Er ist wieder da: Girkin/Strelkov zurück in Moskau

Der berühmteste russische Militärblogger, der wegen seiner Kriegsverbrechen in Den Haag in Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft verurteilte Igor Girkin (Bloggername „Strelkov“), hat sein neuerliches Militärabenteuer in der Ukraine (2015 hatte er in der Ostukraine bereits ein Zivilflugzeug abgeschossen, wobei fast 300 Menschen zu Tode kamen) offensichtlich beendet und ist nach Moskau zurückgekehrt.

Bei seinem aktuellen Einsatz seit Oktober 2022 wollte er ein russisches Freiwilligenbataillon aufbauen, was aber „die da oben“ (Wagner-Chef Prigoshin? Die politische oder militärische Führung in Russland?) offensichtlich verhindert haben. Nun bloggt er wieder und versorgt 750.000 Telegram-Follower mit neuesten Erkenntnissen.

Die wichtigste davon besteht offensichtlich darin, dass die russische Armee es total verkackt hat, völlig kopflos und apathisch agiert, „durch Trägheit kämpft“ und nicht weiß wofür. Das klingt nach einer Armee, die wirklich fertig hat.

Aber vielleicht sollte der kriegsverbrecherische Blogger auch einmal an seine eigene Situation denken. Die russische Führung hat ihn offensichtlich fallen gelassen, die ukrainische Seite hat ein Kopfgeld von 100.000 Dollar auf ihn ausgesetzt und dürfte ihn heftig jagen, und Den Haag will ihn der gerechten Gefängnisstrafe zuführen. Das klingt alles wie Mafia-Thriller im Endstadium. Wenn man sich an die Stelle des stolzen Schützen („Strelkov“) versetzt, dann wäre die freiwillige Übersiedlung nach Den Haag wohl die beste Option. Lebenslang (20 Jahre?) Einzelzelle sind nicht schön, aber die Verurteilten stehen unter dem Schutz der Menschenrechtskonvention, sie bleiben unversehrt, können in Ruhe nachdenken, Bücher lesen, ab und zu mal Besuch empfangen … was wäre die Alternative?

Hier der neueste Blog-Eintrag des Mannes:

„Und jetzt noch kurz zu den Eindrücken der Reise, die zwar nicht schlüssig, aber nicht nutzlos war (da meine Augen und Ohren bei mir geblieben sind und mein Kopf auch noch funktioniert).

Natürlich beabsichtige ich, den Großteil meiner Eindrücke und Schlussfolgerungen für mich zu behalten. Um sozusagen ‘nicht zu diskreditieren’. Positive Eindrücke – werde ich in den kommenden (hoffentlich) Videokonferenzen teilen. Aber allzu viele davon gibt es nicht – im Verhältnis zu den negativen.

Und jetzt will ich nur anmerken, dass die Grundlage all unserer ‘wachsenden Siege’ an den Fronten und Richtungen der NMD die tiefste Krise der strategischen Planung ist. Einfach ausgedrückt, die Truppen kämpfen ‘durch Trägheit’, haben nicht die geringste Ahnung von den endgültigen strategischen Zielen des aktuellen Feldzugs und raten nur über die vagen Pläne des Kommandos für solch grandiose sinnlose Gesten wie den Bau eines völlig wahnsinnig nutzlos (aber wahnsinnig teuer in Bezug auf die Ausführungskosten) Surovikin Lines.

In den meisten Teilen der RF-Streitkräfte verstehen Soldaten und Offiziere nicht: wofür und zu welchen Zwecken sie im Allgemeinen kämpfen. Für sie ein Rätsel – was ist die Bedingung für den Sieg oder nur eine Bedingung für die Beendigung des Krieges? Und die Behörden der Russischen Föderation können ihnen das nicht erklären, denn ein klares Ziel für die NWO zu setzen, bedeutet ‘den Handlungsspielraum einzuschränken’ – das heißt, die Möglichkeit zu verlieren, die Ziele der NWO jederzeit als erreicht zu erklären, die die Kremlführer für bequem halten. (Zum tausendsten Mal erinnere ich Sie daran, dass die leidenschaftlich gewünschte ‘Versöhnung mit Partnern’, für die bis heute viele Schritte unternommen werden, die die Gesellschaft und die Armee demoralisieren, im Prinzip unerreichbar ist, aber der Kreml und der Staraja-Platz schon nicht glauben wollen).

Gerade in der Truppe führen solche Gefühle zu Apathie. Apathie hingegen führt zu einem Rückgang der Moral und der Erfüllung der gestellten Aufgaben ‘zur Show’ und ‘Ärmelrutscher’, ohne ein wirkliches Interesse an ihrem erfolgreichen Ergebnis. Also – in der Armee der Streitkräfte der Russischen Föderation (und Teilen der Streitkräfte der LDNR, obwohl dort die Kämpfer viel motivierter sind) herrscht Apathie.

Das Fehlen einer klaren militärpolitischen Strategie erlaubt es dem Militär nicht, Taktiken zu entwickeln, die zu ihrer Umsetzung beitragen. In der Zwischenzeit bereiten sich die RF-Streitkräfte ‘aus einer Laune heraus’ auf einen langwierigen Stellungskrieg vor und bauen entlang der gesamten Front langfristige Strukturen im Stil ‘à la Mannerheim-Linie’ auf (sie ziehen nicht an der ‘Maginot-Linie’). Die Tatsache, dass die Verfolgung der Strategie eines langwierigen Krieges für die Russische Föderation (und übrigens auch für ihre Behörden und Eliten) Selbstmord ist – ich habe bereits 2014 geschrieben, aber ich sagte (mehr als ein- oder zweimal) – von Anfang an Beginn der aktuellen Kampagne.

Wenn ich also beobachte, wie der Feind langsam (und ohne auf Widerstand zu stoßen) seine eigenen strategischen Aufgaben mit der völligen Passivität der militärischen und politischen Behörden der Russischen Föderation umsetzt, erwARTE ich in den kommenden Wochen nichts Gutes an der Front.

Und, ja, – die sogenannte. ‘Ukraine’ wird im Winter NICHT frieren, NICHT rebellieren und NICHT schlimmer kämpfen. Und umgekehrt. Ihre Soldaten, die aufgrund der Herbstsiege der Streitkräfte der Ukraine bereits an ihre Stärke geglaubt haben und von der NATO voll unterstützt werden, werden nur noch härter und härter gegen die ‘Moskowiter’ kämpfen und die Nöte ihrer Verwandten und Freunde rächen im Fond gezwungen sind zu tragen. Und ihnen wird nur eine apathische Pflichterfüllung begegnen, hinter der viele Kämpfer und Kommandeure seit langem die ungelöste Frage auftauchen lassen: ‘Was machen wir hier?’, wenn es Moskau vor allem um die Umsetzung von ‘Getreidegeschäften’ geht, das ungehinderte Pumpen von Ammoniak durch Odessa und die ‘Preisobergrenze’ für Gas und Öl, die an zahlreiche westliche Partner geliefert werden?“

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Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.