mit Update nachmittags + Update 9.3.
Geheimdienste werden umgangssprachlich auch “Nachrichtendienste” genannt. Oder ist es umgekehrt? Die Deutsche Pesse-Agentur (dpa) z.B. ist ein Nachrichtendienst. Oder etwa nicht? Der “Bundesnachrichtendienst” dagegen ist gar keiner, sondern der deutsche Auslandsgeheimdienst. So wie das “Bundesamt für Verfassungsschutz” gar nicht die Verfassung schützt, sondern ein Inlandsgeheimdienst ist, also unter uns, der Gesellschaft der BRD, geheim untersucht, was wir, bzw. Einzelne von uns, im Schilde führen. Was der Geheimdienst darüber öffentlich offenbart, entscheidet er selbst. Wie komm ich drauf?
Öffentliche Kontrolle dieser Behördenapparate gibt es nicht. Die parlamentarische “Kontrolle” ist zur Geheimhaltung verpflichtet. In einer Demokratie sind sie also systemwidrig. Denn sie kann nur so demokratisch sein, wie Öffentlichkeit und öffentliche Kontrolle gewährleistet sind. Nun gibt es einige, darunter auch Autoren in diesem Blog, die träumen von einer “Vierten Gewalt”. Suchen Sie mal im Grundgesetz, ob Sie die irgendwo finden. Das sollen “die Medien” sein, selbstverständlich insofern sie frei und unabhängig sind. Suchen Sie mal so ein Medium.
Als ich politisch sozialisiert wurde, in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, da gab es in den öffentlich-rechtlichen Medien mächtige Politmagazine. Bei vielen Politiker*inne*n (und Geheimdiensten!) waren sie verhasst, weil sie Dinge recherchierten, die nicht rauskommen sollten. Weil sie Politiker*innen interviewten, als wollten sie sie “grillen”. Und die Politiker*innen gingen trotzdem hin, weil sie nicht als Feigling dastehen wollten. Auch private Verlagsmedien, u.a. die berüchtigten vom schlauen Helmut Kohl so gehassten “Hamburger” (Stern, Spiegel, Zeit) profitierten davon und profilierten sich. Ich glaube, damals entstand diese Legende von der “Vierten Gewalt”. Und die Medien, die an dieser Legende (mit-)strickten, waren und sind mächtig stolz auf sich selbst.
Marketingverbünde
Heute ist das alles niedergespart, und in die Käseglocke in Berlin-Mitte umgezogen. Die Überreste werden in sog. “Rechercheverbünden” (“Synergieffekte”!) organisiert, wahlweise auch international – Kapitalismus ist überall. Diese “Rechercheverbünde” sind zu beliebten Adressen für Durchstiche von “Nachrichtendiensten” geworden. Wenn ein*e Agent*in einer*m Journalist*in eine “exklusive” Information steckt, nennt die*der Journalist*in in Berlin-Mitte das Recherche, und hat nichts eiligeres zu tun, als das zu vermarkten. Darum handelt es sich bei den “Rechercheverbünden”: es sind Marketingverbünde. Die verbündeten Medien vermarkten sich selbst und ihre Partner auf Gegenseitigkeit. So haben “alle” was davon.
Mich überkommt mittlerweile regelmässig ein körperlicher Schmerz, wenn ich nur das angeberische Wort “Rechercheverbund” höre. Klassischer Fall von Dialektik: je weniger Substanz dahinter ist, umso mehr muss es durch Branding und Marketing kompensiert werden. Ich könnte nachvollziehen, wenn das einem alten, weissen Mann wie Seymour Hersh nur noch einen sarkastischen Lachanfall entlockt – was schon ein Kompliment wäre.
Womit ich nach langer Vorrede bei dem Thema bin, das Sie bei Florian Rötzer/overton nachlesen können: “Was steckt hinter den an die NYT durchgestochenen Informationen über den Nord-Stream-Anschlag? – US-Geheimdienste hätten Hinweise auf eine ‘pro-ukrainische Gruppe’. Und deutsche Ermittlungsbehörden wollen eine ‘ukrainische Spur’ ausgemacht haben.” Das durchgestochene “Material” ist so faktenarm, dass es, obwohl es seine PR-strategische Aufgabe zu sein scheint, noch nicht mal Hersh’s These widerlegt.
Mich macht nicht zornig, dass Regierungen und ihre Geheimdienste ihre Arbeit machen. Damit muss gerechnet werden, und ich weiss seit vielen Jahrzehnten, was ich davon zu halten habe. Mich erregt, wie billig die übergrosse Mehrheit der vermachteten deutschen Medienlandschaft willig, freiwillig mitmacht.
Dagegen ist die Aufregung um eine AfD-Anfrage im Bundestag eine Kleinigkeit, die freilich viel Stoff für billigste Propaganda bietet. Ist das womöglich sogar die Absicht der Bundesregierung, um die Gesellschaft in “wer nicht für uns ist, ist gegen uns” zu teilen, garniert mit opulenter Staatsförderung für “Gegneranalyse”? Sebastian Köhler/telepolis: “Zahlt es sich aus? Neues zu Journalismus und ‘Staatsknete’ – Rund 200 Journalist:innen haben Geld aus Bundestöpfen erhalten. Das sagt kein Telegramm-Kanal, sondern die Regierung. Können solche Medienschaffenden noch unabhängig berichten?” Ich habe selbst zahlreiche politische Veranstaltungen organisiert, die professionell von qualifizierten Journalist*inn*en moderiert wurden, manche haben sogar auf Podien mitdiskutiert. Gegen Honorar, aber mit einer 0 weniger im Zahlenfeld. Grundsätzlich verwerflich ist das nicht. Wenn jedoch ein Geruch von Österreich verbreitet wird, wo die Finanzierung privater Konzernmedien durch bezahlte Anzeigen der Regierung alltägliche Praxis ist, was ist dann der beabsichtigte Spin?
Vertrauen?
Was ich vom WDR-Intendanten Tom Buhrow halte, wissen Sie als geübte Extradienst-Leser*in schon lange. Darum lege ich Wert auf die Feststellung, dass ich mit diesem Interview von Senta Krasser/dwdl nichts zu tun habe: “Nahaufnahme von Tom Buhrows Berater – Wolfram Winter: ‘Ich bin so teuer, das kann man sich gar nicht vorstellen’ – Wolfram Winter stieg in den Nullerjahren zur Fernsehsociety Münchens auf. Er wurde zu ‘Mister Pay TV’ und machte sich dann als Berater selbstständig. Zu seinen prominentesten Kunden gehört WDR-Intendant Tom Buhrow.”
Ich habe selbst ein Jahr als selbstständiger Berater in dem Beruf gearbeitet, den Herr Winter mit einem gemeldeten Honorar von 580.000 € für den Herrn Buhrow ausübt. Ich habe in jenem Jahr 2005/6 so viel Geld verdient, wie nie zuvor und auch danach nicht wieder. Allerdings wiederum mit einigen Nullen weniger im Überweisungsformular. Und in der geleisteten Arbeit. Wer so ein Interview in einer diskretionssüchtigen wie (Dialektik!) geschwätzigen Branche gibt, verfolgt eine Absicht (Spin!). Was mag es sein? Habe sich die Herren verkracht? Lässt Buhrow sich (mal wieder) veräppeln? Entscheiden Sie selbst.
Update 9.3.
Annika Schneider/MDR-Altpapier (und hauptberuflich beim DLF) gibt einen Einblick in einen eingemauerten SZ-Beitrag von Cornelius Pollmer zu der merkwürdigen Geschäftsbeziehung Buhrow/Winter: “Schillernde ARD-Beratung”. Das Ausgeführte deutet an, dass diese Beziehung mittlerweile beendet sein dürfte. Aber wer oder was hat den Buhrow da hineingeritten?
Genussfeinde
Neidisch auf diese Charaktermasken bin ich kein bisschen. Warum, das lesen Sie hier in dieser 1a-Recherche von Amina Aziz/taz: “Promi-Restaurant Borchardt: Enttäuschend wie Männer oder Grüne – Das Berliner Promi-Restaurant Borchardt ist kulinarisch katastrophal. Eigentlich schön, wenn die Reichen dort bleiben – ganz unter sich.”
Wenn es gerecht zuginge, müsste das “Borchardt” Frau Aziz für diesen Verriss noch ein Honorar bezahlen (Dialektik!). So wie die re:publica ihrem Kollegen Sebastian Erb.
Update nachmittags
10 Jahre NSA-Skandal – nicht vorbei, sondern andauernd
Das Ausmass dieser deutschen Medienblamage ist kaum in Worte zu fassen. Und es dürfte einen Zusammenhang mit den gegenwärtigen Kriegspolitik-Vorgängen geben. Dass die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel den Vorgang mit den Worten “Das geht gar nicht” charakterisierte, war für sie ein ungewöhnlicher Ausbruch von verbaler Radikalität. Öffentlich wahrnehmbare Folgen hatte das jedoch nicht. Anna Loll/DLF erinnerte gestern für das DLF-Nischenmagazin @mediasres daran. Es macht etwas Mühe ihren Beitrag zu finden: “Endstation Moskau: Whistleblower Edward Snowden vor 10 Jahren gestrandet” (Audio 4 min).
Ich gratuliere der Autorin, dass sie sich die Arbeit gemacht und das Thema auf den Sender gebracht hat (auch der tapferen Fachredaktion). Der Sender sollte sich dagegen in die Ecke stellen und schämen gehen, dass seine Politikredaktion das alles vergessen hat. Zum Zwecke der Selbstüberprüfung habe ich nachgesehen, wie oft wir im Extradienst an Edward Snowden erinnert haben – 4 Trefferseiten (37 Treffer) sind nicht genug, aber zum Glück im Vergleich zum Schämengehen zu viel. Ein wichtiger deutscher Freund Edward Snowdens, Hans Christian Ströbele, ist leider tot. Er hatte noch nach Kräften für Solidarität und Aufmerksamkeit für diesen epochemachenden, todesmutigen Whistleblower gebaggert.
Letzte Kommentare