Redundanz verstärkt die Verständlichkeit, davon war in: „ChatGPT: ich arbeite gerne mit Menschen“ nicht viel zu spüren, das lässt sich ändern.

Nachdem openai.com im letzten September chatGPT öffentlich gemacht hat, geht eine riesiger Hype darum um die Welt. Mit über 100 Millionen Anmeldungen in der kurzen Zeit hat keine andere Anwendung bislang so viel Interesse geweckt.

Kein Wunder, denn abgesehen davon, dass es neu ist, es ist ganz einfach, sogar verdammt einfach! Es ist – das sei den Lehrkräften unter den Lesern ans Herz gelegt – einfacher zu bedienen, als die einzige technische Innovation in Schulen: der Fotokopierer. Selbst das Schulministerium in NRW gibt chatGPT für die Schulen frei – allerdings hat die Sache einen bitteren Haken: Lehrerinnen und Lehrer sollen die Hausaufgaben bitte so stellen, dass sie mit chatGPT nicht oder nur sehr eingeschränkt zu lösen sind. Und wenn die Schüler es einsetzen, müssen sie angeben, dass sie mit chatGPT gearbeitet haben, ansonsten würde es als Täuschung gewertet. Dann wären wir wieder bei dem Problem: Digitalisierung und Schule.

Die Antworten von chatGPT unterscheiden sich bei gleicher Ausgangslage immer wieder, jedesmal, wenn ich „regenerate answer“ anklicke, beginnt der Prozess erneut. Weil es einem Chat gleicht, spielen auch Fragen und Antworten vorher für das Ergebnis eine Rolle. Wie bei einer Hausarbeit eine Täuschung damit nachgewiesen werden soll, erschließt sich mir nicht – aber ich weiß ja auch nicht alles.

Wenn chatGPT so viel und ein so tiefes Interesse weckt, dann deshalb, weil es so grandios einfach ist. Wenn etwas grandios einfach ist, dann erreiche ich damit auf Anhieb alle Menschen – koste es, was es wolle.

So hat auch Microsoft gedacht und 100 Milliarden in das Projekt gesteckt. Das hat Tradition in diesem Haus und folgt der Maxime „buy it or destroy it“ (Netscape, Wordperfect u.a). Es muss nicht sonderlich ausgereift sein, denn als Beta-Tester sind die zahlenden Kunden bestens geeignet. Auch diesmal: die erfolglose Suchmaschine (Bing) damit aufzupeppen, ist ein erster Schritt – für die Anwender mit Microsoft-Account und Edge-Browser. Vorsichtshalber sind die Anfragen pro Tag begrenzt. Und weil sie aktuelle Ergebnisse liefern wollen, ist der Wissensschatz von chatGPT (Stand 2021) bis zur heutigen Zeit erweitert worden.

Die kruden und teilweise komischen Antworten und das Verhalten dieses Dialogsystems gehen gerade viral, Beispiele lassen wir deshalb weg. Viel mehr blicke ich auf das, wohin die Ausrichtung geht. Denn fragen wir nach der KI hinter der Bing-Suchmaschine, dann sagt sie (er?) selbst, dass es eine Maschine ist und keine Emotionen hat – gleichzeitig wird unabschaltbar hinter jeder Antwort ein passendes emoji gesetzt. Aber Microsoft setzt noch einen drauf und lässt die Maschine auch beleidigt reagieren, wenn ich mich aus ihrer Sicht ungebührlich verhalte.

Mit jeder Suchanfrage über den chatBot von Microsoft wird das Verhältnis enger, das bedeutet im Idealfall, dass ich, der unbedarfte Nutzer, mit der Maschine spreche, wie mit einem Partner, trotz der Einfalt baue ich ein Vertrauensverhältnis auf.

Zurück zum Beta-Test: dass chatGPT und die Bing-Erweiterung auf dieser Basis derzeit noch einfach und durchschaubar gezielt dazu verführt werden können, nachweislich Unsinn zu fabulieren, liegt in der Natur der Sache, weil jetzt alle rumprobieren müssen, wie das Ding zu überlisten ist. Das ist derzeit einfach und wird die eine oder andere Blüte durch die Landschaft treiben. Nur mit jedem kleinen und großen Desaster füttern wir sie, diese Fehler werden sich nach kurzer Zeit nicht wiederholen.

Mit allen Konsequenzen werde ich hinnehmen müssen, dass meine Fragen beantwortet werden und keine eigenständige Suche machen. Das ist sogar noch viel trivialer, als bei einem Taschenrechner. Dazu muss ich wenigsten die vier Grundrechenarten kennen, um zu wissen, was ich eingebe und um die Symbole deuten zu können, die als Ergebnis erscheinen.

Wenn eine solche Maschine – und sie wird besser und konkreter – mit mir auf direktem Weg kommuniziert, ist die Vorstellung nicht fern, dass zum Beispiel die chinesische KI von Baidu andere, der Parteilinie angepasste Antworten, ja auch Ratschläge gibt.

Welche Ziele Microsoft oder Google verfolgen werden, möge sich jede und jeder selbst vorstellen.

Nicht nur die gesteuerten Antworten sind ein Problem, denn um sinnvoll zu agieren, müssen wir bei den Diensten angemeldet sein – allein aus dem, was ich frage, bin ich nur noch eine gläserne Marionette meiner selbst. Es gehört wirklich nicht unmäßig viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass ich über eine Stimmerkennungssoftware zugeordnet werden kann – was den charmanten Vorteil hat, dass ich auch an einem fremden Computer sofort „meinen“ Chatbot habe. Und damit stoßen wir die nächste Tür auf, denn die Suchanfragen sind somit auf jedem Sprachdialogsystem verfügbar.

Dennoch wird es Grenzen geben und, obwohl durch Werbung finanziert (muss ja alles umsonst sein), kostet jede Antwort ca. die 10fache Rechenkraft einer normalen Suchanfrage. Schilder mit „off limits“ müssen nicht mehr aufgestellt werden, die ergeben sich automatisch durch kostenpflichtige Premiumzugänge – gerne im Bundle mit einer Windows-Lizenz.

Facebook, Google, Baidu etc. kennen das Potenzial und arbeiten ebenfalls intensiv daran, sehen wahrscheinlich noch technische und inhaltliche Grenzen, um es in einer ausgereiften Version einzusetzen – chatGPT und der Vorstoß von Microsoft hat sie gezwungen die eigenen Projekte vorzuzeigen. Und was macht Apple? Ich schätze – wie immer – reden sie nicht drüber, bis sie wirklich etwas in der Hand halten.

Grundsätzlich ist es absolut beeindruckend, was mit chatGTP bereits möglich ist und in der Perspektive, welche Möglichkeiten – auch in Kombination mit anderen Tools – daraus erwachsen werden.

Zukünftig werden diese Systeme noch bestimmender in unseren Alltag einziehen – allein weil die Verfügbarkeit ebenso wenig Hindernisse bereit hält, wie die Bedienung. Es agiert – mit allen Fehlern – ganz menschlich.

So, wie ich einen fremden Menschen kennenlerne, so lernt mich auch die Maschine kennen. Das muss ich wissen, wenn ich mit ihr interagiere. Im Gegensatz zu mir vergisst die Maschine nichts. Die einzige Wahl, die noch bleibt: ich entscheide, bei welchem Anbieter ich mich nachhaltig exhibitioniere – zu verhindern ist es nicht.

Mein digitales Gegen-Ich begleitet meine Zukunft, noch mehr die meiner Kinder – um so bedeutender wird es, dies als einen Teil der gesellschaftlichen Verantwortung zu verstehen und die Jugend darauf vorzubereiten. Konkret: wie kommen die Antworten meines digitalen Gegen-Ichs zustande, und was resultiert aus dem Wissen der Maschine über mich?

Leider wird es dabei bleiben, dass in Schulen höchstens gezeigt wird, wie chatGPT bedient wird, da ist NRW vorgeprescht. Mehr habe ich allerdings auch nicht erwartet.

Über Christian Wolf:

Christian Wolf (M.A.) ist Autor, Filmschaffender, Medienberater, ext. Datenschutzbeauftragter. Geisteswissenschaftliches Studium (Publizistik, Kulturanthropologie, Geographie), freie Tätigkeiten Fernsehen (RTL, WDR etc.) mit Abstechern in Krisengebiete, Bundestag Bonn und Berlin, Dozent DW Berlin (FS), Industriefilme (Würth, Aral u.v.m), wissenschaftliche und künstlerische Filmprojekte, Projekte zur Netzwerksicherheit, Cloudlösungen. Keine Internetpräsenz, ein Bug? Nein, Feature. (Digtalpurist)