Die Freuden des Nahverkehrs in der Wundersamen Bahn CXXXIII
Das 9-Euro-Ticket ist vorbei. Das 49-Euro-Ticket steht bevor – ob und wann es tatsächlich kommt, wer weiss das? Dazwischen fährt die Bahn im Normalbetrieb. Die Spannung vor und für den Weihnachts-/Neujahrsverkehr, traditionell eine Hochsaison, wie sonst nur die Freitagnachmittage, steigt. Dafür waren meine gestrigen Erfahrungen in ihrer Ambivalenz vielsagend. Es ging mal wieder nur bis Ehrenfeld.
Hinfahrt über Bonn Hbf. bis Köln-West. Zeitig am Hbf., Zubringerdienst der Bonner Linie 62 perfekt, trotz Rushhour ist nichts überfüllt, auch nicht auf dem Bahnsteig. Ein IC nach Berlin-Ostkreuz “fällt aus” wg. Streckensperrung zwischen Berlin und Hannover. Warum bedient der Fernzug NRW und Niedersachsen nicht bis Hannover? Ein Geheimnis der Bahn. Auf dem gesperrten Streckenabschnitt würde er sowieso nirgends halten. Wolfsburg? Bekanntlich nur manchmal …
Darüber nachdenkend ein Schock. Ein Güterzug brettert ohne Vorwarnung (Bahnsteiganzeige, Lautsprecherdurchsage) mit Höchstgeschwindigkeit durch den Bahnsteig von Süd nach Nord. Aus Moers nichts gelernt? Der Bruder eines alten Friedensbewegungs- und Journalismusfreundes ist seit den 70er Jahren schwerbehindert, weil ihm damals auf diesem Bahnsteig 1 eine fliegende Eisenstange in seinen Rücken donnerte. Ich war nicht dabei, aber allein diese Geschichte hat mich traumatisiert, dass ich bei jeder Durchfahrt im Bonner Hbf. in Deckung flüchte und genau hinsehe.
Dann erscheint der “National Express” nach Köln pünktlich. Darin meine charmante Abendbegleitung, die einen Sitzplatz freihält. Vom Bahnsteig bringe ich einen alten WG-Genossen mit, den ich dort zufällig traf. Er ist Pensionär und macht Vaterschaftsvertretung für einen jüngeren Kollegen – Teilzeitberufspendler. Angenehm störungsfreie und entspannte Fahrt nach Köln-West. Danach Spaziergang durch den früh dämmernden Abend zum Aperitif.
Die Rückfahrt
Eine Fahrt von Köln-Ehrenfeld nach Bonn-Beuel sollte für die Bahn keine Überforderung sein. Denkt der Laie. In der heimelig-gemütlichen Bahnsteigunterführung Ehrenfelds, nächtlich regelmässig von Notleidenden bewohnt, der Versuch am Automaten ein Ticket zu ziehen. Die KVB zwingt auch bei hohem Verbundsfahrpreis zur Münzzahlung – für die DB zu absurd? Nein, nicht wirklich. Der Schlitz für Geldscheine ist an beiden Automaten verklebt. Sabotage? Absicht? Funktioniert jedenfalls nicht. Ich erklimme den Bahnsteig, um in der Unterführung am anderen Ende mein Glück zu versuchen.
Oben bemerke ich, dass ein Zug nach Beuel bereits einfährt. Nicht der, den ich angepeilt habe, sondern der davor – mit 45 Minuten Verspätung. Der DB-Navigator hatte nichts davon angezeigt. Ich riskiere es und steige ohne Ticket ein. Meine Ehrenfelder Freundin bot sich mir als Zeugin für die Automatenstörung an. Die eigentliche Störung, vom DB-Navigator auch angekündigt, stand für den Zug erst noch bevor: Umleitung über Köln-Süd und Südbrücke auf die andere Rheinseite. Nebeneffekt: freie Platzwahl im Zug. Zugbegleitung zum Ticketerwerb und zur Automatenstörungs-Meldung Fehlanzeige. Wir dürfen wohl froh sein, dass sich überhaupt jemand zur Steuerung des Zuges gefunden hat.
Die Verspätung vergrössert sich trotz langsamer Fahrt bis Beuel nicht. Ich komme beinahe an, wie geplant – nur mit dem früheren Zug. Der DB-Navigator zeigte mir mittlerweile den Ausfall späterer Züge an. Und die Fahrt war faktisch und ohne meine Absicht nicht nur die Letzte dieses Abends auf dieser Strecke, sondern faktisch auch kostenfrei. Das war knapp. Ich bin ein Sonntagskind.
Idyllisches Vogelgezwitscher noch vor der Morgendämmerung weckte mich aus meinen Träumen (Steirer Vermuth, Weissburgunder, Spätburgunder, Dessertwein) und liess mich diese Geschichte aufschreiben. Jetzt lege ich mich wieder hin, und schlafe das Versäumte nach. Wir haben es gut im Rheinland.
Kleiner Tipp von vielfach geplagtem Nahverkehrsfahrer (bis zum 49€-Ticket): Bei Störung des Verkaufsautomaten schnell mit dem Smartphone ein Bild von dessen Nummer machen (meist in der Mitte nahe dem Geldschlitz): Das ist sogar gerichtsfest, wie mir ein Kontrolleur sagte.