Zum Tod von Antje Vollmer

Der Tod von Antje Vollmer gibt mir viel zu denken. Immerhin hat sie einmal heftig in mein Leben eingegriffen, als es nämlich darum ging, ob der promovierte Jungphilosoph auch weiterhin so vor sich hin philosophiert und literarisiert oder ob er mehr Hardcore-Politik macht – in den institutionalisierten Zusammenhängen unter dem Bundesadler. Gegen den Rat meiner literarisch-philosophischen Freunde habe ich letzteres dann gemacht – und mache es (an anderer Stelle) noch heute. Also, liebe Antje: Du bist letztlich schuld!! (-:

Das Foto ist mehrere Jahrzehnte alt. Aber wer sich die abgebildeten Frauen im Kontext des damaligen Bundestags vorstellt, weiß, dass sie ihrer Zeit um einige Jahrzehnte voraus waren. Und Antje war der intellektuelle Kopf, eine wirklich außergewöhnliche Persönlichkeit, die jenseits der knapp über (oder auch mal unter) dem 5-Prozent-Durst vegetierenden Grünen das Zeug fürs ganz Große hatte – Bundestagspräsidentin, Bundespräsidentin, zentrale Ministerin – so etwa diese Kragenweite. Heute wäre es nicht irreal, damals war es das.

Ich habe an Antje den politischen „Gusto“ bewundert, den Blick für die politische Situation (den es in der heutigen Intellektuellenszene kaum mehr gibt). Einmal habe ich mit einer harmlosen Pressemitteilung, die ich für sie verfasst habe, (zurecht) einen kulturpolitischen Kleinskandal ausgelöst. Mir war das gar nicht angenehm – mitten im Sommerloch ständig in den Kultursendungen des Fernsehens die Wendungen dieser Causa mitansehen zu müssen: Weia, was hast Du da losgetreten? Aber Antje blieb cool und sagte: Super, haben wir doch einen schönen Diskurs! Dass der öffentliche Diskurs, auch wenn er heftig wird und sich vor aller Augen abspielt, nichts Schlimmes und oft etwas sehr Gutes ist, das habe ich von ihr gelernt.

Antje war eine geniale „Strippenzieherin“ – und das meine ich positiv. Sie wusste das politische Spiel zu spielen, um etwas zu bewirken. Sie hatte ständig neue Projekte und verband dafür Menschen miteinander, die sonst wohl kaum je zusammen gekommen wären. Sie war auch der „natürliche“ Kontakt für viele Künstlerinnen und Intellektuelle in die Bundespolitik hinein. Wenn Susan Sontag mal nach Deutschland kam, wen suchte sie dann? Antje!

Ich habe nicht jede ihrer Volten mitgemacht. Es gab Dinge, die mich befremdet haben und mir unangenehm waren. Stadtschloss. Deutschquote im Radio. Oder zuletzt ihre Unterschrift unter den Wagenknecht/Schwarzer-Aufruf. Diese Logik hat sich mir nicht erschlossen. Nach einigem Nachdenken habe ich vielleicht die Ahnung von einer Antwort darauf. Antje war politisch-kulturell-intellektuell ziemlich „großes Kino“. Wenn man Revue passieren lässt, wer es in unserer Republik in die obersten Ränge geschafft hat, dann erscheint vieles „very strange“ im Vergleich zu ihrer Klasse. Vielleicht hat ihr irgendwann die ganz große Aufgabe gefehlt, an deren Realien sie noch weiter hätte wachsen können? Stattdessen blieb nur die Welt der Medien. Aber mit ihrer ganz großen Klasse möchte ich sie in Erinnerung behalten.

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Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.