Das Schwarzer/Wagenknecht-“Manifest für Frieden” hat eine Menge Zeichen gesetzt, gute und weniger gute. Das Wichtigste: eine Umfragemehrheit unserer Republik hat aktuell keine Repräsentanz in Politik und publikumsrelevanten Medien. Das Potenzial dafür ist da. Es war am Samstag in Berlin sichtbar. Aber schon dieser verlinkte Gastkommentar mit seinem beleidigten Ton, unter Verzicht auf jede politische Argumentationsführung, macht auch die Schwächen brutal sichtbar. Dass sich die sich selbst zerlegende Partei “Die Linke” vor einer Spaltung durch Wagenknecht fürchtet, und daran abarbeitet, obwohl es genug Wichtigeres zu tun gäbe, ist ein Dokument von fataler Jämmerlichkeit.

Dass Wagenknecht, in dieser Hinsicht Gregor Gysi durchaus ähnlich, eine beliebte Medienpersönlichkeit ist, die politisch nicht organisieren kann, ist seit “Aufstehen” dokumentiert. Darum lieben die Talkshows sie so sehr: sie bringt quotenträchtiges Leben und Turbulenz in die Show, ist aber objektiv total ungefährlich.

Gefährlich und gefürchtet ist das Publikum, insbesondere dann, wenn es sich massenhaft abwendet. Die in den Anstalten kennen es nicht. Sie verfügen nur über eine autodidaktische Projektion. Sie haben sogar Forschungsapparate dafür, die aber natürlich nur herausfinden, was sie interessiert. Das ist halt nicht immer das Entscheidende.

Etwas übersichtlicher ist dieses Feld für den Elitensender DLF/DLF-Kultur, zusammengefasst unter dem Titel “Deutschlandradio”. Er profitiert seit Jahrzehnten von dem Publikumszufluss, das vor der grenzdebilen “Formatierung” der anderen Radiowellen flüchtet. Seine aktuellen Tagesmagazine senden wie alle die Regierungs- und Parteiensicht zum Ukrainekrieg. Das Publikum von Schwarzer-Wagenknecht kommt dort also nicht vor. Es ist aber bildngsbürgerlich, gehört also zum DLF-Kernpublikum und weiss sich bemerkbar zu machen. In dieser kleinen Anstalt wird das wahrgenommen und führt zu nicht wenigen inneren Auseinandersetzungen, mit dem Resultat: “da müssen wir was machen”. Ich gebe zu: ich kann mir das nicht mehr anhören (“Kontrovers”, Audio 70 min). So wenig wie Kriegs- und Nato-Propaganda, so wenig wie TV-Talkshows mit den immer wiederkehrenden Drehbüchern, ertrage ich Call-In-Sendungen im Radio.

So manche*r mag ferner melancholisch werden beim Blick in die taz. Durchaus im Verlagsmodell, aber kaum noch im politischen Inhalt, unterscheidet sie sich von der Konkurrenz. Perlen sind noch versteckt, z.B. in der langlebigen Küppi-Kolumne, die heute eine zeitgemässe Definition für feministische Aussenpolitik enthält (ich hoffe, Sabine hat ihm geholfen): “Es war so verführerisch, zu glauben, Frauen führten keine Kriege, setzten der toxischen Gewaltbereitschaft Verständigung und Ausgleich entgegen. Dann die Ernüchterung: Deutschland war noch nie an so vielen Kriegen beteiligt wie unter Merkel, Kramp-Karrenbauer, von der Leyen, Lamprecht, Baerbock. Die feministischste Partei ist derzeit auch die bellizistischste. Zum Trost sind die toxischen Männer alle noch da und allesamt nochmal deutlich schlimmer. Solange also Krieg und Frieden nicht am Chromosomensatz festzumachen sind, sehe ich feministische Außenpolitik als Zwischenschritt zu dem, um das es wirklich geht: humanistische.”

Und hinten bei der “taz-Wahrheit” dekonstruiert mit René Hamann endlich einer den weltweiten Videostar: Der Videot und seine Follower – Einige Anmerkungen zum allgegenwärtigen Fernsehdauergast Wolodomir Selenski und seinen sehr erfolgreichen TV-Predigten.”. Wie ich schon schrieb: “Von hinten”.

Das Repräsentanzproblem bleibt. Es entlädt sich in Abstinenz und Eskapismus. Bei denen, die es sich leisten können, den Älteren (ist ja eh absehbar Schluss). 1984 gab es ein fulminantes Scheitern der “Friedensliste”, bei der viele gute Leute mitmachten und erst später merkten (oder lange nicht glauben wollten), dass sie instrumentalisiert wurden. So wurden die, die sich überhaupt daran erinnern können, prophylaktisch traumatisiert. Was werden die Jungen angesichts dieser Mehrheit anstellen? Aufrüstung und Kriegsvorbereitung? Eher nicht. Das ist die Politik der mittelalten Oligarchen in Ost und West, die fürchten, dass ihr Buzzynezz sich dem Ende zuneigt – schnell noch fressen, für die schlechten Zeiten, die drohen. Aber wer passt auf, dass die nicht alles in die Luft sprengen? Olaf? Rolf? Boris? Kevin? Glaubwürdig klingt mir das nicht.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net