Mein Freund Michael Kleff, derzeit in New York den Midterms entgegenzitternd, hat mehrmals an deutsche Rundfunkintendanten geschrieben, um sich über überbordende Religionsprogramm zu beschweren. Er steht damit in guter liberaler Tradition. In den 70ern haben wir bei den Jungdemokraten über “Liberalismus und Christentum” debattiert, diese ideologisierte Ebene aber lieber verlassen, und uns pragmatisch auf “Kirche und Staat” konzentriert, und damit sogar phasenweise Mehrheiten auf FDP-Parteitagen gewonnen. Für mich persönlich war dieses Agendasetting, 1972 von Ingrid Matthäus medienwirksam personalisiert, der Grund den Jungdemokraten beizutreten.

Heute morgen kann ich Michael, der hoffentlich noch schläft und sich nicht sorgenvoll wachend im Bett wälzt, übermitteln, dass nicht alles in diesen Religionsredaktionen schlecht ist. Z.B. dieser ausgezeichnete Beitrag von Katja Ridderbusch “Religion an der Wahlurne: Christlicher Nationalismus im US-Wahlkampf” (Audio 10 min), aufklärerisch im besten Sinne.

In ihrem Beitrag spielt Jerry Fallwell eine prominente Rolle als Gefahrenherd für die Demokratie. Von dem wusste ich schon vor 50 Jahren, und zwar dank Extradienst-Gastautor Hans Conrad Zander. Der hatte damals gerade beim Stern angefangen, und dort eine fette Reportage über diese rechtsreligiösen aber leider sehr medienkompetenten Fanatiker untergebracht. Die war so gut, dass ich sie sogar auf einer MC selbst eingesprochen habe. Zander wie ein Prophet? Er hatte jedenfalls kapiert, was für ein Gift/Virus das religiös verbrämte Auserwähltsein bedeutet, das als sog. Exzeptionalismus von keiner relevanten politischen Kraft in den USA infragegestellt wird.

Das Ignorieren dieses Virus durch die deutsche Atlantiker*innen-Fraktion ist eine üble Sackgasse. Wer das verniedlicht, versteht nicht die Gefahr, in der er sich und uns alle damit befördert. Wer sagts der Bundesregierung?

Zur aktuellen Lage der Demokratie-Verteidigung

Roland Appel hat heute die Gefahrenlage treffend auf den Punkt gebracht. Was seine mediale Betrachtung betrifft, schmerzt der Verzicht auf materialistische Analyse, die ich in meinem Leserkommentar zugespitzt zu ergänzen versucht habe.

Eine weitere wichtige Ergänzung dazu ist die aktuelle MDR-Altpapier-Kolumne von René Martens. Er gibt weitere wichtige Einblicke in die Auseinandersetzungslage nicht nur um Musk/Twitter, sondern auch um “unseren” WDR mit seinem freidrehenden Intendanten. Sein Kölner Kollege Raue/DLF, von der Herkunft her konservativer als der sich fortschrittlich dünkende Buhrow, kann – als ehemaliger WDR-Mitarbeiter – sein ironisches Grinsen kaum noch verbergen.

Wenn es nicht politisch so peinlich wäre, wäre es Comedy.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net