Ein ewiger Traum französischer Präsidenten – Europa soll eigenständig werden? Keine schlechte Idee. Aber dazu müsste Europa mit einer Stimme sprechen. Und das tun weder Scholz noch Macron.
Ein Kontinent ohne Hegemon
Seit dem 15. Jahrhundert versuchte der deutsch- und französischsprachige Raum, Hegemonie über Europa zu erlangen. Karl der Große, Ludwig der XIV., Napoleon I., Napoleon III., Wilhelm II. und Hitler. Alle scheiterten sie daran, den Kontinent unter Kontrolle zu bringen und ihn politisch unter einem Banner zu konsolidieren, wie es China mit seiner Expansion in Asien geschafft hat. Denn immer dann, wenn die Deutschen oder Franzosen versuchten, Hegemonie zu erlangen, wurden sie vom Rest des Kontinents ausbalanciert.
Die zwei Weltkriege sind lediglich ein zerstörerischer Ausdruck dessen. Beide Rivalen sahen am Ende ein, dass keiner von beiden über Europa alleine herrschen wird. Gleichzeitig sahen sie auch, dass das europäische Zeitalter mit dem Aufstieg der USA, und heute Asiens, vorüber war. Beide sind demographisch, ökonomisch, aber auch militärisch zu schwach, um am Tisch der großen Zwei Platz zu nehmen.
Wenn aber beide jemals eine weltpolitische Rolle spielen sollten, mussten sie sich die Herrschaft über den Kontinent teilen. Das Ergebnis davon ist die europäische Integration, die bis heute anhält. In zähen Verhandlungen ringen sich Deutschland und Frankreich um die politische Gestaltung Europas Kompromisse ab. Das Problem heute ist, dass die europäische Integration so weit fortgeschritten ist, dass jeder weitere Integrationsschritt fundamentale Prinzipien beider Länder berührt. Gleichzeitig aber läuft beiden Mächten die Zeit davon, sich auf die künftigen Konfrontationen vorzubereiten.
Ein europäisches Imperium unter Frankreichs Führung
Seit der Französischen Revolution als Ausdruck universeller Werte glaubt Frankreich eine besondere, historische Rolle auf dieser Welt zu haben. Sie hat den Verlust ihrer Imperien widerwillig akzeptiert, aber immer nach Wegen gesucht, Weltpolitik machen zu können. Deutschlands Imperialismus hingegen wurde 1918 und 1945 nachhaltig hinweg gebombt. Frankreich aber hat seine imperiale Tradition nie aufgegeben.
Europa hat es immer so gesehen, dass es Frankreichs Macht auf der Welt vergrößert. Das Hindernis, französischer Macht Ausdruck auf der Welt zu verleihen, ist bis heute Deutschland. Was also macht die Einigung dieses europäischen Imperiums so schwer? Das unterschiedliche Wesen dieser beiden Länder.
Deutschland ist merkantilistisch, will keine Schulden, Frankreich hat kein Problem damit. Deutschland ist ein subsidiäres Land, ein Bundesstaat, Frankreich ist zentralistisch und ein Einheitsstaat. Deutschland hat eine soziale Marktwirtschaft, Frankreich den Etatismus. Deutschland und Frankreich sind beides Mittelmächte.
Während Deutschland damit zufrieden ist, den größtmöglichen Profit bei der geringstmöglichen Verpflichtung zu suchen, indem sie die zwei Weltmächte gegeneinander ausspielt, will Frankreich europäische Weltpolitik gestalten. Wie sollen Kompromisse bei solch unterschiedlichen Grundgedanken möglich sein? Bis heute wollen beide ihre Vorstellungen in einem dieser Felder nicht aufgeben und keiner von beiden will sich vom anderen führen lassen. Dieses Hin und Her spiegelt sich auch in ihrem Zugang zum US-China-Konflikt wider.
Macron denkt den letzten Schritt nicht zu Ende
Der französische Präsident meint, einen europäischen Mittelweg zwischen China und den USA zu finden, um die Handlungsfreiheit und Unabhängigkeit Europas von den beiden Mächten zu garantieren. Macron ist nämlich unter keinen chinesischen Bann gefallen. Es war Frankreich, das die handelspolitischen Schutzmaßnahmen innerhalb der EU initiiert hat. Sei es die Investitionskontrolle, Huawei mit 5G, ausländische Subventionen oder dergleichen.
Scholz hingegen ist bis heute deutlich chinafreundlicher. Es war unweise, von Macron davon zu sprechen, sich von den USA nicht in den Taiwankonflikt hineinziehen zu lassen. Das wäre möglich, wenn Europa militärisch mächtig genug wäre. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ohne die US-Führung im Ukrainekonflikt wäre Osteuropa gefallen und Wladimir Putin wäre heute Wladimir der Große. Sowohl Deutschland als auch Frankreich sind bis heute zu schwach, um ihr eigenes Haus verteidigen zu können, geschweige denn, einen Mittelweg zwischen den zwei Weltmächten einschlagen zu können.
Emmanuel Macron ist der pro-europäischste Präsident Frankreichs seit Jahrzehnten. Aber auch er macht wie alle seine Vorgänger den Denkfehler, dass Frankreich diesen Kontinent mit Deutschlands Zustimmung führen kann. Das wird nicht funktionieren. Erst wenn man in Paris und in Berlin realisiert hat, dass ein europäisches Imperium nur dann möglich ist, wenn beide Länder auf die Führung verzichten, indem sie die militärischen Kompetenzen auf EU-Ebene verlagern, wird ein europäisches Imperium möglich sein.
Macron aber glaubt, dass er die Nationalinteressen Frankreichs als EU-Interessen wiedergeben und die Führungsrolle innerhalb der EU beanspruchet kann. Ohne zu sehen, dass weder Deutschland noch Frankreich in den letzten 500 Jahren alleine führen konnte. Die Integration Europas gelang ihnen erst dann, wenn sie sich einig waren und sie nicht versuchten, sich gegenseitig den Willen aufzuzwingen.
Das fundamentale Problems beider Länder ist der mangelnde Wille, sich auf diesen Kompromiss und den Macht- und Bedeutungsverlust beider Nationen einzulassen. Bis dieser Zeitpunkt gekommen ist, ist es unvermeidbar, in die Konflikte von den Weltmächten hineingezogen zu werden. Das war in der Geschichte bei Mittelmächten immer der Fall. Aber es ist nun einmalig in der Geschichte, dass es in den Händen dieser beiden Mittelmächte liegt, aus dem Kontinent eine Weltmacht zu formen. Es ist nur eine Frage des Wollens. Ob das bis zum Ausbruch eines Konfliktes zwischen den USA und China passiert, ist unwahrscheinlich. Deshalb hätte Macron einfach schweigen sollen, weil er keine seriöse Alternative bieten kann.
Muamer Bećirović, geboren 1996 in München, studierte Politikwissenschaften und Geschichte an der Universität Wien. Von 2016 bis 2019 war er Bezirksobmann der Jungen Volkspartei im 15. Gemeindebezirk Wiens, Rudolfsheim-Fünfhaus. Die Junge Volkspartei ist eine politische Jugendorganisation der ÖVP. Er ist Herausgeber des Onlinemagazins „Kopf um Krone“. Als Publizist schreibt er über Außenpolitik, Diplomatie- und Wirtschaftsgeschichte.
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