Zur deutschen Außenpolitik an den Bundeskanzler – Was Frau Illner oder CNN nicht fragten

„Realität ist das, was nicht verschwindet, wenn man aufhört, daran zu glauben.“ (Philipp K. Dick)

In den vergangenen Tagen gab der Bundeskanzler zwei Interviews. Er war zu Gast bei Frau Illner. Anlässlich des Kurzbesuchs beim US-Präsidenten sprach er mit CNN. Deshalb dachte ich darüber nach, welches Interview ich wohl geführt hätte. Denn es gibt Fragen, die er beantworten sollte. Ich habe sie aufgeschrieben:

Herr Bundeskanzler, wir haben nun (ich zitiere Ihre Worte) „diesen furchtbaren Krieg in der Ukraine“. In Bakhmut, so hört man, sterben aktuell täglich 1000 ukrainische Soldaten. Haben Sie alles getan haben, um diesen Krieg zu vermeiden?

Scholz:

Herr Bundeskanzler, im Dezember 21 legte Russland Forderungen nach Sicherheitsgarantien vor. Die Antwort der NATO, die El Pais veröffentlichte, wurde auch mit Deutschland koordiniert. Warum hat die NATO die Kernforderungen Russlands zurückgewiesen? Könnten Sie erklären, worin die Differenzen zwischen der Auffassung der NATO (also auch Deutschlands) und Russlands genau liegen, wenn es um das Verständnis unteilbarer Sicherheit geht?

Scholz:

Der SPD-Vorsitzende erklärte, man müsse Sicherheit „vor Russland“ organisieren. Das hätte man nach 1945 auch mit Bezug auf Deutschland machen können. Stattdessen wurde dem Westen Deutschlands wieder die Hand gereicht. Was ist heute falsch an der Vorstellung, dass Sicherheit nicht gegeneinander erreichbar ist?

Scholz:

Ein Blick in die Vergangenheit: Die Minsker-Abkommen sollten das Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen in der Ukraine bringen. Sie haben in Moskau am 15. Februar 22 versichert, die Ukraine würde jetzt liefern. Sie wussten also, dass die Ukraine ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Später erklärte Ihre Vorgängerin, Frau Merkel, Minsk wäre eine Zeitkauf-Politik gewesen. Haben Sie das gewusst? Wie ehrlich waren Ihre Zusicherungen gegenüber Russland?

Scholz:

Noch eine damit verbundene Frage: Diese „Zeitkaufpolitik“ hat auch Russland Zeit gekauft, wenn es stimmt, dass es imperial ist. War das dann ein kluger Schachzug?

Scholz:

Sie haben sich kurz nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine öffentlich für Verhandlungen ausgesprochen. Am 23. März 22 telefonierten Sie deshalb mit den Präsidenten der Ukraine und Russlands. Der ehemalige israelische Ministerpräsident erklärte inzwischen, er hätte sich bei seinen Friedensbemühungen auch mit Ihnen eng abgestimmt, aber laut Bennett hätte der Westen kein Verhandlungsende gewünscht. Stimmt das?

Scholz:

Sie haben wiederholt erklärt, Putin könne jederzeit den Krieg beenden, er müsse nur seine Truppen zurückziehen. Das war Teil der Verhandlungslösung von Anfang April 2022. Man hat den Eindruck, dass nach den am Westen gescheiterten Verhandlungen im Frühling des vergangenen Jahres der Krieg seine Natur änderte. Er wurde auf beiden Seiten unversöhnlicher. Sie sagen seither, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnen und die Ukraine ihn nicht verlieren darf. Wie muss man sich das genau vorstellen?

Scholz:

Im Ergebnis des realen Kriegsverlaufs hat die Ukraine 2022 nach der Krim weiteres Territorium an Russland verloren. Wie, glauben Sie, kann das rückgängig gemacht werden? Demnächst mit F 16-Lieferungen?

Scholz:

Sie betonen, dass es an der Ukraine ist, zu entscheiden, ob und wann Verhandlungen möglich sind. Seit Anfang Oktober 22 ist es in der Ukraine gesetzlich ausgeschlossen, mit einem von Putin geführten Russland zu verhandeln. Heißt das, dass Sie auch diese Sichtweise der Ukraine akzeptieren?

Scholz:

Sie betonen immer wieder, dass Deutschland in engster Abstimmung mit den Alliierten handelt, insbesondere mit den USA. Den US-Präsidenten bezeichneten Sie als klugen Außenpolitiker, auch als Freund. Aber gleichzeitig plädieren Sie gemeinsam mit dem französischen Präsidenten für eine EU, die ihr Schicksal stärker als bisher in die eigene Hand nimmt. Wie wollen Sie diesen Widerspruch politisch auflösen?

Scholz:

Wie gehen Sie damit um, dass auf wirtschaftlichem Gebiet die Interessen der USA und der EU nicht kongruent sind? Gibt es Signale, dass die USA die Interessen der EU ernster nehmen als bisher? Haben Sie Zusagen in Washington erreicht?

Scholz:

Herr Bundeskanzler, der Anschlag auf NordStream war auch ein Anschlag auf Deutschland. Wir haben inzwischen jede Menge Verdächtigungen: erst gegenüber Russland, dann gegenüber den USA und Großbritannien. Neulich berichteten Medien über einen mutmaßlichen pro-ukrainischen Plot. Würden Sie eine internationale Untersuchung des Falls befürworten? Haben Sie kürzlich in Washington mit Präsident Biden über den Fall gesprochen?

Scholz:

Herr Bundeskanzler, es wird seit längerem über künftige Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach dem Krieg gesprochen. Befürworten Sie eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine oder geht es um Sicherheitsgarantien unterhalb dieser Schwelle?

Scholz:

Herr Bundeskanzler, stimmen Sie den Aussagen von Frau Baerbock zu, dass die westlichen Sanktionen Russland ruinieren sollen? Wie gehen Sie mit den Vorstellungen bestimmter US-Kreise um, Russland müsse zerschlagen werden? Was sagen Sie deutschen Stimmen, die über eine „vernichtende Niederlage“ Russlands nachdenken? Kurz: Ist eine strategische Schwächung oder gar Zerschlagung Russlands Ziel Ihrer Außenpolitik?

Scholz:

Herr Bundeskanzler, die USA haben seit November 2021 klargestellt, dass die NATO einen Angriff auf NATO-Territorium nicht hinnehmen und sich entschieden verteidigen würde. Andererseits erklärt die Ukraine, sie wäre de facto Schild und Schwert der Nato und verteidige auch uns mit dem Leben ihrer Soldaten. Damit werden Waffenlieferungen begründet. Was tun Sie, damit es nicht zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der NATO kommt?

Scholz:

Auch Sie reden, wenn auch verschlüsselt, einem militärischen Sieg der Ukraine das Wort. Sie geben damit das Schicksal ganz Europas in die Hände des Krieges. Man hat den Eindruck, Waffenlieferungen, Sanktionen und der Aufbau einer breiten Front gegenüber Russland ist alles, was Ihnen einfällt. Was sagen Sie jenen Staaten, die auf Verhandlungen drängen? Was sagen Sie zum Friedensplan von China?

Scholz:

Sie wissen, dass die Gefahr eines Nuklearkrieges von Wissenschaftlern als sehr viel dramatischer eingeschätzt wird als vor einigen Jahren. Teilen Sie diese Einschätzung?

Scholz:

Eine abschließende Frage: Welche Vorstellung haben Sie von den kommenden zehn Jahren: Steht uns eine Phase der Hochrüstung und des Rüstungswettlaufs bevor oder sehen Sie Möglichkeiten, zu Abrüstungsschritten zu gelangen? Wenn ja, was wären dafür die Voraussetzungen?

Scholz:

Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Über Petra Erler / Gastautorin:

Petra Erler: "Ostdeutsche, nationale, europäische und internationale Politikerfahrungen, publizistisch tätig, mehrsprachig, faktenorientiert, unvoreingenommen." Ihren Blog "Nachrichten einer Leuchtturmwärterin" finden sie bei Substack. Ihre Beiträge im Extradienst sind Übernahmen mit ihrer freundlichen Genehmigung.