Etwas verduzt hörte ich von einer angeblich ganz frischen Entdeckung des ZDF, und alle stimmen ein: sein Gründungsintendant Karl Holzamer sei in der NSDAP gewesen, und hätte keinem was davon gesagt. Boah, datt is aber ‘n Ding. Ich bin jetzt 66. Bis 1976 habe ich zusammen mit anderen an meiner Schule eine Schülerbibliothek initiiert und betrieben. Dort legten wir auch Medien aus, die unsere Lehrer*innen nicht so gerne im Unterricht präsentierten. Es war die Zeit der Berufsverbote in der BRD, für alle, die jemand für linksextremistisch hielt. Durch diese selbstorganisierte Bildungsarbeit wusste ich als Schüler schon während seiner Amtszeit, was es mit dem auf sich hatte. Und ich war nicht bei der Stasi, sondern der FDP.

Der Mann, das war schon zu seiner Amtszeit kein Geheimnis – auch wenn er gewiss selbst nicht gerne davon sprach – gehörte zur Adenauer-Seilschaft wie seine mutmasslichen Gesinnungsfreunde Globke oder Gehlen, den die ARD hier kürzlich mit gehörigem zeitlichen Sicherheitsabstand auf die Filmrolle genommen hatte.

Es ist einigermassen kompliziert, meine Erinnerung dokumentarisch zu belegen. Selbst heute ist es das, umstellt von Paywalls. René Martens/MDR-Altpapier hat vermauerte Texte gelesen und zitiert ausführlich den eingemauerten Willi Winkler/SZ, der auch Erinnerung wie ich haben müsste. Hier der offizielle ZDF-Text.

Die Medienkorrespondenz, ein lange respektiertes Fachblatt, ist nicht mehr frei zugänglich. Dort könnten sich neben Elogen auch kritische Beiträge finden. Und Überraschung: der heute online nahezu unlesbare Spiegel hat in den Gruben seines Archives Holzamer-Texte seines heute dort nicht mehr sehr gelittenen Ex-Mitarbeiters Otto Köhler, der damals 1970 schon das Wichtigste wusste, und hier 1967 seine Ahnung über den Herrn sichtbar machte. Köhler lebt noch, ist jetzt 88. Er könnte als Zeitzeuge befragt werden. Wer traut sich?

Lutz Hachmeister und Friedemann Siering hatten vor Jahrzehnten ein aufklärerisches Buch auf den Markt gebracht, das der Beck-Verlag, der sich kürzlich nach öffentlichem Druck von einem Ex-Geheimdienstler trennen musste, scheinbar längst ausgelistet hat. Es hiess “Die Herren Journalisten – Die Elite der deutschen Presse nach 1945” – nur noch im Antiquariat und bei Veramschern erhältlich. Hier ist ein Interview von Wolfgang Michal mit Herausgeber Hachmeister gut erhalten. Da gehts nicht um Holzamer, sondern die unaufgearbeitete Geschichte des Spiegel.

Holzamer war schon lange erledigt. Seine Neuentdeckung dient der Selbstdarstellung der Heutigen. Wie gut sie heute sind, wie selbstkritisch ihren alten Geschichten gegenüber. Damit das gegenwärtige Holzen umso durchschlagskräftiger ist.

Mit Werner Höfer gab es im WDR einen Parallelfall. Ich habe auf VHS-Kassette eine TV-Diskussion aus den 80ern oder 90ern, die heute “Talkshow” genannt würde, an der der Pensionär Höfer teilnahm, und rhetorisch nach allen Regeln der Kunst zerlegt wurde. Besonders hervor tat sich dabei sein damaliger ARD-Rivale vom NDR Gernot Romann. Ich fand das seinerzeit (und heute ebenso) richtig und wichtig. Ein Meilenstein der Selbstkritik vom WDR. Und Höfer war nicht zu feige, sich in dieses Studio zu setzen. Anders als Holzamer hatte Höfer im WDR in einer fast identischen Amtszeit (1964-77) ein Drittes Programm mitgegründet und verantwortet, das zu den spannendsten meines TV-Erlebens gehörte. Nach dem, was ich mitbekam, hat er anders als heutige WDR-Führungskräfte, die als junge Männer noch auf Antifa-Demos mitgingen, seine Mitarbeiter*innen gegen politische Angriffe von aussen geschützt. Welch ein Kontrast in Programm und Personal.

Menschen entwickeln und verändern sich, im Guten wie im Schlechten. Ihr Gefühl für Verantwortung unterscheidet sich stark. Wie das ihrer Anstalten.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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