auch.”

Wenn die Parteien der Mitte der Gesellschaft – und in den 90er Jahren haben das sowohl CDU/CSU als auch die SPD getan – den rassistischen Diskurs des rechten Randes der Gesellschaft aufnehmen, bestärken sie die politischen Irrwichte unter den Wählern in ihrer absurden Haltung und gewinnen keine einzige Stimme, sondern sorgen dafür, dass rechte Wähler ihre abwegigen Meinungen enttabuisiert sehen und ohne Gewissensbisse immer “das Original” wählen werden.

Verhöhnung der Kriegsopfer

Der Korrektheit halber muss etwas über die Opfer und Zielobjekte dieser Beschimpfung gesagt werden. Natürlich war es richtig und human, Ukrainer*innen, vor allem Frauen und Kindern, die humanitäre Aufnahme in der EU als Kriegsflüchtlinge zu erleichtern, sie mit Hartz IV-Empfängern gleichzustellen und ihnen Hilfe zum Lebensunterhalt zu zahlen, der an einen Wohnsitz, eine Bereitschaft zur Arbeit und die Teilnahme an einem  Sprachkurs gebunden sind. De Facto bezieht nur die Hälfte der Betroffenen Sozialleistungen und es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass es für die Behauptung von Merz “hier gebe es ein Problem und dies würde größer” irgendein Indiz oder die Spur eines Beweises gäbe. Dass Frauen, deren Männer das Land nicht verlassen dürfen, in bestimmten Abständen zurückreisen, – und wiederkommen – ist eine verständliche Tatsache, die seit Beginn des Krieges zu beobachten ist.  Es handelt sich um eine Verhöhnung von Kriegsopfern und eine aus der Luft gegriffene Diffamierungskampagne.

Unfähig, aus der Zeit gefallen oder Alibi und Intrige?

Die Analyse, warum Friedrich Merz sich solcher platten Dümmlichkeiten bedient – manche nennen es hochtrabend “Populismus” – lässt exakt zwei Möglichkeiten offen: Entweder glaubt er wirklich, durch dieses Manöver der AfD im Landtagswahlkampf Niedersachsen Stimmen abjagen zu können.  Das wäre ein fatales Indiz im Hinblick auf seine Entourage und den aktuellen Zustand und die politische Kompetenz der CDU-Zentrale. Oder es ging im Vorfeld einer eher wahrscheinlichen Rot-Grünen Regierung – SPD 42%, Grüne 17% laut infratest dimap (fdp-nah) FDP 5%, CDU 28%, AfD 9% darum, die Verantwortung für das schlechte Abschneiden der CDU allein dem Landesvorsitzenden und Spitzenkandidaten Dr. Bernd Althusmann zuzuschieben. Denn der hatte schon 2017 das bis dahin schlechteste Ergebnis der CDU in Niedersachsen von 33,6 % eingefahren, nach Umfragen sieht es derzeit noch schlechter aus. Was Merz nach wie vor beherrscht, ist also vor allem die innerparteiliche Intrigenkompetenz. Darüber hinaus hat er politisch nichts zu bieten. Was nicht weiter verwundert, da sein Programm ausschließlich “Friedrich Merz” heisst.

CDU ganz unten

Peinlicheres und moralisch Verachtenswerteres angesichts der gegebenen Situation hat kein deutscher Politiker seit Jahrzehnten abgesondert. Armin Laschet mag versehentlich – er ist halt Rheinländer – politische Fehler gemacht und – der Lacher im Ahrtal – mangelndes Fortune gehabt haben. Friedrich Merz ist im Unterschied zu Laschet aus eigenem Antrieb, gezielt, absichtlich und arglistig böse. Ihm fehlt es politisch-inhaltlich und menschlich-charakterlich am Format, das jemanden zum Oppositionsführer befähigt, denn es geht ihm nicht um die CDU, sondern ausschließlich um Friedrich Merz.

 

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. W nissing

    Lieber Roland, deinen Aussagen zu Fritze und der Instrumentalisierung der Flüchtlinge stimme ich ohne Einschränkung zu. Was allerdings die Flüchtlinge aus der UA betrifft baut sich da ein Problem auf, was wirklich richtig gefährlich werden kann. Ich habe da über private zuverlässige Kanäle Informationen, die bei mir einige Alarmglocken zum klingen bringen. Stichworte 2Klassenflüchtling, Anspruchshaltung, Korruption usw.
    Wir dürfen nicht vergessen, die UA ist und war ein hoch korruptes Land und die Menschen haben gelernt, damit um zu gehen( Was ich ihnen nicht verdenke, logisch) .
    In diesem Kontext differenziertes Denken und Handeln aufrecht zu erhalten wird noch zu einem, nach meiner Einschätzung, fast unmöglichem Unternehmen.
    Es bleibt uns aber auch nichts anderes übrig, als es zu versuchen…..
    In diesem Sinne: Refugies wird geholfen, sind ja leider vielfach durch unser handeln erst dazu geworden
    (was in diesem Zusammenhang “welcome”, was ja ein Ausdruck von Freude und für Gast ist, hat mich immer befremdet, die machen ja keinen Ausflug)

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